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Japan und die europäische Kunst

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NO — VOM GENIUS JAPANS. Von Ernest Fen olios a, Ezra Pound, Serge Eisenstein. Herausgegeben von Eva Hesse. Übersetzt von Wieland Schmied, W. L. F i s c h e r, Elisabeth Kottmeier. Verlag der Arche, Zürich, 1963. 309 Seiten.

Ernest Fenollosa wurde 1878 als Professor für Philosophie nach Japan gerufen. Er hat sich bemüht, die damals zerrüttete japanische Kunst und Dichtung zu erneuern, indem er auf die Überlegenheit der bilderreichen japanischen Sprache gegenüber den oft in sterilen Begriffen gefangenen europäischen Idiomen verwies. Fenollosa war es auch, der als erster um 1900 mit Übertragungen von No-Spielen begann. Das No-Theater ist im 14. bis 15. Jahrhundert in Japan entstanden; in Schauspielerfamilien haben sich die einzelnen Stücke bis heute weiter tradiert. Fenollosa starb 1908, ohne seine Aufzeichnungen vollendet zu haben. 1913/14 erhielt der junge amerikanische Dichter .Ezra Pound — als er Sekretär bei Yeats war, der sich gerade um die Erneuerung des irischen Theaters bemühte — von der Witwe Fenollosas den Auftrag, die rohübersetzten No-Stücke in dichterische Sprache einzufangen. Die vorliegende Übertragung von Wieland Schmied ist wieder mehr den Originalen angepaßt, da inzwischen verloren geglaubte japanische Texte aufgefun- den und verschiedentlich ins Englische und Deutsche übersetzt wurden, ohne allerdings sich allzuweit von der dichterisch starken Nachdichtung Pounds zu entfernen Der Einfluß, den die Beschäftigung mit den No-Spielen auf Pounds Dichtung — auf seine „Cantos”! — ausübte, zog noch weitere Kreise und ist als die Bewegung vom „image” zum „Ideogramm” zu kennzeichnen. So wie Fenollosa es für die chinesischen Schriftzeichen aufzeigt, so bilden auch die einzelnen No-Stücke — von denen fünf an einem Abend gegeben werden — keine isolierten Bilder (image), sondern zeigen psychische Empfindungen in ihrem dynamischen und funktionalen Wirken. Die fünf No-Spiele stehen in keinem Handlungszusammenhang, ihre Folge ist durch Tempo, Modulation und psychische Ausdrucksstarke bestimmt So folgt dem einleitenden Götterspiel ein Kriegerstück und diesem ein zartes No der Frauen, dann zum Höhepunkt gesteigert ein Dämonen- und Geisterspiel, das im fünften Teil mit dem Sieg über die Dämonen in einem großen Schlußtanz endet.

Ähnlich wie die angelsächsische Dichtung vom Gedanken des Ideogramms, des symbolischen, aber lebendigen Bildes Anregung erhielt, hat Serge Eisenstein durch seine Begegnung mit dem japanischen Kabuki-Theater — einer realistisch-derben Abart des No — die „Montagetechnik nach visuellen Obertönen” für den Film entwickelt. Auch ihm geht es darum, einzelne Bilder zusammenzuschneiden, die nicht in einer Handlungsfolge stehen, sondern dem Zuschauer psychische Empfindungen suggerieren, die auf der Leinwand nur symbolisch angedeutet werden. Auch hier geht es darum, Tempo und psychischen Aussagewert einzelner Szenen so zusammenzubringen, daß für den Zuschauer eine erlebte Einheit entsteht; so wie der Leser eines Gedichtes nicht im Mosaik der angesprochenen Bilder und Eindrücke steckenbleiben darf, sondern sich zur Einheit durchringen muß, die selbst nirgends wirklich ist, außer im Leser selbst.

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