Auf der Suche nach dem verlorenen PARADIES

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Die Gier des Kapitalismus bekämpfte Pound mit Lyrik, ideologische Zuflucht suchte er im Faschismus. Erinnerung an einen fast Vergessenen.

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Die Gier des Kapitalismus bekämpfte Pound mit Lyrik, ideologische Zuflucht suchte er im Faschismus. Erinnerung an einen fast Vergessenen.

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Ich habe meine Mitte verloren / da ich antrat gegen die Welt / Träume prallen aufeinander / und zerschellen /und dass ich mich machte an ein 'Paradiso/terrestre'". In diesem Fragment beschrieb Ezra Pound die Grundintention seines kaum überschaubaren dichterischen Werks. Ähnlich wie Dante Alighieri war er auf der Suche nach einem Paradies, das jedoch nicht von christlichen Vorstellungen inspiriert ist; sein "Paradiso terrestre" bestand aus einer poetischen Wiederverzauberung der vom Kapitalismus entzauberten Welt, die er als Utopie einer gerechten Wirtschaftsordnung und einer harmonischen Gesellschaft entwarf. Der Weg zum erträumten Paradiso terrestre war kein geradliniger Weg, sondern glich den Irrfahrten von Odysseus, die Pound an zahlreiche Gestade führten, von denen er nicht unbeschadet zurückkehrte.

Geboren wurde Ezra Loomis Pound am 30. Oktober 1885 in Hailey, Idaho. Sein Vater war Münzprüfer, seine Mutter stammte aus der Familie des Dichters Henry Wadsworth Longfellow. Der 16-jährige Pound begann ein Studium der Literatur an der Universität von Pennsylvania, das er eigenwillig betrieb. Er wollte "alle unerheblichen Fächer" sprengen und konzentrierte sich auf französische, spanische und italienische Literatur. Nach einem kurzen Zwischenspiel als Dozent für Spanisch und Französisch übersiedelte der angehende Poet 1908 nach London, wo er mit Unterbrechungen bis 1920 lebte. Dort nahm er mit den bedeutendsten englischsprachigen Literaten seiner Zeit Kontakt auf; unter anderen mit dem irischen Nobelpreisträger William Butler Yeats, James Joyce und T.S. Eliot und unterstützte sie in ihrer Arbeit. In diesen Jahren zählte er zur literarischen Bewegung der "Imagisten", die mit verknappter lyrischer Sprache experimentierte und von japanischen Haikus beeinflusst wurde. Wesentlich war das Moment des Dynamischen: "Ein Image ist etwas, das einen intellektuellen und emotionalen Komplex innerhalb eines Augenblicks darstellt", notierte Pound. Die optimale Umsetzung dieser Programmatik findet sich dann in dem Gedicht "In einer Station der Metro":"Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge: / Blütenblätter auf einem nassen schwarzen Ast."

Literarischer Höhenflug

Pounds literarischer Höhenflug setzte sich in Paris fort, wohin er 1920 übersiedelte. Dort lernte er unterschiedliche Schriftsteller und Künstler wie Jean Cocteau, Tristan Tzara, Francis Picabia, Marcel Duchamp und den rumänischen Bildhauer Constantin Brancusi kennen, den er "als einen in einigen Dimensionen Heiligen" besonders schätzte und bei dem er Unterricht nahm. Während der Jahre in London und Paris publizierte Pound verschiedene Gedichtsammlungen wie "Dem Sextus Porpertius zur Huldigung","Hugh Selwyn Mauberly" und "Personae". In dem Band "Personae" propagierte Pound die Auflösung der einheitlichen Ich-Instanz; die Person sah Pound als Durchgangsstadium verschiedener Konfigurationen, die in verschieden historischen Epochen und geografischen Räumen gelebt haben: "Noch keiner hat gewagt, dies auszusprechen /Doch weiß ich, wie die Seelen großer Männer /Zuweilen durch uns ziehn, / Wie wir in ihnen aufgehn und nichts sind, / Nichts sind als ihrer Seelen Spiegelbild. / So bin ich Dante eine Zeitlang, bin /Einer namens Villon, Balladen-Prinz und Dieb, / Bin solche Heilige, dass ich ihre Namen /Nicht nennen mag aus Angst vor Blasphemie".

