Die korrumpierte GEWALT

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Zunehmend wird darüber Klage geführt, dass trotz behaupteter Medienvielfalt keine dementsprechende Diversität in der veröffentlichten Meinung herrsche.

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Zunehmend wird darüber Klage geführt, dass trotz behaupteter Medienvielfalt keine dementsprechende Diversität in der veröffentlichten Meinung herrsche.

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Wenn das (Augen-)Maß verloren geht, dann ist Gefahr. Wenn die Medien, die sich gern als "vierte Gewalt" gerieren, ebendieses Maßes entraten, dann ist Feuer am Dach. Deren Selbstermächtigung als eine weitere tragende Säule im gewaltenteilig organisierten Rechtsstaat steht auf eher tönernen Füßen, zumal der Aktionsradius der Medien weniger leicht zu fassen ist als für die klassische Dreiheit Exekutive, Legislative und Rechtsprechung. Auch bei der Möglichkeit zur Sanktionierung von Fehlverhalten tut man sich schwer. Vertreter der Medienbranche verweisen da gerne auf Mechanismen und Institutionen zur Selbstkontrolle wie beispielsweise Presseräte, aber diese basieren auf Freiwilligkeit und sind schon von daher in ihrer Gewichtung völlig disproportional gegenüber anderen Kontrollinstrumenten: Man stelle sich vor, ein interministerielles Komitee würde über korrektes Agieren einer Regierung befinden und dann bei tatsächlichem Fehlverhalten eines Ministers öffentliche Rügen aussprechen und den Betroffenen zur Besserung mahnen.

Das hier Dargelegte zur "vierten Gewalt" mag blauäugig erscheinen. Ein Medienmacher wird darauf hinweisen, dass die Medienfreiheit ja ein Menschenrecht ist und eine Demokratie ohne von politisch wie wirtschaftlich Mächtigen unabhängige Medien nicht existieren kann. Aber schon über die faktische Unabhängigkeit von Medien lässt sich trefflich streiten. Auch darüber, dass trotz behaupteter Medienvielfalt eben keine dementsprechende Diversität in der veröffentlichten Meinung herrsche, wird zunehmend Klage geführt. Doch auch Medien sehen sich ökonomischem Druck und einem dementsprechenden Diktat der Quote ausgesetzt -nicht zuletzt daraus resultiert ein Abschreibejournalismus, der vorgefundene Information reproduziert und perpetuiert, ohne mehr die Zeit, Möglichkeit und Kraft zu haben, der Plausibilität und Richtigkeit der jeweiligen Sachverhalte noch nachzugehen.

Es gilt die Schuldvermutung

Solcher Befund ist ernüchternd - und wird leider, weil auch geschäftsstörend, nicht allzu breit diskutiert. Dabei gibt es aktuelle Anlässe genug, um dies innerhalb der Medien und in einem Diskurs zwischen Medien und Gesellschaft zu thematisieren.

Letzte Woche wurde der deutsche Bundespräsident a. D. Christian Wulff von Bestechungsvorwürfen freigesprochen. Es hatte sichschön längstabgezeichnet, dass die auch von den Medien betriebene Schuldvermutung in sich zusammenbrechen würde. Interessant, dass Boulevard wie Qualitätsmedien da gleichermaßen dem Politiker am Zeug flickten. Unabhängig davon, dass das Verhalten von Christian Wulff als Bundespräsident und davor natürlich ein Gegenstand kritischer Erörterung in den Medien zu sein hatte, wäre es nach diesem Freispruch geradezu ein Gebot der Stunde, auch die Rolle der Medien in dieser Causa ebensolcher Erörterung zu unterwerfen. Bis dato ist davon allerdings wenig zu bemerken. Paradigmatisch dafür mag der Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Tag nach dem Wulff-Freispruch stehen, wo der Autor die politischen und kommunikationstechnischen Fehler des gefallenen Präsidenten auflistet; zu einer Selbstkritik der Medien konnte sich Herausgeber Berthold Kohler aber nicht wirklich aufraffen. Nur der kleine Satz: "In der Endphase der ,Affäre Wulff' gab es Übertreibungen, in den Medien wie in der Politik " entschlüpfte ihm. Das ist gar wenig in einer Debatte, die viel umfassender die Rolle und das Verhalten der Medien aufs Tapet bringen müsste, wollen diese den Hautgout einer korrumpierten Gewalt loswerden.

