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Die Asthetik der Wander der Technologie begreifen

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Der Einfall, das Institut du Monde Arabe in Paris mit einer in-teraktiven, auf die aktuelle Sonneneinstrahlung reagierenden Fassade auszustatten, machte Archi-tekt Jean Nouvel 1987 iiber Nacht zu einem Star der internationalen Archi-tekturszene. Vor kurzem wurde Nou-vels jiingstes Gebaude, ein Kaufhaus der Galeries Lafayette in der Berliner Frie-drichstrafle, eroffnet. Zwei weitere Projekte fiihren den Pariser Ar-chitekten auch nach Osterreich: vier Wohn-blocks in \ der Le6-pold&uerstraBe in Wiph und ein Biiroge-baude in Bregenz.

|fie> auBergewohnli -che • Kreativitat Nou-vels, sein Mut zum Ri-siko und seine Experi-mentierlust basieren auf seiner Berufung, Visionen und Realitat zu vereinen. Fiir ihn heiBt Architek-tur nicht einfach „unsere gebaute Welt zu erfinden", denn seine Iden-titat liegt in der Beschreibung der Ge-genwart mit den Mitteln der Archi-tektur. Nouvels zahlreiche Verweise auf die Philosophen Virilio und Baudrillard, aber vor allem die Definition theoretischer Prinzipien, die er an seinen Projekten beispielhaft er-probt und auf ihre Giiltigkeit hin un-tersucht, sind Grenzgange. Er findet die aktuelle Situation der Architektur spannend, stellt aber selbst unter Be-weis, daB intellektuelle Konzepte nur dann keine „Gedankengebaude" bleiben, wenn diese der Praxis - auch der Lebenspraxis der Beniitzer — standhalten. Jean Nouvel (50) ist ein humorvoller, emotionsgeladener Mensch, der iiber seine Gedanken in

hinreiBender Form spricht. Verpackt in delikate franzosische Wortgefiige macht er durch Sprache „sichtbar" und charakterisiert in sehr personli-cher Art den Zustand der Welt mit Satzen wie: „Alles Moderne ist hell-wach!"

Schon mit 25 griindete Nouvel sein erstes Architekturbiiro. Als 21jahriger war er bereits mit der Bauleitung eines Supermarktes betraut. Damals hatte er gerade zwei Jahre an der Ecole de Beaux Arts in Paris studiert. Was ihn als Architekt aus-zeichnet? „Ich war eben immer

schnell." Die Tatsa-che, daB Nouvels Architektur von der Theaterwelt sowie vom Welttheater ausgeht, verleiht ihr Brillanz und Tief-griindigkeit. Ohne aber beim Thema Biihne hangenzu-bleiben, interessie-ren ihn alle bilderzeugenden Medien. In technischer Hinsicht operiert das Medienzeitalter niit gerasterten Bil-dern (Zeitungen)| mit Pixeln (Com-puterbildschirm), mit Film und Video. Alles bezieht Nouvel in seine Architektur ein, um sie lebendig und entwicklungsfahig zu halten. Aber anders als viele seiner Kollegen wurde er Architektur nie als autonome Disziplin bezeichnen (Er arbeitete etwa an einem Projekt fiir ein FuB-ballstadion mit einem Buhnenbildner zusammen, was zu beweglichen Zu-schauertribiinen fiihrte.)

Nouvel liebt die Verbindung zwi-schen Architektur und „Kulisse" so sehr, daB er seine Arbeit mit der eines Filmregisseurs vergleicht. Denn in der Architektur wie beim Film geht es um die „Produktion von Bildern". In

