Der Egoist und seine Inspirationsquellen

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Hans Werner Henzes Opernklassiker "Elegie für junge Liebende" im Theater an der Wien: prominent besetzt, engagiert musiziert, originell bebildert, präzise inszeniert.

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Hans Werner Henzes Opernklassiker "Elegie für junge Liebende" im Theater an der Wien: prominent besetzt, engagiert musiziert, originell bebildert, präzise inszeniert.

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Dass Librettisten für verschiedene Komponisten arbeiten, ist weder neu noch verdient es besondere Erwähnung. Es sei denn, sie schaffen die Basis für gleich mehrere Erfolgsstücke, wie Wystan Hugh Auden, der die letzten Lebensjahre hauptsächlich im niederösterreichischen Kirchstetten lebte, und sein Lebenspartner Chester Kallmann. Auf ihrem Text baut Igor Strawinskys "The Rake's Progress" ebenso auf wie Hans Werner Henzes 1961 uraufgeführte "Elegie für junge Liebende".

Eine dreiaktige Nummernoper, die nicht wie üblich in Arien, Duette und Ensembles gegliedert ist, sondern in Szenen: dreizehn im ersten Akt, zwölf im zweiten, neun im dritten. Musikalisch beruht das orchestral klein besetzte Werk, das sein Vorbild in der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts hat, auf mehreren Reihen. Henzes Musik changiert zwischen subtiler Zartheit und aufbegehrender Dramatik. Er setzt auf die Form des Melodrams ebenso wie auf wirkungssichere Ensembles, weite Intervalle und einen in der Tonhöhe fixierten Sprechgesang nach dem Muster Arnold Schönbergs. "Der Geist des Menschen muss sich entscheiden für die Vollkommenheit des Menschen oder des Werks" brachten die beiden Librettisten die Grundidee dieser Oper auf den Punkt. Sie konfrontiert mit einer skurrilen Runde. Im Mittelpunkt der Dichter Gregor Mittenhofer, eine ihm als Mäzenin wie Sekretärin dienende Gräfin Carolina von Kirchstetten (!) und seine Geliebte Elisabeth Zimmer. Weiters die seit dem Verschwinden ihres Gatten am Hammerhorn von Visionen geplagte, damit den Dichter inspirierende Hilda Mack sowie Mittenhofers Leibarzt Reischmann und dessen Sohn Toni.

Inspiration um jeden Preis

Als Toni Macks Leiche findet, fürchtet Mittenhofer, dass Hilda von ihren Wahnvorstellungen geheilt wird, er damit künftig auf ihre Anregungen verzichten muss. Äußerlich gelassen bittet er Toni und Elisabeth in die Berge zu gehen, um für seinen bevorstehenden "Sechziger" ein Edelweiß zu pflücken. Die Wetterwarnung verschweigen Dichter und Gräfin den "jungen Liebenden", die wenig später in einem Unwetter umkommen. Der ausgekochte Egoist Mittenhofer hat damit die erhoffte Inspirationsquelle. Er vollendet seine "Elegie für junge Liebende", lässt sich damit bei einer ihm zu seinem Geburtstag angesetzten Dichterlesung feiern.

Das Auffallendste an dieser gelungenen Produktion am Theater an der Wien ist das von Es Devlin entworfene, durch Mitterhofers schriftstellerische Tätigkeit inspirierte, weiß gehaltene Bühnenbild, welches das intime Geschehen ins Plakative weitet: eine überdimensionierte Tischlampe, gewaltig sich auftürmende, großflächige Bücherstapel, einem von einer Schreibmaschine angeregten Garten, eine mächtige männliche Skulptur, auf der sich Hilda Mack aalt und ihren am Berg umgekommenen Gatten beklagt.

Zwischen Illusion und Idylle

Ein zwischen Illusion und romantischer Idylle schwankendes Ambiente, in dem Keith Warner unaufdringlich-präzise die Handlung schildert und klar die einzelnen Protagonisten charakterisiert, allen voran den trotz seiner Egomanie anziehenden Mittenhofer, der in Johan Reuter einen auch stimmlich idealen Interpreten hat. Deutlich kommt in Warners personenbezogener Regie Mittenhofers komplexe Beziehung zu der in ihren Moralvorstellungen gefangenen Gräfin Lina zutage, deren vielschichtiges Psychogramm Angelika Kirchschlager souverän zeichnete. Gleich den übrigen Darstellern präsentierte sie sich in Kleidern des beginnenden 20. Jahrhunderts (Kostüme: Tom Rand), jener Zeit also, in der dieser Dreiakter spielt.

Laura Aikin verkörperte die immer wieder hart an den Grenzen der Wirklichkeit scharrende, sich zuweilen hysterisch gebärdende Hilda Mack. Mit Naivität und jugendlicher Unbekümmertheit gaben Paul Schweinester und Anna Lucia Richter, die damit am Theater an der Wien erfolgreich debütierten, das dramatisch ums Leben kommende Liebespaar Toni und Elisabeth. Der durch zahlreiche Abende an der Staatsund Volksoper wie bei den Bayreuther Festspielen für seine subtile Charakterisierungskunst bekannte Martin Winkler agierte, gleichfalls stets vokal präsent, als Mittenhofers, das Geschehen zuweilen mit distanzierter Ironie beobachtender Arzt Dr. Reischmann, der so gar nicht damit einverstanden ist, dass sein Sohn Paul Mittenhofer die Geliebte ausspannt -in der sich als trügerisch erweisenden Hoffnung, mit ihr eine gemeinsame Zukunft zu haben.

Marc Albrecht, Opernchef in Amsterdam, führte die engagiert aufspielenden Wiener Symphoniker mit kontrolliertem Animo durch Henzes schillernde Partitur und erwies sich als flexibler Begleiter, was die Darsteller mit untadeligen bis vorzüglichen Gesangsleistungen dankten.

Elegie für junge Liebende Theater an der Wien, 4., 7., 9., 11. Mai 2017

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