Ein gelehrter Verteidiger der Vielfalt

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Claudio Magris ist vom Geist der Unruhe heimgesucht. Das macht ihn unberechenbar und stets aufs Neue überraschend. Mit seiner Dissertation „Der Habsburger Mythos in der modernen österreichischen Literatur“ gelang es ihm 1964, die germanistische Szene mit einem Paukenschlag in Aufruhr zu versetzen. Am Werk von Stefan Zweig und Joseph Roth, von Robert Musil und Heimito von Doderer führte er den Nachweis, dass die Monarchie als Erinnerungsreservat stets lebendig blieb. Er, der sich als neugieriger Leser den Texten zuwendete, entdeckte in den Erben der versunkenen Zeit das Potenzial für die Moderne, der weniger an Verklärung denn an Erhellung gelegen ist.

Geboren 1939 in Triest, wohin Claudio Magris Mitte der sechziger Jahre als Professor für moderne deutschsprachige Literatur zurückkehrte, stellt für ihn der Kulturraum der Monarchie einen fundamentalen Gedächtnisort dar. Seine ungeheure, uns bis heute beschäftigende Idee bestand darin, dass er Mitteleuropa als einen intellektuellen Raum über alle politischen und ideologischen Grenzen hinweg neu zu denken begann. Grenzen, das brachte er seinen Lesern schon sehr früh bei, sind dazu da, überschritten zu werden.

Er hatte sich eine bequeme Ausgangsposition geschaffen für eine Gelehrtenexistenz, denn das Werk wurde heftig diskutiert, und der Autor hatte sich gleichsam über Nacht einen unangreifbaren Namen gemacht. Doch Magris wollte nie Germanist allein bleiben, er entdeckte in sich das Talent zum gelehrten Schriftsteller. Er bahnte sich einen Weg raus aus der geschlossenen Gelehrtenrepublik und nahm Verbindung auf mit dem breiten Publikum, dem er sich mit der Kraft eines leidenschaftlichen Erzählers näherte. Mit dem Buch „Donau – Biografie eines Flusses“ (1986), gelang es ihm, europäische Kulturgeschichte entlang eines Flusses abzuhandeln. Außergewöhnlich ist sein Verfahren schon deshalb, weil er mit seiner Methode, flussabwärts wandernd seine Aufmerksamkeit allen großen Denkern und kleineren Künstlern verschenkend, die Chronologie aufhebt. Damit schafft er einen starken Kulturraum, der nicht durch fortschreitende Entwicklung gekennzeichnet ist, sondern durch eine gleichberechtigte Existenz der Epochen.

Seit diesem Buch steht außer Frage, dass Magris als Schriftsteller ausgesprochen gute Figur macht. Also schrieb er gleich weiter und veröffentlichte „Mutmaßungen eines Säbels“, eine längere Geschichte, in der Erzählen und Denken zu einer Einheit finden. Hier konnte er am Beispiel der historisch verbürgten Figur General Krasnow historische Recherche verbinden mit der Lust des Erzählers, Leerstellen mit seiner Fantasie zu füllen. Das Schicksal von Kosaken beschäftigte ihn, denen einen autonomes Kosakenland in Friaul zugesagt worden war und dann doch als die Verlierer der Geschichte dastanden.

Magris ist ein Genauigkeitsfanatiker, der aus Details die Vision der Totale zu entwickeln vermag. Das macht die Lektüre zu einer aufregenden Sache, weil es diesem Autor, der so anschaulich Einzelschicksale zu deuten vermag, um das Ganze geht. Wenn am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche Claudio Magris der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreicht wird, erhält ein Mann die Auszeichnung, der die Gegensätze und Widersprüche von Zeiten und Räumen nebeneinander bestehen lassen kann, ohne sie vorschnell unter ein schiefes Dach der Harmonie zu stellen.

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