Nouvel lebt der Blick eines Kamera-mannes: Er legt die Nuancen von Bildkompositionen fest, bildet Tiefe im Raum und bestimmt wie mit Filmschnitten das Tempo und die Ab-folge von Sequenzen. „Ein Architekt ist jemand, der es sich ausgesucht hat, Fragmente des Reellen zu erzeugen", meint er dazu. Die Fondation Cartier in Paris ist das zur Zeit wichtigste Werk Nouvels, was die Umsetzung seiner Ideen von Szenographie in der Architektur anbelangt. Cartiers Fir-mensitz mit Ausstellungsraumen fiir zeitgenbssische Kunst am Mont-parnasse befindet sich auf einem Grundstiick, das dem Dichter Chateaubriand gehbrte. Aus dieser Zeit stammt eine Zeder, die in die Architektur integrierte wurde. Niemals hatte Nouvel fiir den Bau die Zeder geopfert, denn die „Liebe zur Ge-schichte und die Liebe zur Moder-nitat" miissen eins werden, wenn aus Architektur Orte entstehen sollen.

Das Gebaude besteht nur aus Stahl und Glas, das Nouvel als „Fetischma-terial" des Jahrzehnts bezeichnet. Ab der StraBe wird der Bau von einer „durchsichtigen Gartenmauer" be-grenzt. Glas wiederholt sich als Fassa-

de des „wirklichen" Hauses. Dann aber in Form einer AuBenhaut, die seitlich weit iiber den Baukbrper ge-spannt ist. Das Gebaude erscheint wie eine Abfolge glanzender Flachen, aber nicht als wirkliches Volumen. Ein Vergleich mit den Scheinarchi-tekturen fiir Filme drangt sich auf. Bewegt sich der Besucher in einer der empfehlenswerten Ausstellungen, so befindet er sich inmitten eines Spieles der Konfrontation von Innen und AuBen. Jeder Schritt, jede Drehung erbffnet neue Sehereignisse in der Weise subtiler Uberlagerungen von der Natur im Garten und der Kunst im Inneren. Ein Aufenthalt erscheint wie der Ablauf eines Filmes, denn trotz der strengen Architektur gleicht ihre visuelle und emotionale Erfas-sung einer zeitgebundenen Reihe von Sequenzen. Nouvel bestatigt, daB alles programmiert wurde. „Au6er das Spiegelbild des Wetters", ftigt er an.

Neben Glas bietet Nouvel der Ein-satz von farbigem Licht eine weitere Mbglichkeit zur Bildung architekto-nischer Ereignisse. Beim Umbau der Oper von Lyon wurde verschwende-risch mit Bot, der Lieblingsfarbe der meisten Architekten, gearbeitet. In

der Nacht wird das urspriinglich klas-sizistische Opernhaus, das Nouvel durch einen i oben abgerundeten Baukbrper iiberspannte, zur sensatio-nellen Botschaft fiir die ganze Stadt.

Diejiingst fertiggestellten Galeries Lafayette in Berlin gehen in neuer Art auf Jean Nouvels Motive Bildregie, Spannung, Licht und Glanz ein. Die ganze Inszenierung der Architektur zielt auf den grandiosen visuellen Ef-fekt um einen zentralen inneren Lichthof. Es entfaltet sich ein Spiel mit den Geometrien von Kegeln und Trichtern, die Einblicke auf das Ge-schehen in den Geschossen ober- und unterhalb geben. Ihre verglaste In-nenhaut reflektiert das einfallende Licht. Die Welt des Konsums erstrahlt in Glanz. Die Eindriicke andern sich mit den Tageszeiten und Wetter. „Fur mich", resumiert Nouvel, „steht klar fest, daB wir uns in Richtung mu-tierender Bauten bewegen. Man wird sie nicht mit einer Definition ausstat-ten, sondern mit einer Strategic, die in ihrer Fahigkeit besteht, Dinge aufzu-nehmen und miteinander zu verbin-den, die noch nicht einmal erfunden sind, es aber eigens dafiir werden."

Fondation Cartier pour I'art content-porain:

261, boulevard Raspail, F- 75014 Paris, Mo bis Sa 12 bis 18 Uhr, Do bis 22 k Jeden Do (aufier Juli und August) „Soirees Nomades", 20.30 h, (Perfor-mancekunst, Avantgarde)- Ausstellun-geru „TatsuoMiyajima"Bis 19. 5. 1996: „Les Oiseaux":14. 6. bis 15. 9.1996.

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