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Ein Einsiedler starb

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Im Kubin-Film „Abenteuer einer Zeichenfeder“, den wir dem Galerieleiter Walter Kasten aus Linz verdanken, zeigen nur ganz wenige Bilder den Menschen Kubin, den alten Einsiedler auf seinem Schlößchen Zwickledt bei Wernstein am Inn. So sehr war die Erscheinung Kubins schon zu seinen Lebzeiten hinter dem umfangreichen Werk seiner -zigtausend Zeichnungen zurückgetreten, so sehr lebte er seit langem in unserem Bewußtsein nur noch im feinmaschigen Netz seiner Federstriche, das ihn und sein Haus, seine „Arche“, ganz eingehüllt hatte, daß es genügte, eine Bildfolge seiner Graphik dem Publikum vorzuführen, um seine Persönlichkeit mit allen ihren bizarren und (im Alter stärker werdenden) humorigen Zügen, ihren Tag- und Nachtseiten hervorscheinen, hervorleuchten, hervortreten zu lassen aus 'diesem Werk.

In der letzten der wenigen Szenen, die die Person Kubins zeigten, sahen wir ihn einem Waldrand, zu entschwinden, kleiner und kleiner werden — ein Bildausgang, wie ihn Chaplin liebte. So leise und langsam, beinahe unmerklich ist Kubin nun aus dem Leben gegangen. Am 20. August 1959 ist er in Zwickledt gestorben, 82 Jahre alt.

Er hatte sich in den letzten Jahren, eigentlich schon Jahrzehnten, von der Welt der Erscheinungen zurückgezogen. Je mehr Ehrungen und Feiern seine Person trafen, desto stärker schloß er sich ab — nicht abweisend und unfreundlich, aber weise und nicht mehr ganz von dieser Welt. Die Welt, das war für ihn der „Schlamm der Erscheinungen“ (wie Paul Klee sich ausdrückte), das waren die Heimsuchungen und Bedrohungen durch seine Träume, Visionen, Nachtgesichte, durch Dämonen und dumpfe Triebkräfte, die er zu bannen versuchte, indem er sie aufzeichnete. Einen Künstler, der auf solche Art heimgesucht wird von den Spukgestalten einer brüchig werdenden, modernden Welt, nennen wir einen Propheten — denn für die anderen bedarf es des Grauens der Kriege, damit sie vor der Fragwürdigkeit und Vergänglichkeit der irdischen Erscheinungen erschrecken.

Alfred Kubin lebte als Einsiedler auf Zwickledt, das er 1906, zwei Jahre nach seiner Heirat, erworben hatte. Ein knappes Jahrzehnt lang noch unternahm er einige wenige größere Reisen, klagte aber schon bald, daß für ihn, den Landmenschen, etwa Paris mit der Fülle seiner Eindrücke viel zu anstrengend und verwirrend sei. So kam es nicht einmal zu einem Besuch Picassos, der ihn eingeladen hatte, zu kommen — Kubin floh zurück in die Abgeschiedenheit seines Zwickledt. Hier war es ruhig, hier fand er sich selbst, hier konnte er arbeiten.

Die Zusammenstellung seiner Lebensdaten pflegte meist mit dem Jahre 1909, seiner Balkanreise, zu schließen. Aeußerlich gesehen hatte sein Leben schon damals, vor einem halben Jahrhundert, seine letzte Station erreicht. Immer mehr verschwindet das Krampfige, Verzweifelte, aber auch Surreal-Visionäre aus seinem Werk, es wird abgeklärter, sparsamer in den Mitteln, zuweilen sogar heiter. Zaghaft fällt zartes Licht auf die modrige Erde der frühen Visionen. Was sich nach 1909 in Daten ausdrücken läßt, betrifft nur noch sein Werk: Illustrationen, Publikationen, Ausstellungen, Preise ...

Nach dem Tode seiner Frau, Ende der vierziger Jahre, wird es vollends einsam um ihn.

„Zu seinem 82. Geburtstag im April habe ich den alten, verdämmernden Kubin besucht, der seit Monaten mit einem weißen Vollbart zu Bett liegt, selbst nun wie verzaubert, der alte Zauberer.“ Dies schrieb — in einem Brief — Werner Berg, der große Kärntner Maler und Freund Kubins, dessen Rutarhof vor einigen Jahren die letzte Reise Kubins galt — nicht die laute „große Welt“ lockte ihn, sondern nur zu sehen, wie ein anderer Einsiedler es sich auf der Erde eingerichtet hat...

Und ein Linzer Freund erzählte, Kubin spinne sich immer mehr in die Welt seiner Träume, seiner Schattenbilder, seiner Zeichnungen ein. Halbwach, halb im Traum glaubte er oft, im Böhmerwald zu sein, der Heimat seiner Seele, dem Quellgrund seiner Inspirationen. Selten zeichnete er noch mit seiner immer krakeliger werdenden Handschrift. Das Dickicht wurde stärker. Der Wald wuchs zu.

Der letzte Schritt auf einem einsamen Weg ist getan. Die Schattenlinie, seit der Jugend vertraut, ist überschritten. Kubin ist fortgegangen.

Aber uns ist er geblieben. Er sieht uns an aus1 jedem seiner Blätter. Er ist da.

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