Günter Brus - © FOTO: APA/HANS PUNZ

Günter Brus: Der Strich als Schnitt ins Herz

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Zur Eröffnung der "Werkumkreisung" von Günter Brus in der Albertina.

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Zur Eröffnung der "Werkumkreisung" von Günter Brus in der Albertina.

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Sommer 2003, St. Veit bei Graz: Der ehemalige Aktionist Günter Brus sitzt in seinem Atelier am Schreibtisch und arbeitet. Mit Buntstiften und Ölkreiden entwirft er eine mehrblättrige Text-Bild-Serie aus der Werkgruppe der Bild-Dichtungen. Der Titel steht bereits fest: "Isolation". Die Mischform von bildender Kunst und Literatur - Brus spricht von "Sprachrändern an den Zeichenatollen" - ist seit Mitte der siebziger Jahre seine favorisierte Ausdrucksform. Der 65. Geburtstag des Staatspreisträgers steht kurz bevor, erste Glückwunschtelegramme von höchsten politischen Repräsentanten treffen bereits ein - vor 35 Jahren noch unvorstellbar, denn damals wurde Günter Brus in einer beispiellosen Hetzkampagne der österreichischen Boulevardpresse zum "meistgehassten Österreicher" erklärt und in der Folge zu sechs Monaten "strengem Arrest" verurteilt. Die Begründung: "Herabwürdigung österreichischer Symbole" und "Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit".

Von der "Körperanalyse" ...

Vorausgegangen war die legendäre "Uniaktion" am 7. Juni 1968, bei der Brus eine "Körperanalyse" - wie er seine radikale Aktionskunst nannte - zeigte. Dabei ging es Brus keineswegs in erster Linie um Provokation, sondern um zutiefst künstlerische und menschliche Anliegen. Mit seiner extremen auf den eigenen Körper konzentrierten Kunst versuchte Brus, die herkömmlichen Medien radikal zu hinterfragen und zugleich die menschliche Existenz in all ihrer Widersprüchlichkeit zu ergründen. Dabei schreckte er vor nichts zurück, wie er selbst rückblickend zu erkennen gibt. "Damals hätte ich jederzeit Hundescheiße gefressen, um zu beweisen, dass ich Mensch bin - ohne Anführungszeichen." Die Gesellschaft, die Justiz und die Medien hatten wenig Verständnis für Brus' künstlerische Anliegen. Der damals Dreißigjährige erhob zwar gegen das harte Urteil Berufung, doch sie wurde abgelehnt - und so flüchtete Günter Brus mit seiner Frau Anna und der zweijährigen Tochter Diana nach Berlin. Hier gründete er gemeinsam mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm als künstlerischen Protest gegen die Repressionen in Wien die "Österreichische Exilregierung". Erst 1976 konnte Brus wieder nach Österreich reisen, als seine Frau in einer Audienz bei Bundespräsident Kirchschläger die Umwandlung der Haft- in eine Geldstrafe bewirkt hatte - was heute oft fälschlicherweise als Amnestie bezeichnet wird.

Aktionist ist Brus aus kunsthistorischer Sicht schon lange nicht mehr. Mit seiner letzten Körperarbeit "Die Zerreißprobe" hat er im deutschen Exil 1970 das Aktionismuskapitel für sich abgeschlossen. Der Schnitt am eigenen Körper wurde zu Bildsymbolen und Buchstaben am Papier. "Der Strich gilt für den Schnitt ins Herz" lautet der Titel einer späteren Zeichnung. Ein Grenzüberschreiter ist Brus in mehrfacher Hinsicht geblieben.

... zu den "Bild-Dichtungen"

Auch heute geht es ihm um Authentizität in der Kunst, wenn er sagt: "Ausgereiftes Denken zieht keine Grenze zwischen dem Geist der Materie und der Materie des Geistes. Eine Kunst, die nur noch bemüht ist, vergangene Sichtweisen mit neuesten Scheuermitteln zu polieren, unterliegt der dümmsten aller Weltkrankheiten: dem Infantilismus." Grenzüberschreitung ist bei Brus auch ein Zwitterdasein zwischen Dichter und Zeichner. Neben dem "rein" literarischen und zeichnerischen Werk pflegt er eine Kunstform, "wo das Zeichnen und das Schreiben sich verschwistert haben". Bild-Dichtung nennt er die zyklischen, gezeichneten und handgeschriebenen Arbeiten, in denen Zeichnungen und Texte eine neue Einheit formen. Günter Brus gehört längst zu den bedeutendsten gegenwärtigen Künstlern - weit über die Grenzen Europas hinaus. Nicht zufällig ist der Name Brus seit Jahren bei "Rankings" unter den Erstplatzierten der heimischen Kunstszene.

Sein Werk ist von einem enormen theoretisch-kulturellen Wissensfundus an Zitaten aus Kunst- und Kulturgeschichte durchsetzt. Ebenso faszinierend sind die intime, träumerische Erzählweise, der beißende Spott und das oft fast übermütige Fabulieren. Selten spricht eine Kunst so viele Seiten des menschlichen Daseins an wie die des Günter Brus. Wie sehr Brus immer in größeren Dimensionen denkt, wird auch auf der Einladung zur aktuellen Albertina-Schau sichtbar: So steht dort unter dem von ihn gezeichneten Schädel - eine Reminiszenz an sein Konterfei einer frühen "Selbstbemalung": "Rettungslos verloren ist das Schiff. Dennoch steigen Blasen aus Atem auf. Halbiert man die Erde, dann strahlen zwei Sonnen."

