Kasse machen mit der Euro-Krise: Bücher gegen die Währungsunion

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Thilo Sarrazin schreibt sich seinen Frust über den Euro von der Seele: "Europa braucht den Euro nicht“ - aber braucht Europa Sarrazins Werk? Sicher ist: Der Buchmarkt benötigt ihn dringender.

Es war 1997 da schrieb ein bekannter Ökonom und Vizepräsident der deutschen Bundesbank ein Buch mit dem Titel "Der Euro, Chance oder Abenteuer.“ Darin wurde der Bürger, damals noch stolzer D-Mark-Besitzer, aufgeklärt, dass das mit der neuen Währung grundsätzlich eine gute Sache wäre. Die Frankfurter Allgemeine freute sich in ihrem Feuilleton über die Sachkundigkeit und die Eloquenz des Schreibers, Thilo Sarrazin: "Ein Euro-Optimist klärt auf.“ Von Zurückhaltung war schon damals beim Autor keine Spur zu erkennen: "An vielen Stellen fällt es Sarrazin schwer, mit seiner eigenen Meinung zurückzuhalten. Es wird deutlich, dass er die Währungsunion positiv beurteilt und den tendenziellen Europessimismus der Wissenschaft und der Bundesbank nicht teilt.“

2012 ist das ganz anders. Thilo Sarrazin hat das Lager gewechselt: Vom Bundesbanker zum Bestsellerautor. Vom Euro-Befürworter zum Kritiker. Das ist ein ziemlich weiter Sprung - auch und vor allem über moralische Grenzen. Als Bundesbanker ist man dem Wohl des Staates verpflichtet. Als Bestsellerautor der eigenen Börse. Wichtigste Frage deshalb: Was wollen die Leute lesen? Da, so denkt er richtig, würde eine Neuauflage der Euro-Eloge von 1997 schlecht kommen. Sarrazins Titel deshalb: "Europa braucht den Euro nicht.“

Darin, so lässt der Verlag die wartenden Journalisten in einer Inhaltsbeschreibung in Länge eines Bildtextes wissen, gäbe es Folgendes zu entdecken: "Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat“ - mit dem offensichtlichen Sukkus, dass Europa eben auch ohne Euro funktionieren könne. Viel mehr Information gibt es nicht, den Rest kann sich der Interessierte ohnehin aus den Vorträgen Sarrazins zum Thema zusammenklauben. Hauptbotschaften aus den vergangenen drei Jahren: Europa wird die Euro-Krise nicht lösen können, Griechenland soll Pleite gehen: "Dass General Motors in die Insolvenz gegangen ist, hat den Dollar nicht beeinträchtigt. Wieso soll es den Euro beeinträchtigen, wenn Griechenland insolvent geht?“ Etwa vorsichtigere Ökonomen würden dem entgegnen, dass Griechenland der erste Dominostein einer gigantischen Staatspleitenwelle sein könnte, weshalb vosicht am Platz sei. Aber Vorsicht ist eben nichts für Bestseller.

Bleiben wir bei der titelgebenden Botschaft, dann trifft Sarrazin wie schon mit "Deutschland schafft sich ab“ den Nerv der aktuellen Stammtischdiskussion. Das bedeutet nicht nur 50.000 Startauf-lage, sondern auch monatelanges Bestsellerlistengeheul und eine steigende Sehnsucht nach D-Mark - und Schilling.

Ab Herbst wird sich Sarrazin mit dem Ökonomen Hans-Werner Sinn um die Verkaufs-ränge streiten müssen. Sinn ist Wissenschafter, aber die Kernthese seines Buches - zu entnehmen dem Beipacktext des Hanser-Verlags - klingt weder differenziert noch distanziert: "Alle wollen unser Geld, aber wenn wir uns dagegen wehren, werden wir überstimmt und mit Nazi-Parolen beschimpft. Deutschland sitzt in der Falle.“ Die Startauflage erreicht auch hier Stammtischflughöhe: 50.000 Stück.

Hans Werner Sinn ist so wie Thilo Sarrazin nicht frei von Widersprüchen. Früher war Sinn noch eingefleischter Neoliberaler, der gegen den lähmenden Sozialstaat wetterte. Ab 2009 protestierte er, dem Trend der Zeit folgend: "Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste sozialisiert.“ Würden Sarrazin und Sinn mit ihren Thesen bloß Geld machen, es wäre für die Gesellschaft unerheblich. Aber sie werden den Diskurs im wichtigsten Land der Eurozone mitbestimmen. Salonfähig wird, was jahrelang nur gemunkelt und gerülpst wurde: Weg mit dem Euro, weg mit den Schuldenländern. Die Autoren haben es dabei viel bequemer als ihre Leser: Mit den Einnahmen aus den zu Zehntausenden verkauften Büchern müssen sie sich nicht mehr damit auseinandersetzen, was die von ihnen beförderte Politik auslöst.

Die Schweizer Bank UBS hat eine Studie erarbeitet, die die Kosten einer Auflösung der Eurozone als Ganzes oder eines Austritts einzelner Länder quantifiziert. Deutschland Austritt würde demnach schlimmsten Falls folgende Konsequenzen haben: Im ersten Jahr pro Kopf Kosten von 6.000 bis 8.000 Euro für jeden Deutschen oder ein Äquivalent von 25 Prozent des BIP durch einen "Zusammenbruch des internationalen Handels und eine erzwungene Rekapitalisierung des Bankensektors.“ Ebenfalls, so die Experten der Schweizer Bank sei in Rechnung zu stellen, dass historisch "kein Währungssystem auseinandergebrochen ist, ohne dabei eine autoritäre oder Militärregierung oder einen Bürgerkrieg zur Folge zu haben.“ Sukkus: "Die öffentliche Diskussion über die Zerfalls-Option unterschätzt die Folgen eines solchen Auseinanderbrechens in hohem Maße.“

"Europa braucht den Euro nicht“ behandelt so gesehen nicht nur das "politische Wunschdenken“ einer Generation von Politikern. Die These des Autors selbst könnte sich als Wunschdenken erweisen. Vorsichtige Ökonomen hätten vielleicht anders getitelt: "Wir hätten den Euro nicht gebraucht -aber jetzt müssen wir dazu stehen.“ Doch damit wäre wohl die Auflage Richtung 5.000 gerutscht - und so instinktreich ist dann ein Bestseller-Ökonom auch, dass er das seinem Konto nicht zumuten will. Klotzen nicht kleckern!

Europa braucht den Euro nicht

Wie uns politisches Wunschdenken in die Krise geführt hat.

Von Thilo Sarrazin, DVA 2012;

464 Seiten, gebunden, € 23,70

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