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Eliot und Pound über Dichter und Dichtung

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Verlag der Arche, Zürich.

Es ist interessant, die essayistischen Bücher der beiden großen Wegbereiter der Lyrik unseres Jahrhunderts und einstmaligen Weggefährten nebeneinander zu lesen und miteinander zu vergleichen.. Wenn auch die vorliegenden Bände ungefähr zum gleichen Zeitpunkt in deutscher Sprache publiziert wurden, so darf bei der Lektüre nicht übersehen werden, daß die hier zusammengestellten Arbeiten zu sehr verschiedenen Zeiten entstanden sind.

Die in „Motz el son” (was auf provenęalisch Wort und Weise bedeutet und ein fester Begriff ist) vereinigten kleineren didaktischen Schriften von Pound wurden zwischen 1913 und 1928 geschrieben, ein einziger Essay später, nämlich 1934. Die ersten Schriften, die nun in dem Bande „Ueber Zeitgenossen” stehen, wurden 1914 geschrieben, die letzte Arbeit 1937. Dagegen sind die Essays Eliots (von denen hier eine repräsentative Auswahl vorgelegt wird) durchweg jüngeren Datums. Nur drei der Arbeiten stammen aus den dreißiger Jahren, vier aus den vierziger Jahren, die übrigen neun sind nach 1950 entstanden. Schon die Entstehungszeit erklärt, ganz abgesehen vom einander entgegengesetzten persönlichen Temperament, die unterschiedliche Art der beiden großen Anreger, ein Thema anzupacken und zu erläutern. Pounds Schriften sind ein Dokument des Heldenzeitalters der Moderne, als es in ständigem Kampf mit der im hergebrachten Trott verharrenden Umwelt galt, neue Ideen und eine neue Geltung vergessener oder verachteter alter Dichtung durchzusetzen. Pound empfand, wie er einmal schreibt, eine fast physische Lust gegen die Gleichgültigkeit einer weibischen Welt anzurennen, Fehden auszutragen, die Welt auš ihrer Lethargie zu röifleti,”ihren1 Widerstand’uiid ihre Emporiihg zu spüren. Das ist sein wahres Lebensgefühl.

Aus Eliot spricht der gefeierte, sich seiner Würde und des rechten Maßes stets bewußte Dichter (Pound über Eliot; „Seit zwanzig Jahren lautet der Vorwurf gegen den fast hochwürdigen Eliot, er übertreibe das Maßhalten.”). Die Kampfzeit der Moderne ist vorüber, ihre Ideen und Werke werden allgemein akzeptiert, ihre Vorkämpfer werden zu Kongressen und Vorlesungen eingeladen.

Fast alle Schriften Pounds erschienen ursprünglich in den berühmt gewordenen kleinen und kampffreudigen literarischen Zeitschriften der zehner und ersten zwanziger Jahre: „The Egoist”, „Poetry”, „The Little Review” usw. Da war nie viel Platz und Zeit; es galt das Wichtigste in aller Eile zu sagen: kurz, knapp, klar, präzise, beinahe im Telegrammstil. (Eliot über Pound: „Der bleibende Wert von Pounds kritischen Schriften ist schlechthin seiner Hellsicht für das, was zu einer bestimmten Zeit gesagt werden mußte, zuzuschreiben.”) Eliots Essays dagegen gehen zur größeren Hälfte auf Vorträge oder Vorlesungen zurück; da kommt man leicht etwas ins Plaudern (Eliot versteht es elegant und geistreich zu plaudern), Erinnerungen an die eigenen Anfänge, an die Begegnung mit den damaligen Größen und Gefährten werden wach.

Pound geht es nur um die Dichtung, Eliot bedenkt immer auch anderes, zum Beispiel die moralische Qualifikation einzelner Romangestalten. Dies äußert sich zum Beispiel in der Stellung, die sie zum Drama einnehmen. Pound beurteilt an Dramen fast ausschließlich die Dichte der Verse, den Wortaufwand, den ein Dichter braucht, etwas zu sagen. Für Eliot, der ja als Dramatiker mindestens ebenso bekannt wurde wie als Lyriker, steht daneben immer noch die Menschenzeichnung im Vordergrund. So ist es zu verstehen, daß Pound das überragende Genie Shakespeares nicht ganz richtig einschätzt — weil er eben seine Dramen nur als Gedichte und nicht als Theaterstücke beurteilt.

