Magris - © Foto: picturedesk.com / dpa / Jens Kalaene

Claudio Magris: Die Welt, ein bunter Luftballon

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Claudio Magris’ nun auch auf Deutsch vorliegende Triestiner Erzählungen kreisen um Erinnerung und Abschiednehmen.

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Claudio Magris’ nun auch auf Deutsch vorliegende Triestiner Erzählungen kreisen um Erinnerung und Abschiednehmen.

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Dieser schmale Band enthält die Geschichten fünf bejahrter Männer aus Triest und seinem Umfeld, die auf ihr Leben zurückblicken. Claudio Magris legte ihn auf Italienisch zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2019 vor, aber biografische Parallelen sind bestenfalls oberflächlich. Lediglich die Titelgeschichte wird durch einen bekannten Triestiner Literaturwissenschafter als Ich-Erzähler vorgebracht. Die anderen sind zugewanderte Repräsentanten des multiethnischen Triest: ein erfolgreicher Geschäftsmann aus Mähren, ein jüdischer Musiklehrer aus k. u. k. Polen, ein jüdischer Schriftsteller, dessen Familie aus Moldawien zugezogen war, und ein Germanist, der sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite der Italiener schlug und danach den Verrat seiner Sache durch die Faschisten erleben musste.

Es lohnt sich, hier den Rechenstift anzusetzen, denn auch ohne genaue Jahresangaben zeigt sich, dass die erzählerischen Perspektiven eine Reihe von Jahrzehnten zurückliegen. Das erinnernde Bewusstsein ist daher selbst vergangen. Es schieben sich, wie es in einer Erzählung heißt, weitere „Zeitschichten“ zwischen die „gemeinsame Geschichte von damals“ und die Jetztzeit. Es ist ein „Durchschlagpapier mit einer Schrift, die immer mehr verblasst im Vergleich zum mutmaßlich originalen Blatt“.

Über das Loslassen

Es geht in diesem Buch nicht um eine erzählerische Rekonstruktion der Vergangenheit, sondern um das Abschiednehmen und die Vorbereitung auf den Tod. In einer Veranstaltung zum Erscheinen der französischen Übersetzung in Paris im April 2022 betonte Magris das Loslassen seiner Figuren und die Erleichterung, die sie dadurch erfahren. Das ist zwar keineswegs das Verhalten des Autors, es stellt jedoch ein reduktionistisches, kulturkritisches Moment dar. Der erfolgreiche Geschäftsmann aus Mähren, mit seiner Karriere vom Tellerwäscher zum Millionär, verdingt sich anonym als Portier in einem Haus, das seiner eigenen Immobilienfirma gehört. Das Alter ist für ihn „insgesamt ein Voranschreiten, um sich dann zurückzuziehen: Man wagte sich auf unbekanntes Terrain, um der Wirklichkeit zu entkommen, die einen von allen Seiten her bedrängte, schonungslos und aufdringlich“. Er hört keine Nachrichten mehr, und schafft, auf der Suche nach sich selbst und seiner Herkunft, Distanz zu seiner Familie: „Er liebte seine Enkel, doch war Hannsdorf [in Mähren, Anm.], mit der nach Holz und Harz duftenden Sägerei und dem burčák, dem neuen, frisch gekelterten Wein, um so vieles näher.“

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