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Die Meister feiern Geburtstag

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Den achtzigsten: Alfred Kubin (geboren 10. April 1877).

Die jüngere Edda erzählt uns im Buch von Gylfis Betörung: Die Asen erfuhren durch Seherkunst, daß ihnen Unheil drohte vom Fenriswolf, dem Sohn des bösen Loki. Da beschlossen sie, ihn zu fesseln. Sie schmiedeten eine eiserne Fessel, die nannten sie Löding. Sie forderten den Wolf auf, seine Kraft an der Fessel zu erproben. Er ließ sie sich anlegen, stemmte sich gegen sie und löste sich aus dem Löding. Da legten ihm die Asen eine zweite Fessel an, doppelt so schwer wie die erste, die nannten sie Dromi. Der Wolf ließ es sich gefallen, schüttelte sich und sprengte den Dromi, daß die Stücke weit wegflogen. Da verfielen die Asen auf eine List: sie schickten einen Boten hinab ins Schwarzalbenheim zü ein paar Zwergen. Die mußten nun eine Fessel für den Wolf anfertigen, die Gleipnir hieß. Sie bestand aus sechs Substanzen: dem Laut des Katzenganges, den Wurzeln des Berges, dem Bart der Frau, den Sehnen des Bären, dem Atem des Fisches und des Vogels Speichel. Sie war weich und glatt wie ein Seidenband und kaum zu sehen. Der Wolf Fenrir ließ sie sich, nachdem die Asen ihn dazu überredet hatten, anlegen; aber er konnte sie nicht sprengen. Als er sich stemmte, härtete sich das Band, und je mehr er sich plagte, desto schärfer schnitt das Band ein. Die Fessel Gleipnir konnte er nicht lösen bis auf den Tag Ragnarök.

Sehen wir uns ein Blatt Alfred Kubins, des alten Zauberers aus Zwickledt, an — irgendeines. Etwa dieses: „Der Oberst” (1953). Wir sehen einen bärtigen alten Mann, ein Gestrüpp aus Krieg und Draht. Betrachten wir das Blatt aber genauer, so entdecken wir unter und über den vielen feinen Strichen, die die Gestalt dieses Mannes heraufbeschwören, ein anderes Strichwerk, das zunächst nichts mit der Gestalt zu tun zu haben scheint. Es ist das Strichwerk, das die Gestalten fesselt, das sie an die Welt des Bildes, an Kubins Reich bindet. Der struppige Oberst ist eingefangen in einem Gestrüpp von Strichen: da gibt es kein Entkommen für den alten Krieger.

Nehmen wir ein anderes Blatt: „Entsprungener Sklave”,. (1952). So leicht er. sich auch injicht, so gewandt er auch springt, der SklWi kann det Welt, in der er Sklave ist, nicht entfliehen: längst ist er eingeholt und umstellt vom Netz der Striche. Oder sehen wir uns Napoleon an, wie er bei „Waterloo” (Tuschfederzeichnung aus dem Jahre 1949) sitzt: er ist geschlagen, er kann sich nicht mehr rühren, sein Mantel ist mit der Erde, dem Boden von Waterloo, verwachsen. Nicht besser geht es dem „Erlkönig” (1949): sein Pferd kann sich, sosehr es scheut, nicht vom Boden lösen: Erlkönig reitet, aber er wird nie ans Ziel kommen: ein undurchdringliches Gitter feinster schwarzer Linien verstellt ihm den Weg. Nur „Wotan” (1948), der mit seiner wilden Jagd daherzieht, scheint frei und nicht an die Welt gefesselt zu sein; in Wahrheit aber hängt die Welt an ihm, er schleift sie hinter sich her …

Haben wir die magische Kunst Alfred Kubins erkannt, scheint es uns nicht unwahrscheinlich, daß auch er aus Schwarzalbenheim stammt: aus einem Land, in dem man weiß, daß in den Wurzeln der Berge, im Atem der Fische und im Laut des Katzenganges — Dingen, die uns auf der Erde nicht mehr wahrnehmbar sind — verborgene und unverbrauchbare Kräfte ruhen. Nur wer sie kennt — und es ist einiges an Leid und bitterer “Erfahrung nötig, sie kennenzu- lernen —, darf das Wagnis der Kunst, die ein ständiger Kampf mit dem Wolf Fenrir ist, auf sich nehmen.

Zwei Ausstellungen ehren den achtzigjährigen Kubin: eine große, sehr schöne in der Albertina, die an die hundert Federzeichnungen aus den Jahren seit 1945 vereinigt, und eine kleinere in der Kleinen Galerie in der Neudeggergasse, die etwa dreißig frühere Blätter, hauptsächlich Lithos, zeigt.

Den siebzigsten: Albert Paris Gütersloh (geboren 5. Februar 1887).

Den Dichter Gütersloh ehrt ein Band Gedichte, der soeben im Bergland-Verlag, Wien, erschienen ist — der Maler Gütersloh dagegen ging leer aus. Wäre es nicht angebracht, ihm zur Feier in nächster Zeit eine größere Ausstellung seines malerischen Oeuvres zu veranstalten? Wir warten darauf.

Den sechzigsten: Sergius Pauser (geboren 28. Dezember 1896).

Eine imposante Schau von 52 Oelbildern In der Akademie derbildenden Künste in Wien ehrt — etwas verspätet — Sergius Pauser; sie beweist, daß er — bei weitem! — das Beste in seinen Aquarellen gegeben hat: wieviel Atmosphäre steckt in solchen Blättern, wie „Hühner im Regen”, „Birke im Garten”, „Haus am Abend”, wieviel Welt in der kleinen Welt „Bei Holzleithen” oder in der großen Welt von „Schanghai”. Da ist alles leicht und bezaubernd und hat doch Gestalt. Pauser gehört zu den bedeutenden österreichischen Aquarellisten. Von seinen viel bescheideneren, glatt gemalten Oelbildern ziehen wir einige Landschaften — wie die aus den dreißiger Jahren stammenden: „Landschaft von Cap Ferrat”, „Pferdespringen”, „Südfranzösischer Friedhof”, „Reichsbrücke” — seinen stark schmeichelnden Damenbildnissen vor …

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