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Jahrzehntelang setzten die Wiener Stadtplaner bedingungslos auf Stadterweiterung. Nun soll die Stadterneuerung eine wichtige Rolle spielen. Allein, es fehlt am Geld.

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Jahrzehntelang setzten die Wiener Stadtplaner bedingungslos auf Stadterweiterung. Nun soll die Stadterneuerung eine wichtige Rolle spielen. Allein, es fehlt am Geld.

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Seit mehr als acht Jahren arbeitet der Wiener Magistrat am sogenannten „Stadtentwicklungsplan". Zahlreiche Hefte mit vielen bunten Plänen sind mittlerweile erschienen.

Noch vor den Gemeinderatswahlen 1983 operierte die Wiener SPÖ mit Slogans wie „Wien, ein schöner Platz zum Leben" oder „Wien 2000". Nach den Gemeinderatswahlen schien es, als ob der Stadtentwicklungsplan wieder in den Schubladen verstauben wird.

Der glücklose frühere Planungsstadtrat Rudolf Wurzer schien den Stadtentwicklungsplan in sein politisches Exil mitgenommen zu haben.

Die Volkspartei kritisierte den Stadtentwicklungsplan als „Konzept der Illusionen". ÖVP-Ge-meinderat Peter Mayr skizziert seine Kritik gegenüber der FURCHE: „Der Weg, den Wurzer eingeschlagen hatte, war grundsätzlich richtig. Aber Wurzer hat nur den ersten Schritt getan, nämlich eine Bestandsaufnahme durchgeführt. Es fehlt aber ein Prioritätenkatalog über die Realisierung der Maßnahmen, es gibt keinen Finanzierungsplan."

Der Nachfolger Wurzers als Planungsstadtrat, Fritz Hofmann, ist da optimistischer. Nach seiner Ansicht befindet sich die Arbeit am Stadtentwicklungsplan in der Endphase, Hofmann glaubt, daß der Stadtentwicklungsplan noch heuer vom Wiener Gemeinderat beschlossen werden kann.

Hofmann möchte aber auch die Diskussion über den Stadtentwicklungsplan anfachen. Anfang März nahm der Wiener Planungsstadtrat an einer Enquete an der Wiener Universität teil, wo ihm der Soziologe Erich Bodzenta massive Kritik am Plan entgegenhielt

Bodzenta betonte, die Arbeiten für den Stadtentwicklungsplan seien zwar eine verdienstvolle Bestandsaufnahme. Es fehlten aber konkrete Zielsetzungen und Zeitlimits.

Kritik an den bisherigen Arbeiten gibt es aber auch in den Reihen der SPÖ. Zu den heftigsten Kritikern zählt der Planungsfachmann Wilhelm Kainrath, Mitglied der Wiener SPÖ. Er stellt sich massiv gegen die Stadterweiterung, wie sie in den letzten Jahrzehnten praktiziert wurde. Das bisherige konzentrische .Stadtwachstum ist nach Kainraths Ansicht abzulehnen. Wachstum soll es dort geben, wo bereits ein leistungsfähiges öffentliches Verkehrsmittel existiert.

Ebenfalls falsch ist nach Ansicht von Kainrath die Vorgangsweise der Planerstellung: „Das ist eine Schwäche der gesamten Planung", kritisiert er schriftlich, „daß das Verkehrskonzept vor dem Stadtentwicklungsplan erstellt wurde und für diesen bereits bindend war. Die Stadtplaner haben auf das Verkehrskonzept wenig Einfluß gehabt.

Die Kritik von Kainrath ist bei Stadtrat Fritz Hofmann auf fruchtbaren Boden gefallen. Mit einer Kehrtwendung hat sich Hofmann von den Stadterweiterungsplänen seiner Vorgänger gelöst und ist auch auf die Vorstellungen der Volkspartei zur Stadterneuerung eingegangen.

Ein weiterer Mangel am vorliegenden Planungspapier ist die Vernachlässigung des gesamten „Grünbereiches". Die einzige Aussage in dem aufwendigen Papier, „Grünräume und Bäume sind als stadtgestalterische Faktoren zu erhalten", ist zu wenig.

Auf entschiedene Kritik ist der Wurzer-Entwurf aber auch bei Vertretern der Kirche gestoßen. Erzbischof Franz Jachym, der jahrzehntelang für das kirchliche Bauwesen zuständig war, vermißte zur Gänze den Bereich „Kultus" im vorliegenden Papier. Der Kirche wird weder im Sozialen noch im Städtebaulichen ein Stellenwert zugewiesen. Bissiger Kommentar am Stephansplatz:

„Das einzige, mit dem der Stadtentwicklungsplan die Kirchen in Zusammenhang bringt, sind die Friedhöfe."

Auch in diesem Bereich zeigen sich in letzter Zeit deutliche Verbesserungen. Ein Vieraugengespräch zwischen Bürgermeister Leopold Gratz und Bischofsvikar Josef Zeininger hat auch die Vertretung der kirchlichen Interessen im Bereich der Stadtplanung wieder in Schwung gebracht.

Eine Lösung des Problemkreises „Stadterneuerung - Stadterweiterung" muß dagegen noch gesucht werden. Wird statt der bisher dominanten Stadterweiterung künftig nur mehr Stadterneuerung betrieben, dann wäre die Konsequenz eine weitere Verdichtung der Innenbezirke.

Kainrath: „Damit ist noch nicht gesagt, daß die Stadterneuerung blendend läuft, nur weil wir die Stadterweiterung abwürgen. Die Befürwortung der Stadterweiterung sagt noch nichts' über die Qualität ihrer Durchführung aus. Dieses Argument gilt auch für die Stadterneuerung. Man muß in beiden Bereichen die Vorgangsweise verbessern."

Der Soziologe Bodzenta spricht sich für ein alternatives, räumliches Leitbild aus, bei dem Grünkeile in die Stadt hineinreichen und die Urbanen Einrichtungen weitgehend dezentralisiert sind. Als überschaubare Einheiten werden Bezirksteile, Stadtbezirke und mehrere Bezirke umfassende Regionen vorgeschlagen.

Die Kosten der Verwirklichung des Stadtentwicklungsplanes liegen zwischen 120 und 200 Milliarden Schilling bis zur Jahrtausendwende. Im Detail werden folgende Rechnungen aufgestellt: Straßenbau, Straßenbahn, die U-Bahn-Linien U3 und U6 kosten zusammen 40 Milliarden Schilling; für Stellplätze und für die Kanalisation müssen jeweüs 16 Milliarden, für den Ausbau der Fernwärme zwischen 50 und 80 Milliarden Schilling aufgewendet werden.

Auch die zweite Hochquellenwasserleitung bedarf einer Reparatur. Dazu kommen noch die Kosten für die Haus- und Wohnungssanierungen.

Alles in allem ein stattlicher Batzen Geld. Nur: Wie die Finanzierung erfolgen soll, ist zur Zeit noch völlig ungewiß.

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