Den Fokus richtete Pound jedoch auf die Konzeption seines Jahrhundertwerks "Die Cantos", dem er sich ab 1924 -nach seiner Übersiedlung nach Rapallo -besonders intensiv widmete. Die Gedichtsammlung "Die Cantos", die rund 117 Gedichte umfasst, ist ein enigmatisches Kompendium avantgardistischer Lyrik, das neben persönlichen Erinnerungen, Assoziationen und Visionen ein unüberschaubares Konglomerat von historischen Quellen, Überlegungen zur Ökonomie, mythologischen Anspielungen und Zitaten, die von Homer über den Renaissancedichter Guido Calvacanti bis zu Gustave Flaubert reichen. Was die Lektüre erschwert, sind die zahlreichen Zitate verschiedener Schriftsteller und Philosophen, die in den verschiedenen Originalsprachen eingestreut wurden. Dazu kommen noch chinesische Ideogramme und ägyptische Hieroglyphen. Der Literaturwissenschaftler Heinz Ickstadt, der das Nachwort für die zweisprachige Ausgabe sämtlicher "Cantos" verfasste, vergleicht dieses Patchwork von scheinbar disparaten Textchiffren mit "Steinen, die ins Wasser geworfen, Ringe erzeugen, die überlappen und Muster bilden". Und Siegfried de Rachewiltz, der Enkel Pounds, der als Volkskundler, Kulturhistoriker und Schriftsteller tätig ist, spricht "von einem Stimmengewirr, in dem dauernd Menschen zu anderen Menschen über Jahrtausende hinweg sprechen".

In den "Cantos" geht Pound von einem "immerwährenden Kampf" aus, zwischen den Mächten der Hölle und den Kräften, die ein irdisches Paradies anstreben. Die Hölle - das ist die Profitgier des modernen Kapitalismus, den er mit einer abgrundtiefen moralischen Verkommenheit gleichsetzt. Im Begriff "Usura" - Wucher -geißelt Pound die Profitmaximierung um jeden Preis. Als Protagonisten der Hölle fungieren amerikanische Finanzminister, Manager der J.P. Morgan Bank, die, wie in jüngster Vergangenheit, riesige Gewinne machten und mehrere Wirtschaftskrisen auslösten, oder Spekulanten und Waffenlieferanten. Deren Habgier, die im Spätwerk Pounds an die Stelle der "Usura" rückt, zerstört alle organisch gewachsenen ökonomischen, sozialen und menschlichen Bindungen: "BEI USURA / kommt Wolle nicht zu Markt /Schaf wirft nichts ab bei Usura /Usura ist die Räude, Usura /macht stumpf die Nadel in der Näherin Hand /legt still der Spinnerin Rocken. / ( ) / Usura metzt das Kind im Mutterleib / Und wehrt des jungen Mannes Werben / Hat Schlagfluss in das Bett gebracht und liegt /zwischen der jungen Braut und ihrem Mann: CONTRA NATURAM".

Bekämpfen und beeinflussen

Pounds gesamtes Bestreben bestand nun darin, diese Mächte der Finsternis mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen: Er versuchte, selbst den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt zu beeinflussen, was ihm aber nicht gelang. In den "Cantos" stellte Pound der infernalischen Gesellschaft der Habgier das Gegenmodell des "Paradiso terrestre" gegenüber, das vom Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur geprägt ist. Eine Vorahnung solch eines paradiesischen Zustandes, der jedoch nur als intensiver Augenblick als eine Epiphanie des Göttlichen erlebt werden kann, wird im "Canto II" vermittelt: "Azurnerner Glast der Wasser, kühl, wallend, einhüllend. / Lohfarbene Sandstrecke, Sonnenstille, / Möwen spreizen die Flügel, / knippern zwischen Schwungfedern; / Schnepfen kommen zum Bad, / rucken den Schulterfittich / Feuchte Flügel zum Sonnen-Flor, / (). Da glüht es weinrot aus Untiefen, / flammt zinnern im Sonnengeblink".

