Die Detektivin der Diskurse

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Sie untersucht, was zwischen den Wörtern liegt - und fahndet nach Identitäten: Doris Helmberger über die Soziolinguistin Ruth Wodak.

Jetzt ist schon wieder was passiert. Wie so oft, wenn Ruth Wodak in Lancaster die Koffer packt und in der Wiener Berggasse landet. Alle vier, fünf Wochen besucht sie ihre Kollegen hier am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien, betreut Dissertanten, bespricht Projekte. "Und regelmäßig ist dann etwas passiert, wo mir Freunde sagen: Hast du das schon gehört?"

Der aktuelle Fall: John Gudenus. "Ich fordere immer wiederum eine Prüfung", meinte der Bundesratsabgeordnete auf die Frage, ob es Gaskammern gegeben hat. Ein raffinierter Satz, konstatiert die Sprachwissenschafterin: "Linguistisch gesehen finden wir hier eine Präsupposition und eine Implikatur", erklärt die 54-Jährige - und nimmt einen kräftigen Zug an ihrer Zigarette. "Dabei setzt man voraus, dass diese Frage noch nicht wissenschaftlich genug geprüft worden ist, sonst würde man ja nicht eine neue Prüfung verlangen."

Es sind nicht nur verbale Missgriffe wie jene von Gudenus, die Wodak unter die Lupe nimmt. Ihr geht es um sämtliche Diskurse: um Machtstrukturen, die sich in Sätzen verbergen, um Identitäten, die zwischen den Zeilen durchschimmern, um das, was gesagt wird - und was es wirklich heißen könnte.

Die rein formal-linguistische Analyse von Sätzen oder Dialogen ist Wodak zu wenig. Sie schürft nach den Zusammenhängen zwischen Gesellschaft und Kommunikation - mit praktischen Konsequenzen: Schulmaterialien zum Thema Rassismus hat sie ebenso kreiert wie Richtlinien zur sprachlichen Gleichbehandlung von Mann und Frau. "Mich interessieren immer Themen, die mich auch persönlich fesseln", gesteht die Forscherin mit einem entwaffnenden Lachen.

Diplomatisch reden

Das Interesse für die Sprache und ihre Zwischentöne wird ihr schon in die Wiege gelegt - ebenso wie die Sensibilität gegenüber Antisemitismus und Xenophobie: Beide Eltern Wodaks müssen 1938 unabhängig voneinander vor den Nazis fliehen. "Meine Mutter hat die Straße vor dem chemischen Institut nicht nur einmal waschen müssen - unter Zuschauen von Passanten und sa", erzählt Wodak. Im Londoner Exil angekommen, verdient sich die Mutter als Putzfrau ihren Lebensunterhalt - bis sie mit Hilfe eines Stipendiums in Manchester ihre Chemie-Dissertation vollenden kann. 1944 heiratet sie Walter Wodak, einen Juristen und Austromarxisten, der Education Officer in der britischen Armee geworden ist und von London aus via Radio Wien in die Heimat spricht. Kaum ist der Krieg zu Ende, kehrt der glühende österreichische Patriot nach Wien zurück, tritt in den diplomatischen Dienst und wird von der österreichischen Regierung beauftragt, Verbindung zur Labour Party herzustellen - unter anderem, um ein Veto gegen den Staatsvertrag zu verhindern. Die Karriere Wodaks steigt weiter an: Er wird Botschafter in Belgrad, in Moskau und Generalsekretär des Außenamts.

Immer mit dabei: seine Frau, die für ihren Mann die wissenschaftliche Karriere opfert, und Tochter Ruth, die 1950 in London geboren wird. "Ich war ein Einzelkind und musste immer Kontakt finden", erinnert sie sich zurück. "Da ist es klar, dass man die Sprache lernen muss und kommunikative Fähigkeiten braucht." Tatsächlich lernt sie neben Deutsch, Englisch und Französisch auch noch Serbisch, Russisch und (passiv) Italienisch.

Machtgefälle vor Gericht

Es ist das Umbruchsjahr 1968, als sie an der Universität Wien das Slawistik-Studium belegt. Doch fasziniert von Noam Chomskys Satzgrammatik, wechselt sie in die Sprachwissenschaft. "Mehr als die formalen Grammatiken hat mich Kommunikation als soziales Phänomen interessiert", meint die Forscherin rückblickend. In akribischen Protokollen untersucht sie das Sprachverhalten von Angeklagten bei Gericht und verfasst auf dieser Basis ihre Doktorarbeit, die 1975 als Buch erscheint. "Dieses Buch war eine herausragende Leistung im deutschen Sprachraum", bestätigt Wodaks Doktorvater und späterer Kollege am Institut für Sprachwissenschaft, Wolfgang Dressler. "Damit hat sie ihr Fach, die Soziolinguistik, selbst definiert."

