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Topographie einer Traumstadt

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Alfred Kubin als Buchillustrator. Von Abraham Ho rodisch. Verlag der Erasmusbuchhandlung, Amsterdam 1949. Mit etwa 40 Illustrationen im Text und 100 ganzseitigen Tatein

Mit einunddreißig Jahren entwarf Alfred Kubin in seinem Roman „Die andere Seite“ den Grundriß zu einer imaginären Stadt, übertrug in sie alles, was ihm in Europa an Menschen, Gebäuden, Gegenständen und Sitten wurmstichig und von nahem Zerfall bedroht erschien — das war nicht wenig — und überließ sie ihrem Schicksal. Einem Schicksal des immer schneller vorwärtsschreitenden und schließlich rasenden Absterben, der Auflösung aller Details, der Vernichtung des Ganzen durch den Einbruch wilder Tiere, durch Epidemien und Naturkatastrophen.

Die nächsten dreiundvierzig Jahre seines Lebens hat Kubin damit verbracht, seine Stadt Perle samt näherer und weiterer Umgebung aus allen Winkeln zu betrachten, in allen Ecken zu durchforschen und von immer neuen Seiten zu porträtieren. Die Alblräume, die Kubin im Jahre 1908 niederschrieb, sind zum großen Teil Wirklichkeit geworden; das meiste von dem, wds er damals, der literarischen Zerstörung übergab, ist seitdem — und oft in sehr ähnlichen Formen — im Raum des Wirklichen zugrunde gegangen. Dennoch, was immer Kubin illustrierte — er illustrierte bis heute nur die Stadt Perle, diesen bizarren Schrecktraum seiner Jugend. „Im ganzen kann ich feststellen“, sagt Kubin von sich selbst, „daß die schier unübersehbare Fülle zeichnerischer Motive bei mir auf eine verhältnismäßig geringe Anzähl jugendlicher Eindrücke zurückgeht, die immer wieder nach Gestaltungen drängen “ Dieses Selbstzeugnis wird durch das ausgezeichnete und kostbar ausgestattete Buch von Horodisch bestätigt. Volle 174 Bücher, Mappen und andere in Druck erschienene Zeichenwerke Kubins führt diese seine neue Bibliographie an; in den letzten zwei oder drei Jahren sind noch einige hinzugekommen. Und jede einzelne dieser vielen Hunderte von Illustrationen könnte — es ist durch ihre Kollationierung mit dem

Roman sozusagen nachprüfbar — ebenso ein Genrebild aus der Stadt Perle, wie, der Absicht nach, aus Dostojewskijs oder Poes Werken sein.

Das Werk Kubin6 ist des Grausigen, Gespenstigen und Krassen voll. Aber, und das ist sehr merkwürdig, nicht alles Tröstlichen bar. Kubins halb dämonische, halb kindliche Phantasie wird ausgezeichnet von der heiteren Unschuld des großen und naiven Fabulie-rensj das Märchen aber bleibt zärtlich, auch wenn es von Gespenstern erzählt.

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