Historische Lichtgestalten, gleichsam Propheten des Paradieses, sind Odysseus, Apollonius, der Weise von Tyana, Aenaes, dessen Flucht aus dem zerstörten Troja zur Gründung Roms führte, Sigismondo Malatesta, der Feldherr und Förderer der Künste und der Philosophie, und vor allen der chinesische Weise Konfuzius.

Faschismus und Hochverrat

Die zeitgenössische Lichtgestalt ortete Pound, der monomanisch an seinen fixen Ideen festhielt, allerdings in der Figur des faschistischen Diktators Benito Mussolini. Mit diesem Glauben, den er emphatisch während des 2. Weltkrieges in Radioansprachen über italienische Kurzwellensender verkündete, begann Pounds Höllenfahrt, die ihn vorerst in die Drahtkäfige amerikanischer Militärstraflager nahe Pisa und später in das St. Elizabeths Hospital in Washington D.C. führte. Nur knapp entging Pound der Todesstrafe wegen Hochverrats und Kollaboration mit den Faschisten Mussolinis, denen er selbst nicht geheuer war. Auf Fürsprache zahlreicher prominenter Schriftsteller wie T.S. Eliot, Ernest Hemingway und dem UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld erfolgte die Freilassung. Pound kehrte nach Italien zurück und zog für einige Zeit zu seiner Tochter Mary de Rachewiltz auf die Brunnenburg in der Nähe von Meran. Nach einigen Monaten entschloss er sich jedoch, nach Rapallo zu übersiedeln, wo er zunehmend von Depressionen und psychotischen Schüben heimgesucht wurde, die zu Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken führten. Zunehmend verweigerte sich Pound seiner Umgebung und versank in anhaltendem Schweigen, das er nur bei Besuchen von außergewöhnlichen Persönlichkeiten wie Pier Paolo Pasolini und Allen Ginsburg aufhob. Pound starb am 1. November 1972, einen Tag nach seinem 87. Geburtstag; er wurde auf der Friedhofsinsel San Michele in Venedig begraben.

Neben den Traumatisierungen, die Pound während seiner unmenschlichen Haft in dem Drahtkäfig und im St. Elisabeths Hospital erlitten hatte, kam Pound im Alter zur Einsicht, dass er sein eigentliches Ziel, mit den "Cantos" ein "Paradiso terrestre" zu präfigurieren, gescheitert war: "Ich bin kein Halbgott, es will sich mir nicht einfügen". Dem amerikanischen Beatlyriker Allen Ginsberg, der ihn in Venedig besuchte, gestand er: "Das Gute wurde durch meine Intentionen, meine Besetztheit mit irrelevanten und törichten Dingen verhunzt".

Der Literaturwissenschaftler Heinz Ickstadt nennt Pound "den Richard Wagner der modernen Dichtung, dessen Vorurteile zwar in die Inhalte ebenso wie in die Struktur seiner Musik eingingen, aber deren exzessive Sinnlichkeit ( ) auch jene beeinflussten, denen seine ideologische Botschaft ein Ärgernis war". Lesern, die sich auf sein Werk einlassen wollen, gibt Pound folgende verheißungsvolle Empfehlung: "Lesen, indes der weiße Flügelschlag der Zeit uns streift, / ist das nicht Seligkeit? / Freunde zu haben, die von fernher zu uns kommen, / ist das nicht Freude? / uns nichts daraus machen, dass wir unposaunt sind?"

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