Ein Fach, das durch seinen interdisziplinären Zugang besticht. Auch in ihrer Habilitation blickt Wodak über den Tellerrand: "Das Wort in der Gruppe. Linguistische Studien zur therapeutischen Kommunikation", lautet der Titel des Opus, für das sie 1980 den Kardinal-Innitzer-Preis erhält.

Die junge Professorin macht bald Schule: Statt im stillen Kämmerlein Theoriekonzepte auszubrüten, entwickelt sie ein ausgeprägtes Sensorium für gesellschaftlich relevante Themen. Einmal verbringt sie gemeinsam mit ihrem Team einen Vormittag in einer Ambulanz, registriert in teilnehmender Beobachtung die sprachlichen Dynamiken und entwickelt daraus ein TrainingsSeminar für Ärzte. Ein anderes Mal entwirrt sie Gesetzestexte. Wieder ein anderes Mal geht sie den Problemen von Mütter-Töchter-Diskursen auf den Grund. Um den Beziehungen auf den Zahn zu fühlen, lässt sie elfjährige Mädchen und Buben Aufsätze über ihre Mütter verfassen. Das Ergebnis ist überraschend - und für Wodak, selbst Mutter eines 21-jährigen Sohnes, sehr erfreulich: "Es ist für Mütter-Töchter-Beziehungen nicht entscheidend, welcher Bildungsschicht die Familie angehört oder ob die Mutter berufstätig ist. Wichtig ist, ob sie mit ihrem Leben zufrieden ist."

Wodak selbst kann über mangelnde Herausforderungen nicht klagen - schon gar nicht Mitte der achtziger Jahre, als Jörg Haiders rechtspopulistischer Sprachgebrauch aufkommt, der in Österreich auf fruchtbaren Boden fällt. Wodak untersucht politische Reden, zerpflückt die Sprache von Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung und untersucht im Jubiläumsjahr 1988 die Berichterstattung über das Hrdlicka-Denkmal und Thomas Bernhards Skandalstück "Heldenplatz".

Während ihre Methode der kritischen Diskursanalyse im rechten Lager für Aufregung sorgt, streuen ihr ausländische Evaluatoren Rosen. Spätestens 1996 wird ihre wissenschaftliche Ausnahmestellung offiziell: Die Soziolinguistin erhält den erstmals vergebenen Wittgenstein-Preis des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (fwf) - die höchste wissenschaftliche Auszeichnung des Landes. Das Preisgeld von 1,1 Millionen Euro verwendet sie, um an der Universität Wien bzw. ab 1999 an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften das Forschungszentrum "Diskurs, Politik, Identität" aufzubauen. Im Zentrum des Interesses: die europäische Identität. Mit ihrem Team beobachtet sie die Reden im eu-Konvent und durchforstet die Chats auf der Website der Kommission. "Selbst bei europäischen Themen wie Verfassung kommt immer die nationale Perspektive ins Spiel", lautet Wodaks Fazit. Entsprechend wenig überrascht ist sie über die Ablehnung der eu-Verfassung in Frankreich und Holland.

Frauenfeindlicher Unterton?

40 Bücher und rund 200 Artikel werden im Zuge des Forschungsprojekts publiziert. Es kommt zu einer ausgezeichneten internationalen Evaluation - doch im Dezember 2002 zum Eklat: In einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften wird Wodak - selbst nur korrespondierendes Akademie-Mitglied - als Leiterin des Nachfolgeprojekts "Theoretische und angewandte Text- und Diskursforschung" mit 19 zu 18 Stimmen abgelehnt. Wodak ortet antisemitische und frauenfeindliche Untertöne, die Akademie weist diese Vorwürfe vehement zurück.

Was immer der Wahrheit näher kommt: Das Klima ist belastet. Schließlich folgt Wodak im September 2004 dem Ruf der Universität Lancaster an den Lehrstuhl für Diskursanalyse - einen der bedeutendsten des Fachs. So unterschiedlich die universitäre Situation in Österreich und England auch ist ("Wir haben in Lancaster ein Lehrer-Studenten-Verhältnis von 1:20!"), so ähnlich ist der Forschungsgegenstand: "Erst kürzlich haben wir den britischen Wahlkampf analysiert, in dem sehr ausländerfeindliche Slogans vorgekommen sind", erzählt die Diskursforscherin. "Da habe ich mir gedacht: Das kenne ich von irgendwo."

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