Europas No-Win-Situation

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Der Kemalismus in der Türkei wird oft mit einem laizistischen Staatsverständnis gleichgesetzt. Solche Sicht übersieht, dass - was die Religion betrifft - viel eher Josephinimus passen würde: Die "aufgeklärte" Staatsmacht kontrolliert die Religion. Im türkischen Fall gibt es da die - staatliche - Religionsbehörde, die den Islam definiert, die Moscheen betreibt, die Imame bezahlt - und diesen sogar den Wortlaut ihrer Freitagspredigten vorschreibt. Konsequent, dass dann der türkische Botschafter als "Vertreter des Islam" auch hierzulande auf interreligiösen Begegnungsveranstaltungen zu finden ist.

Abgesehen davon, dass die religiösen Minderheiten in der Türkei - von den Alewiten bis zu den völlig marginalisierten Chris-ten - in diesem System gar nicht vorkommen und oft um ihre Existenz kämpfen müssen, ist solche Religionspolitik aus europäischer Perspektive inakzeptabel. Religionsfreiheit sieht anders aus als dieses Modell, das überdies - wie die letzten Tage zeigten - nach wie vor unter der Fuchtel des Militärs steht. Auch dies ist für Europa nicht hinnehmbar.

Aber die Alternative? Wären die türkischen Verhältnisse so, wie sie den Standards eines Rechtsstaats europäischer Prägung entsprechen, würde auch die Türkei vom politischen Islam, wenn nicht gar vom Islamismus regiert. Hat nicht der Kemalismus bislang erreicht, dass die Regierung Erdogan nur "moderat islamisch" agierte? Doch waren es nicht gerade Erdogan & Co, welche die Türkei näher an Europa herangeführt haben wie niemand zuvor?

Der Weg der Türkei nach Europa steht auch in der derzeitgen Staatskrise auf dem Spiel. Eine No-Win-Situation: Wie immer sich Europa verhält - weitere An-näherung, Stopp der Beitrittsverhandlungen, sich Arrangieren mit den Kemalisten oder mit dem politischen Islam - es gibt zur Zeit keine Lösung, die mit den Standards der EU wirklich in Einklang zu bringen wäre.

otto.friedrich@furche.at

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