Man findet hierzulande Entsprechungen zu Deutschland. Niemand muss den zurzeit wieder vor Gericht stehenden Ex-Innenminister Ernst Strasser sympathisch finden oder seine politischen Positionen und Verhaltungsweisen goutieren. Aber dass es eine Spannung zwischen medialer Aufdeckung und Strassers Recht auf ein faires Verfahren gibt, ist kaum zu bestreiten. Diese Spannung und die Rolle der Medien dabei müssen diskutiert werden. Analoges gilt auch für die Causa von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser, die bekanntlich noch gar nicht vor Gericht verhandelt worden ist.

In ein ähnliches Horn stößt auch Thilo Sarrazins eben erschienenes Buch "Der neue Tugendterror", obwohl der Gottseibeiuns des deutschen Feuilletons mit Wulff in dessen Amtszeit nichts am Hut hatte und im Gegenteil von diesem allzu gern als Bundesbank-Vorstand in die Rente geschickt wurde, als Sarrazin ob seiner Bücher stark in der öffentlichen Kritik stand. Sarrazin konstatiert in seinem neuen publizistischen Erguss ein mediales Meinungskartell, das abweichende Meinungen wie die seine nicht zulasse und/oder verschweige. Er agiert da naturgemäß pro domo, aber die im Buch angeführten Beispiele, wie er an der Artikulation seiner Thesen gehindert wurde, erschrecken in ihrer Geballtheit. Wie zum Beweis, dass die Vorhalte keine sarrazinische Paranoia sind, musste letzten Sonntag eine Diskussionsveranstaltung mit ihm im Berliner Ensemble wegen lautstarker Proteste einiger Sarrazin-Gegner abgebrochen werden.

Der Bannerträger der Ungleichheit

Das hat im Übrigen nichts damit zu tun, dass man auch gegen das Buch scharfen Widerspruch einlegen kann und soll. Dies beginnt beim Titelwort "Tugendterror", mit dem der Autor seine Gegner bedenkt: Gewalttätige Sprache sollte im Diskurs nichts verloren haben. Auch die vom Autor ausgewalzte These einer Ideologie der Gleichheit, der er viele der akuten Probleme Deutschlands und Europas anhängt, muss in ihrer Einseitigkeit keineswegs hingenommen werden. Sarrazin hält dementsprechend ein flammendes Plädoyer für die Ungleichheit, die er vom überkommenen Marxismus, aber auch vom Christentum respektive der Katholischen Soziallehre desavouiert sieht. Dass bei ihm folgerichtig eine Eliten-Beschwörung fröhliche Urständ feiert, verwundert kaum. Denn auch Sarrazin ist ein Meister des groben Klotzes und weniger der feinen Klinge. Und er spielt gekonnt auf der Klaviatur der Medien, um dieselben als link(sliberal)e Meinungsterroristen niederzumachen. Er generiert so selber Empörungsrituale, die er, wenn sie sich gegen ihn richten, geißelt.

Ja auch Thilo Sarrazin bleibt (s)einer Ideologie verpflichtet - wenn er beispielsweise am Islam respektive den Muslimen in Deutschland so gar kein gutes Haar lässt. Der islamkritische Mainstream (Henryk M. Broder, Necla Kelek etc.), auf den er sich gerne beruft, ist mindestens so ein Meinungskartell wie jenes, das es ihm, wie er schreibt, verunmöglicht, seine Meinung zu äußern.

Dennoch: Es geht um einen Diskurs -auch und gerade in den Medien. Hier hat Sarrazin in der Sache recht: Es geht nicht an, abweichende Stimmen mundtot zu machen. Der Voltaire zugeschriebene Ausspruch: "Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen", hat nichts von seiner aufklärerischen Aktualität verloren. Es spricht allerdings nicht für den medialen Diskurs der Gegenwart, wenn man an ihn wieder und wieder erinnern muss.

Der neue Tugendterror Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Von Thilo Sarrazin. DVA 2014.398 Seiten, geb., € 23,70

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