Grausamkeit und Schönheit

Viele Zeichnungen von Günter Brus zeigen die Brutalitäten und Grausamkeiten des Lebens ungeschminkt auf. Genauso gibt es aber liebliche, bewusst kitschige Blätter, auf denen der Künstler die Schönheit euphorisch feiert. Gerade diese Widersprüchlichkeit verstört immer wieder. Brus selbst fühlt sich keineswegs gespalten. "Ich glaube nicht, dass man diese Widersprüchlichkeit als Spaltung bezeichnen kann. Vielmehr ist es eine Ausdrucksweise, die jeder Mensch in sich trägt. Es gibt ja auch den Manager in der Chefetage, der den ganzen Tag mit Zahlen und Rechnungen beschäftigt ist. Aber am Abend geht er ins Kino und beginnt an einer bestimmten Stelle des Films zu weinen. Die Kunst hat meines Erachtens die Aufgabe, alle diese Gefühlsbereiche auszuloten. Natürlich können wenige Künstler einen so breiten Fächer aufspannen. Einer davon ist Goya, der von der Rokoko-Lieblichkeit bis zu den düsteren Abgründen alles gezeichnet hat."

Günter Brus ist nicht nur aufgrund seiner thematischen und formalen Bandbreite ein Künstler von Weltrang, sondern auch, weil er einer der konsequentesten Persönlichkeiten der Kunstszene hierzulande ist. Fernab der Seitenblicke-Gesellschaft ist Brus seiner Haltung, das menschliche Dasein in all seinen Tiefen und Höhen zu erforschen, treu geblieben. Er ist ein manischer Arbeiter, der nie ohne Papier und Zeichenstift das Haus verlässt. Trifft man ihn im Kaffeehaus, so sitzt er meist schon da und schreibt an einem neuen Text oder skizziert mit wenigen Strichen Szenerien, die ihm gerade durch den Kopf schwirren. Auf die Frage, ob er denn nie abschalten kann, antwortet Günter Brus humorvoll: "Das ist wohl eine lyrische Onanie. Ich habe keine Lust, in der Bahn zwischen Graz und Wien zu sitzen und bloß das Schild Mürzzuschlag' anzuglotzen. Ich möchte zu diesem Schild immer etwas dazu erfinden."

Zudem ist Brus gerade deswegen so überzeugend, weil er seinen Weg unbeirrbar von Moden geht. Standfest betont er etwa die Bedeutung der Handschrift in der Kunst: "Nichts gegen das Hocken vor dem Computer, aber wenn der Gegenpol fehlt, wird die Welt der Kunst einsam werden. Die Kunstwelt bestand immer aus Verstand- und Handarbeit zugleich. Ich meine, der Verlust der Handschrift ist so schwerwiegend wie die Ausrottung von Tiergattungen. Das Blut der Dichtung muss weiterhin aus den Fingern fließen, sonst ist das schöpferische Formulieren nur noch ein Abschreibposten."

Brus endlich wieder in Wien

Dass die neueröffnete Albertina Brus als erstem österreichischen Künstler eine umfassende Retrospektive widmet, ist eine weise Entscheidung Klaus Albrecht Schröders. Denn in Wien präsentierte das letzte Mal 1986 ein Museum eine Brus-Schau, während das Centre Georges Pompidou in Paris Günter Brus 1993 mit einer großen Personale zum internationalen Durchbruch verhalf.

Die Ausstellung in der Albertina zeigt die beeindruckende Vielfalt des Brus'schen Werks: frühe informelle Bilder, Aktionsfotos und Filmausschnitte von Aktionen, zahlreiche Einzelzeichnungen aus internationalen Museen und Privatsammlungen und mehrteilige Bild-Dichtungen wie den 64-teiligen Zyklus "Franz Schreker: Die Gezeichneten", den Günter Brus inspiriert von der Musik dieses von ihm geschätzten Komponisten 1978/79 schuf. Dank des Engagements der Kuratorin Monika Faber sind in der Albertina auch viele noch nie öffentlich gezeigte Werke zu sehen, die besonders die malerische Qualität der Brusschen Arbeiten sichtbar machen. Durch die Auswahl wird ein Brus präsentiert, der an die große Tradition der Zeichenkunst anschließt, aber mit seinen reduzierten, humorvollen Spontanzeichnungen und seinen mehrere Medien umfassenden Kunstbegriff mühelos innerhalb der Gegenwartskunstszene bestehen kann.

Günter Brus ist natürlich angetan, seine Arbeiten in der traditionsreichen Heimstätte der grafischen Künste zu sehen: "Ich war sehr erfreut, dass die Albertina auf meine Arbeit gestoßen ist, denn ich könnte mir kein besseres Haus in Wien für eine Retrospektive vorstellen. Außerdem ist es eine wohlausgewogene Ausstellung. Möglicherweise sogar ganz in meinem Sinne, da der Aktionismus nicht mehr im Vordergrund steht."

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