Die Wiederentdeckung des guten Charakters

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Das Training der eigenen Stärken steigert die Lebenszufriedenheit und zeigt eine positive Wirkung für Gesundheit, Schule und Beruf.

Manchmal, wenn man einen psychologischen Vortrag zum Thema Charakter und Tugend hält, weiß man nicht recht, ob man sich ungeteilt über das Nicken unter den Zuschauern freuen soll oder nicht. Mitunter hört man in der Diskussion dann Dinge wie "Die jungen Leute heutzutage haben ja gar keinen Charakter mehr“ oder gerne auch "Die Politiker sind allesamt charakterlos.“ In der Psychologie wurden sowohl der Tugend- als auch der Charakterbegriff lange Zeit wenig beachtet und mehr als Thema angesehen, über das Philosophen grübeln sollen. Erst mit dem Aufkommen der Positiven Psychologie als jener psychologischen Richtung, die erforscht, was das Leben am meisten lebenswert macht, haben die Begriffe wieder mehr Aufmerksamkeit erfahren.

Die amerikanischen Psychologen Christopher Peterson und Martin Seligman haben vor zehn Jahren eine einflussreiche Klassifikation von sechs universellen Tugenden und 24 Charakterstärken vorgelegt, die VIA-Skala ("Values-in-Action“). In der Klinischen Psychologie war man bislang gewohnt, Störungen und Probleme zu klassifizieren und Diagnosen zu stellen, etwa anhand des "Diagnostischen und statistischen Leitfadens psychischer Störungen“ (DSM). Man kann die Arbeit von Peterson und Seligman durchaus mit diesem Vorgehen vergleichen - doch anstelle von Problemen, Beschwerden und Störungen beschreiben sie jene Eigenschaften, die Menschen besonders auszeichnen und somit wünschenswert sind. Man spricht in der wissenschaftlichen Literatur bei Charakterstärken auch von moralisch positiv bewerteten Eigenschaften. Die VIA-Klassifikation wird daher manchmal auch als eine Art "Anti-DSM“ bezeichnet.

Tatsächlich scheint es in der Psychologie einen Bedarf nach so einer Klassifikation zu geben, denn sowohl Forschung als auch Praxis richten sich mehrheitlich darauf aus, das Auftreten von Problemen und Beschwerden zu verstehen und zu behandeln. Ausprägungen in den positiven Bereich hingegen werden oft nicht weiter beachtet. Viele psychologische Methoden sind darauf ausgerichtet, einen negativen Bereich des Erlebens in einen neutralen überzuführen, die Beschwerden also zu reduzieren. Während das zweifellos ein wichtiges Ziel ist, so ist doch die Frage zu stellen, ob es nicht auch Ziel der Psychologie sein sollte, Ausprägungen in einen positiven Bereich des Gefühlsempfindens anzustreben. Eine gute Möglichkeit dazu kann die Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken sein.

Ein eigens entwickelter Fragebogen zur Erfassung der Charakterstärken (VIA-IS) hat dazu beigetragen, dass zuletzt weitreichende Forschung rund um den Charakter angestrengt wurde - hier nur eine kleine Auswahl spannender Ergebnisse, die kürzlich auch beim Europäischen Kongress für Positive Psychologie in Amsterdam vorgestellt wurden: So findet sich für alle Charakterstärken ein positiver Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit, am deutlichsten für Stärken wie Bindungsfähigkeit, Dankbarkeit, Enthusiasmus, Hoffnung und Neugier. Nur für Bescheidenheit konnte dieser Zusammenhang in manchen Studien nicht nachgewiesen werden.

Effektive Online-Programme

Einzelne Stärken wie etwa Freundlichkeit oder Humor leisten einen Beitrag zur schnelleren Regeneration nach körperlichen Erkrankungen; andere wie Liebe zum Lernen und Sinn für das Schöne zur Erholung nach psychischen Problemen. Am Arbeitsplatz hat sich das Anwenden von mehr als vier "Signaturstärken“ als hilfreich erwiesen - das sind jene Stärken, die besonders typisch für einen Menschen sind, ihn also ausmachen. In der Schule hängen die Liebe zum Lernen, Ausdauer und Vorsicht mit Verhaltensweisen zusammen, die von Lehrern als positiv eingeschätzt werden. Zudem haben diese Stärken eine positive Wirkung auf die Noten. Nicht zuletzt sind Charaktereigenschaften wie Ehrlichkeit, Humor und Bindungsfähigkeit die unter Jugendlichen heute die am meist gewünschten Stärken in romantischen Partnerschaften (Wer seine Stärken besser kennen lernen will, kann auf www.charakterstaerken.org unter anderem den VIA-Fragebogen kostenfrei bearbeiten).

Maßnahmen, die an den Stärken ansetzen, können einen Beitrag dazu leisten, die Lebenszufriedenheit zu steigern und depressive Stimmungen zu lindern. Programme dieser Art können auch online effektiv durchgeführt werden (zum Beispiel unter www.staerkentraining.ch). Wie Studien zeigen, kann etwa das bewusste Einsetzen der jeweiligen "Signaturstärken“ über einen Zeitraum von einer Woche einen neuartigen Beitrag zum Wohlbefinden leisten.

Generell hat sich der "gute Charakter“ erneut als wichtiges Thema in der Psychologie erwiesen - aber auch als Bereich, wo noch weitere Forschung erforderlich ist, um die grundlegenden Mechanismen besser zu verstehen.

Die Autoren arbeiten am Psychologischen Institut der Universität Zürich

Die sechs Tugenden

Weisheit & Wissen

• Kreativität

• Neugier

• Urteilsvermögen

• Liebe zum Lernen

• Weisheit

Mut

• Tapferkeit

• Ausdauer

• Authentizität

• Enthusiasmus

Menschlichkeit

• Bindungsfähigkeit

• Freundlichkeit

• soziale Intelligenz

Gerechtigkeit

• Teamwork

• Fairness

• Führungskraft

Mäßigung

• Vergebung

• Bescheidenheit

• Vorsicht

• Selbstregulation

Transzendenz

• Sinn fürs Schöne

• Dankbarkeit

• Hoffnung

• Humor

• Spiritualität

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