„Männer geben ungerne Macht ab“

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Was ist Sexismus? Die renommierte Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak im Interview über Formen der Diskriminierung und warum Österreich im Bereich Sexismus manchen anderen europäischen Ländern nachhinkt.

Die Furche: Frau Professorin, was ist eigentlich Sexismus?

Ruth Wodak: Sexismus ist eine Diskriminierung gegenüber Frauen und Männern aufgrund ihres biologischen Geschlechts. Es werden jeweils Frauen oder Männern ganz allgemein bestimmte negative Merkmale zugeschrieben, ausschließlich aufgrund des biologischen oder sozial konstruierten Geschlechts.

Die Furche: Unterscheidet sich Sexismus von anderen Formen der Diskriminierung?

Wodak: Grundsätzlich nein. Auch bei Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus oder Islamophobie funktionieren die Diskriminierung und Ausgrenzung immer über die Zuschreibung bestimmter negativer Merkmale an eine quasi als homogen angenommene Gruppe. Man konstruiert also sprachlich „die Anderen“: religiös andere, geschlechtlich andere, ethnisch andere.

Die Furche: Wie unterscheidet sich Sexismus von einer Stereotypisierung?

Wodak: Stereotype kann man zunächst relativ wertfrei als Reduktion von Komplexität definieren. Wir alle reduzieren komplexe Phänomene, indem wir gewisse Vor-Urteile haben. Gefährlich wird es dann, wenn diese Stereotype dazu verwendet werden, um Urteile abzugeben: Dann bewegt man sich vom Vorurteil zum Urteil und nimmt dieses als richtig an, obwohl wir uns im Bereich des Glaubens und nicht begründeter Aussagen oder getesteter Hypothesen befinden; und weiter, wenn in einem nächsten Schritt solche Stereotype oder Klischees dazu verwendet werden, um andere auszugrenzen.

Die Furche: Warum hält sich Sexismus so hartnäckig?

Wodak: Eine kurze Antwort gibt es darauf nicht. Die Diskriminierung von Frauen beruht auf jahrtausendealten Meinungen, die ideologisch und/oder religiös begründet wurden. Das kann man nicht von einem Tag auf den anderen ausräumen. Andererseits hat sich seit der Frauenbewegung in den 1970er Jahren viel auf gesetzlicher oder sprachlicher Ebene getan. Bis aber gesetzliche Bestimmungen – etwa aus Menschenrechtserklärungen, Verfassungen, europäischen und nationalen Gesetzen wie in Österreich dem Gleichbehandlungsgesetz – in den Alltag sickern und Alltagsbewusstsein verändern, dauert es lange. Sexismus hält sich aber auch so hartnäckig, weil die andere Gruppe, in diesem Fall die Männer, ungerne Macht abgeben.

Die Furche: Was halten Sie von diesem Bundesheer-Video, das für Aufregung sorgte?

Wodak: Es spielt mit sexistischen Motiven. Man müsste die Textproduzenten fragen, warum sie dieses Video so gestaltet haben. Es gibt verschiedene Lesarten: Es könnte ironisch-sarkastisch gemeint sein oder man hat in die alte sexistische Mottenkiste gegriffen. Das ist nicht entscheidbar. Aber es kommt schon so rüber, dass es soziale Normen verletzt.

Die Furche: Was soll aus Ihrer Sicht gegen Sexismus getan werden?

Wodak: Es müsste gleichzeitig auf vielen Ebenen angesetzt werden: Einerseits ist es wichtig, wissenschaftliche Informationen über Vorurteilsbildung und Stereotype zu geben, zum Beispiel in Schulbüchern. Da ist schon viel passiert. Die zweite Ebene ist die sprachliche Gleichbehandlung. Es geht darum, dass Frauen sichtbar sind und nicht gesagt wird, sie seien mitgemeint, wenn die männliche Form verwendet wird. Das hatte eben dazu geführt, dass Frauen nicht sichtbar waren. Das dritte ist die sogenannte „Gläserne Decke“, die institutionalisierten Machtstrukturen. Es gibt verschiedene Verfahren, zum Beispiel Quotenregelungen, um diese zu durchbrechen. Wenn vormals Minderheiten zu Mehrheiten oder gleich großen Gruppen werden, dann lösen sich auch Klischees auf. Die vierte Ebene sind gesetzliche Maßnahmen.

Die Furche: Glauben Sie, dass Österreich schlechter dasteht im Vergleich zu anderen Ländern, was den Sexismus betrifft?

Wodak: Österreich ist ein interessanter Fall. Ich lehre momentan in England und beziehe mich auf diese Erfahrung. Einerseits gibt es in Österreich tolle gesetzliche Maßnahmen, die es etwa in England nicht gibt: etwa Karenzurlaub für Mütter und Väter oder die Gleichbehandlungskommissionen im öffentlichen Dienst. In rechtlichen Belangen ist Österreich also weit vorne. Was das Alltagsbewusstsein betrifft, da sind manche Bevölkerungsgruppen in Österreich aber nicht so weit.

Die Furche: Worauf führen Sie das zurück?

Wodak: Es gibt komplexe und vielschichtige Traditionen, etwa jene der Monarchie, des Katholizismus oder auch des Erlebens des Dritten Reiches. Da gab es rassistische und ausgrenzende Ideologien, die nicht nur gegen Frauen oder bestimmten Gruppen von Frauen diskriminiert haben. Das war etwa in England anders. Es kommt immer auch auf das historische kollektive Bewusstsein an.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

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