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Überzeugender "Eugen Onegin" bei den Salzburger Festspielen. Von Michael Krassnitzer

Reglos sitzt ein Mann auf einem Stuhl und starrt auf den Bildschirm eines Fernsehapparats. Dort ist nichts anderes zu sehen als der Ausblick vom Ende eines Zuges auf die langsam hinter dem Horizont verschwindenden Schienen. Der Zug ist abgefahren, ein für alle Mal. Mit diesem eindringlichen Bild beginnt die Aufführung von Peter Iljitsch Tschaikowskis Oper Eugen Onegin bei den Salzburger Festspielen und es taucht wieder auf zu Beginn des zweiten und dritten Aktes. Obwohl das Gesicht des Mannes verborgen bleibt, ist klar: das ist der Titelheld der Oper. Denn Eugen Onegin ist die alltägliche Tragödie über unwiederbringlich Versäumtes. Wer kennt nicht auch aus seiner eigenen Biografie jene falschen Entscheidungen, jene verpassten Chancen, die dem eigenen Leben eine andere, glücklichere Wendung gegeben hätten? Umso schlimmer, wenn es dabei um die Liebe geht, wenn man - wie Eugen Onegin - die Liebe seines Lebens leichtfertig verspielt hat, für immer.

Banalität des Tragischen

Oft wurde an dem Werk das Fehlen von Dramatik bemängelt. Doch genau das macht die Wirkung des Eugen Onegin aus: die Banalität des Tragischen, kombiniert mit einer wunderschönen Musik, welche die Ästhetik des im Libretto arg zerzausten Bürgertums zum Glück nicht im Mindesten zu brechen sucht.

Logisch, dass bei Regisseurin Andrea Breth Eugen Onegin nicht als romantische, die Pracht von Bällen und die Idylle der ländlichen Provinz beschwörende Geschichte daherkommt, sondern eher als bürgerliches Drama im Stil Arthur Schnitzlers - in der Oper findet ja sogar ein Duell statt - oder als ein Film des am Montag verstorbenen Ingmar Bergman, eine unter Regisseuren zur Zeit beliebte Vorlage. Feine Psychologie und realistisches Spiel prägen die Inszenierung im Großen Festspielhaus.

Russische Trostlosigkeit

Optisch ist die Geschichte in den 1960er Jahren angesiedelt, ob in den bürgerlichen Kreisen des Westens oder in den Parteikreisen des Ostens ist nicht klar, was aber egal ist, denn die Geschichte ist universell. Trotz unübersehbaren Wohlstands und Reichtums herrscht Trostlosigkeit in den getäfelten Fluren der Landgüter und Stadtschlösser (Bühne: Martin Zehetgruber) und auch auf den Kornfeldern, wo die von den Gutsbesitzern eigenhändig geschorenen Leibeigenen schuften. Stellvertretend für all jene, die gar nie eine Chance bekommen, die sie versäumen könnten, steht die alte Amme Filipjewna, verkörpert von Emma Sarkissjan als verhutzeltes Weib mit unerwarteter Stimmgewalt.

Zwei großartige Sänger wurden für die beiden großen Partien verpflichtet: Peter Mattei, der die anfängliche Lässigkeit des sich nicht binden wollenden Playboys Eugen Onegin mit seiner noblen und wendigen Stimme ebenso glaubwürdig auszudrücken vermag wie dessen späteren Lebensüberdruss. Und Anna Samuil, die das von Onegin zurückgewiesene Mädchen Tatjana in ihrer Leidenschaft, in ihrer Verzweiflung, aber auch in ihrer Stärke mit ihrem dunkel schimmernden Sopran mit bewegender Eindringlichkeit gestaltet. Auch sie ist eine sehr lebensnahe Figur: eine starke Frau, die sich ihren Platz in einer von Männern dominierten Welt erarbeitet und diesem ihr persönliches Glück unterordnet; am Ende ist sie es, erwachsen geworden, die Onegin abweist. Brillant auch Joseph Kaiser als eifersüchtiger, im Duell getöteter Dichter Lenski und Ferruccio Furlanetto als Offizier Gremin, der im Alter mit Tatjana sein spätes Glück gefunden hat.

Großes Musik-Reservoir

Die Wiener Philharmoniker unter Daniel Barenboim können aus dem Vollen schöpfen: Von volkstümlichen Weisen bis hin zum opulenten Walzer und zur feierlichen Polonaise enthält Eugen Onegin eine ungeheure Breite an musikalischen Formen. In der berühmten Briefszene, in der Tatjana ihre frisch entflammte Liebe zu Papier bringt, hört man das Herz der aufgeregten jungen Frau förmlich aus dem Orchestergraben pochen.

Auch wenn Zeitgenossen in dem 1879 uraufgeführten Stück die russische Note vermissten, so arbeitet Barenboim eine als typisch russisch zu empfindende Grundtraurigkeit heraus, obgleich der Partitur Humor nicht fremd ist: Wohl nur die Konvention hinderte das Premierenpublikum, bei dem altvaterischen Couplet Triquets (Ryland Davies), der herrlich verhatschten Karikatur einer italienischen Liebesarie, laut aufzulachen.

Musikalisch perfekt eingerichtet, große Stimmen und eine verständliche, präzise Regie: Alles in allem jene Luxusaufführung, wie sie die Salzburger Festspiele ihrem Publikum schuldig sind.

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