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Visionäre Graphik

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Zum 70. Geburtstag Alfred K u b i n s, dieses weit über die Grenzen unseres Landes hinaus bekannten österreichischen Graphikers, eines der Bahnbrecher des Expressionismus, veranstaltet das „Institut für Wissenschaft und Kunst“ in den nach der Bombenzerstörung wiederhergestellten Sdiauräumen der „A1-bertina“ eine Ausstellung seiner Werke, die, fast dreihundert an der Zahl, einen tiefen Einblick in die eigenartige Kunst dieses Meisters gewähren. Wie kein anderer versteht er das Hintergründige des Lebens, die Anmut der Landsd#ft, die Häßlichkeit menschlicher Gemeinheit, Leid und Schmerz zu gestalten.

Dieser Künstler aus der Heimat Adalbert Stifters, der gleich diesem in Oberösterreidi seine zweite Heimat gefunden hat, ist mit allen Fasern seines Wesens in der österreichischen Erde verwurzelt. Ihre Sdiönheit, die Menschen, die auf ihr hausen, haben es ihm angetan, weil er so ganz zu ihnen gehört. Kubin ist absoluter Graphiker, vor allem Federzeichner, wobei seine Thematik unbegrenzt ist. Im allgemeinen wird er als der Gestalter des Unheimlichen und Grausigen angesehen, aber es wäre falsch, ihn damit kunstgeschichtlich einzuschachteln; denn Kubin ist vor allem Dichter von unerhörter Schöpferkraft, nidit nur im wörtlichen Sinne als Verfasser des Romans „Die andere Seite“, sondern auch als Graphiker, der in Zyklen zu erzählen versteht, der sich als Buchillustrator geradezu schöpferisch betätigt und über das Stoffliche hinaus in die Geheimnisse der Seele eindringt.

Das was der Surrealismus anstrebt, scheint in Kubins Werk vielfach bereits verwirklicht, dieses fast visionäre Hinübergleiten aus dem Sinnlichen,ins Übersinnliche. Er ist der „poeta vates“, der künstlerische Seher' und Deuter, der in visionären Traumbildern das vorausahnte, was wir in den letzten Jahren schaudernd erleben mußten. Seine 1939 und 1942 entstandenen Blätter „Götzendämmerung“ und „Der Sieger“ besagen vom Wesen eines brutalen Systems mehr als langatmige Abhandllungen.

Die Ausstellung in der „Albertina“ ist im Gegensatz zu jener des Jahres i937 chronologisch angelegt, so daß man die künstlerische Entwicklung Kubins ausgezeichnet verfolgen kann; überdies wird sein buchillustratives Schaffen ganz besonders berücksichtigt, das ja zweifellos das Hauptgebiet des Künsders darstellt. In seinen Landschaften kann man deutlich seine Wesensverbundenheit mit den großen österreichischen Graphikern vergangener Jahrhunderte bis zurück zu Altdorfer und den Meistern der Donauschule verfolgen, mit ihnen teilt er die Verzauberung durch die Landschaft und die Steigerung unwesentlicher Einzelheiten zu künstlerischer Verklärung. Seine BöhmerwaJdlandschaften sind dichterisches Schauen, seih RübezaMzyklus ist eine Märchenrerhe von unvergleichlicher Schönheit. Wenn er Werke anderer Autoren bebildert, übersetzt er niemals bloß den Text in seine graphische Sprache, sondern .immer bleibt er der eigenwüchsige, schöpferische Gestalter.

Kubin ist nicht Humorist wie etwa Oskar Laske, dessen Phantastik ihm verwandt ist, sein Weltbild ist ernster, herber und pessimistischer. Man kann seine Kunst und sein Wesen nicht aus einzelnen Blättern erkennen, sondern nur dann wirklich erfassen, wenn man die ungeheure Vielfalt seines Oeuvres auf sich wirken läßt. Daher wäre es abwegig, einzelne seiner Blätter kritisch hervorzuheben, sosehr es verlockte, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, etwa mit dem Zyklus „Schemen“, dieser skurrilen Rückschau in längstverklungene Zeiten, mit der „Rauhnacht“, die er etliche Jahre vor Billingers Dichtung künstlerisch gestaltete, oder mit der an Dürersche Naturverbundenheit gemahnenden aquarellierten Tuschzeichnung „Die junge Trappe“.

Man muß den Veranstaltern dankbar sein für diese imposante Schau Graphik: die Freunde der Kunst sollen es nicht verabsäumen, das Werk eines unserer größten heimischen Künstler in seiner unendlichen Vielfalt kennenzulernen.

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