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Digital In Arbeit

Aus Kubins Werkstatt

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Nach vorausgegangenen verdienstvollen Brief-Editionen präsentiert die Nymphenburger Verlagshandlung jetzt eine reich illustrierte Ausgabe von Kubins Schriften in bibliophilem Gewand. „Vom Schreibtisch eines Zeichners“ hieß ein Band, der 1939 von Kubin erschien: Dokumentation, daß er im Laufe seines Zeichnerlebens („aus Innerem Drang zeichnen zu müssen, bedeutet ein Schioksal“) dennoch immer wieder von seiner Schreibfeder Gebrauch machte. Daß die Nymphenburger dieser Seite seines Schaffens Respekt erweist durch eine würdige Ausgabe, verdient hohes Lob. Auch editorisch macht die vom Herausgeber Ulrich Riemerschmidt verantwortete Gestaltung des Bandes einen wohlüberlegten Eindruck. Das Material ist überzeugend gegliedert in die folgenden Abschnitte: I. Träumerleben, II. Die Arbeit des Zeichners, III. Begegnungen mit Zeltgenossen, IV. Geschichten und Bildergeschichten, V. Bücher.

Der Reigen der Begegnungen beginnt mit einer Erinnerung an Max Dauthendey: „Ich blickte in die harmonischste Menschennatur, die mir je unterkam. Wie spielend glitt er über Hemmnisse des Alltags hinweg, welche sich mir als dämonische Wälle darstellten. Diese feiertägliche Anlage eines großen Dichters war so ausgereift und weltbürgerlich sicher, daß meine Leiden in seiner Nähe dahinschmolzen.“ Daß Kubin — wie hier bei Dauthendey — alle Begegnungen mit Zeitgenossen zu seinem eigenen loh in Beziehung setzt und damit immer neue Züge eines Selbstporträts zusammenträgt,

macht alle diese Begegnungen biographisch so wertvoll. Dazu kommt die Gabe, mit den Augen des Künstlers einen Menschen auch im Wort zu zeichnen, zum Beispiel den wesensverwandten Philosophen Friedländer, der einen „Antifreud“ geschrieben hatte, aber unter dem Pseudonym Mynona, einer Umkehrung des Wortes anonym, auch groteske Geschichten, die Kubin zum Teil illustrierte.

Die „Geschichten und Bildergeschichten“ bieten eine Wiederbegegnung mit jenen Geschichten, deren Texte Kubin 1925 nachträglich zu Zeichnungen seiner Feder schrieb. Im Grunde ist es eine anekdotische Erzählkunst. Sie erreicht einmal — in dem Bericht über zwei „Engländerinnen“ in München und ihre merkwürdigen Erlebnisse auf der Suche nach einem deutschen Militarismus — geradezu heitere Bezirke. „Bemühungen erfolgreich, Urzelle des Militarismus soeben einwandfrei festgestellt“, telegraphieren sie nach Downing Street. Vor der Tür ihrer Pension hatte ein kleiner buntgekleideter Kerl gestiefelt und gespornt und noch dazu heftig gestikulierend unverständliche Befehlsworte ausgestoßen: „,Oah! the mili-tarism, the militarism!', riefen die beiden Engländerinnen einstimmig, während der gerade aus dem Fenster schauende Hausbesorger nur seinen Jungen erblickte, der sich zum Soldatenspiel mit Kameraden mit Säbel und Stern so bunt herausgeputzt hatte.“

„Die Arbeit des Zeichners“ bietet Themen, wie „Der Zeichner“, „Rhythmus und Konstruktion“, „Die Federzeichnung“, „Wie ich illustriere“, sie gewähren manchen Einblick in den schöpferischen Prozeß. Der letzte Text „Feststellungen 1949“ schließt mit dem Bekenntnis des 72jährigen: „Vor uns Heutigen, wie eh und je vor den älteren Meistern, breitet sich immer noch das Meer der Welt. Einer Vision gleich, aller Rätsel voll, glitzert und verführt seine grenzenlose Oberfläche den Zeichner zur befreienden Tat.

Eine andere Äußerung aus dem Jahr 1949 schließt den Abschnitt „Träumerleben“ ab: „Ein Denken zu wecken auf Kosten der Gefühle, wirkt immer als eine Schwächung der Empfangsbereitschaft für die raunenden Stimmen des Herzens.“ Ja, so möchte man den „Magier aus Zwiokledt“ bezeichnen: als einen Seismographen für die raunenden Stimmen des Herzens, sein Leben lang. So zeigt er sich auch in dieser Werkstatt seiner Schreibfeder.

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