Landleben, nein, danke!

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Annie Proulx erzählt von der häßlichen, brutalen Provinz.

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Annie Proulx erzählt von der häßlichen, brutalen Provinz.

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Szenen von der Schattenseite des amerikanischen Landlebens vermitteln "Herzenslieder": Erzählungen von Annie Proulx, die in den USA bereits vor dem großen Erfolg der Autorin mit "Schiffsmeldungen" und zuletzt "Das grüne Akkordeon" (FURCHE 28/97) erschienen sind und wie eine späte Flaschenpost nun auch bei uns ankommen.

Die Atmosphäre ist dicht und plastisch, die Autorin wertet nicht, alle Schlußfolgerungen bleiben dem Leser überlassen. Er gewinnt den Eindruck, daß sich hier jemand alle Belastungen, alle Grausigkeiten des Lebens in der Provinz von der Seele schrieb. Heimische Gegenstücke: Schlag nach bei Peter Turrini, etwa in "Sauschlachten". Der Schauplatz ist Neuengland. Proulx schreibt über vom Schicksal nicht verwöhnte Menschen, beschreibt mit großer Intensität ihre Lebensumstände, ihr Schicksal, die Landschaft, in der sie leben. Es sind trübe, düstere Stimmungsbilder, die sie mit Worten malt. Menschen, Landschaften, Wetterstimmungen, alles wird gleichermaßen antastbar, greifbar.

Der Grundton ist beklemmend, deprimierend, die Wortwahl oft erstaunlich. Wer hat schon von honigzähem oder öligem Sonnenlicht gelesen. Die Protagonisten erscheinen dekadent, bösartig, häßlich, psychisch krank: ",Ich muß bei Ihnen telefonieren', sagt er wieder. ,Ich komm heim, und meine Frau ißt eine Maus. Sie redet kein Wort, ißt sie einfach, mit Haut und Haar ...' Er würgt, faßt sich."

Aus den Menschenschilderungen spricht wenig Sympathie: "Er war knochig, hatte ein hochrotes Gesicht und blutunterlaufene, trübe stachelbeerfarbene Augen in flachen Höhlen. Sein helles rötliches Haar wich aus der Stirn zurück, wuchs lang hinter seinen Ohren, als wäre seine Kopfhaut jedes Jahr ein Stück weiter nach hinten gerutscht. Manchmal fühlten Frauen sich von ihm angezogen, trotz der hängenden Schultern und der Art, wie er sich mit seinen nervösen, zerkauten Fingern ins Gesicht faßte oder die Fingerspitzen in zappeligen Rythmen aneinanderstupste. Von ihm ging ein Gefühl gefährlicher Hitze aus, die Hitze eines inneren Zerfalls, der schwelte wie das vom Blitz getroffene Kernholz eines Baumes, gedrosseltes Elend, das eines Tages vielleicht aufflackern und brennen würde."

Die Autorin erzählt von menschlichen Tragödien, trostlosen Zuständen, ländlicher Brutalität. Etwa, wenn sämtliche Hühner und auch ein paar Enten und Gänse umgebracht werden, um die bösartigen Stones - ausgenommen die Frauen und Kinder - teeren und federn zu können. Die Schauplätze sind einsame, heruntergekommene Farmen, Leute, die in Wohnwagen hausen, Hütten in den Bergen. Selbst die Beschreibung einer hochsommerlichen Wetterstimmung wird unheilschwanger aufgeladen: "Es war windstill und schwül, als sie zu den hochgelegenen Wiesen der alten Farm hinaufgingen. Der Himmel war leuchtend weiß. Noah blieb zurück, der Staub füllte ihm die Nase. Santees Hemd war naß, und er konnte den Donner im Boden hören, das Gewitter, das sich seit Wochen aus vibrierender Hitze zusammenbraute. Viehbremsen und Mücken stachen ihnen wütend in Ohren und Hals."

Stachen ihnen statt sie, das Lektorat ließ es dem Übersetzer Michael Hofmann durchgehen. Auch ein erfrorener Kadaver ist eher ihm als der Autorin zuzutrauen.

Die einzigen "Normalen" scheinen die Zuzügler zu sein, die das Landleben neu entdecken, jagen, Farmen kaufen und von den Ansässigen mit Mißtrauen bedacht werden. Ihnen gestattet die Autorin fallweise Entsetzen ob dessen, was sie hören und sehen. Sie sind aber Randfiguren. Im Mittelpunkt der negativ faszinierenden Stories stehen die krankhaft Bösen und ihre Opfer, heruntergekommene Existenzen, trübe Eigenbrötler.

Herzenslieder Erzählungen von E. Annie Proulx, Übersetzung: Michael Hofmann, List Verlag, München 1998, 288 Seiten, geb., öS 218,

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