Poünd schreibt fast ausschließlich über Zeitgenossen; auch wenn er über griechische und lateinische Dichter schreibt, hat man den Eindruck, er setze sich mit Lebenden auseinander: er tadelt sie und er lobt sie, weil er sie ernst nimmt, und weil ihm alle große Dichtung als etwas selbstverständlich immer Gegenwärtiges erscheint, ganz gleich, wann ihre Urheber gelebt haben. Eliot schreibt weniger über Zeitgenossen (zumindest diese Auswahl präsentiert ihn so; doch sind seine Aufsätze zu Pound, Joyce und Marianne Moore nicht aufgenommen worden), er hat zu allem, das er darstellt, eine größere Distanz. Schreibt er über Gestalten seiner Zeit, wie etwa über Yeats, so scheinen sie schon lange der Geschichte anzugehören und dem Streit der Meinungen entzogen. Eliot versucht immer gerecht zu sein, wiegt genau das Für und Wider ab, überlegt jeden Satz, als gelte es ein endgültiges, unwiderrufliches Urteil in höchster Instanz zu sprechen. Darin erinnert Eliot an Thomas Mann. Doch übt Eliot sein Richterämt mit viel Charme aus; fast alle Arbeiten beginnt er höchst; persönliche-er etzählt, was er däbe?’empfand1, als er zum ersten Male dem Werk dieses oder jenes Autors begegnete, wie sich diese Meinung später vertiefte oder veränderte. Indem er den Leser an seinem eigenen Entwicklungsgang teilnehmen läßt, ermöglicht er es ihm auch, jede Ueberlegung nachzuvollziehen und ihm Schritt für Schritt, auch zum Erfassen sehr schwieriger Sachverhalte zu folgen. Nirgends bietet Eliot totes Bildungsgut: alles, was er sagt, hat er neu und systematisch durchdacht.

Pound dagegen trifft apodiktische Feststellungen. Er sagt, „der oder jener Schriftsteller ist der wichtigste seiner Zeit” und führt vielleicht ein paar Belege an. „Im übrigen, Leser, beschaff dir die Werke dieses Mannes und seiner Zeitgenossen und prüfe nach, ob ich recht habe!” Alles, was Pound schreibt, ist stark emotionell gefärbt, immer ist er für oder gegen etwas. Pound ist kein Richter, er ist ein Anwalt: manchmal Staatsanwalt, manchmal Verteidiger. Seine Schriften sind leidenschaftliche Plädoyers, und in 98 von 100 Fällen sind wir bereit, ihm recht zu geben, wären wir Richter.

Eliot dagegen hat fast immer recht; aber die Fälle, mit denen er sich befaßt, sind oft von nur untergeordneter Dringlichkeit. Wenn er auf genau sechzig Seiten darlegt, worin Johnsons Standpunkt begrenzt war, als Kritiker wie als Dichter, worin er irrte und warum er irrte, so ist das letztlich unwichtig, und als Endergebnis haben wir schwarz auf weiß, was wir ohnehin schon wußten; daß man Johnson nicht lesen muß, weil er langweilig und ohne Bedeutung ist. Warum sich also mit Erscheinungen zweiten oder dritten Ranges beschäftigen, über die unser Urteil ohnedies feststeht? Pound hätte solche Mühe nur auf sich genommen, eine Scheingröße zu stürzen oder einen verkannten Dichter ins Gespräch zu bringen. Deswegen auch sein Aerger, daß sich Eliot so oft und so viel mit Dryden, den er für unwesentlich hält, befaßt. In zwei Punkten lediglich folgen wir Eliot und nicht Pound: in der Wertschätzung Vergils und Goethe ; sein Aufsatz- über Goethe’, deh Weisen, hat Selber im großen Maße die Eigenschaften, die er Goethe nachrühmt: echte Weisheit.

Eliot ist gerechter und maßvoller als Pound; bei aller Belesenheit Pounds im Schrifttum fremder Sprachen gibt es Literaturen — wie die slawischen —, für deren Qualitäten er einfach kein Organ hat. Wenn wir ihn dennoch auch als Kritiker über Eliot stellen, so hat das seinen Grund in dem mitreißenden Elan, in dem seine Plädoyers gehalten sind. Wer von ihnen nicht ergriffen wird, der ist für die Dichtung verloren. Pounds Kampf um die Wiedereinführung echter literarischer Maßstäbe, gegen den Literaturunterricht an den Universitäten, gegen die heutige Form der Buchkritik (die nur „ein Funktionieren der Büiokratie” ist), kann nur mit Kierkegaards Kampf gegen die Verwässerung des Christentums, gegen die Dozenten und ihre Verharmlosung des Evangeliums verglichen werden’?dieselbe Lauterkeit hiär wid’döW, dasselbe unermüdliche, ja fanatische Eintreten für die einmal erkannten. Wedle, dieselbe unbedingte Ausrichtung auf ein Absolutum (was für Kierkegaard das Neue Testament, ist für Pound sein Homer und sein Dante). Mir ist kein Kritiker der ganzen Literaturgeschichte bekannt, der von dem gleichen heiligen Eifer besessen gewesen wäre wie Pound; ich glaube, auch ein Lessing oder Valery war nicht so konkret und unbedingt .wie er. Ezra Pound ist der unsentimentalste, leidenschaftlichste und vitalste Liebhaber, den die Dichtung jemals hatte.

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