Mein Herz, Du lebst noch, wie schön!

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Ein geglücktes Leben: vor 100 Jahren geboren, vor 15 Monaten gestorben: die deutsche Widerstandskämpferin Freya von Moltke, Witwe nach Helmuth James Graf von Moltke.

Die Männer des deutschen Widerstands gegen Hitler stehen im Licht der Geschichte. Ihre Frauen indes kennt man kaum; sie blieben nach der Hinrichtung ihrer Männer bis an ihr Lebensende die "Witwen des Widerstands“. Dabei hatten sie mehrheitlich eine bedeutsame Rolle im konspirativen Kampf gegen das NS-Unrechtssystem übernommen. Auch Freya von Moltke, die Herrin des Gutes Kreisau in Schlesien, gehörte dazu, obwohl sie das Glück hatte, ihr Leben später an der Seite des ehemaligen Lehrers und Freundes ihres Mannes, des Rechtshistorikers Eugen Rosenstock-Huessy, auf dessen Farm im US-Bundesstaat Vermont, zu verbringen. Ihr 1907 geborener Ehemann Helmuth James Graf von Moltke, Urgroßneffe des Generalfeldmarschalls Helmuth von Moltke, des Siegers von Königgrätz und Sedan, war der führende Kopf jener Gruppe von NS-Gegnern, die nach dem Familiengut der Moltkes "Kreisauer Kreis“ benannt wurde.

Liberale Weltoffenheit und Toleranz

Freya von Moltke war eine Frau, die den Männern des Widerstands an Mut, Wissen, Entschluss- und Tatkraft in nichts nachstand. Hundert Jahre nach ihrer Geburt am 29. März 1911 (und 15 Monate nach ihrem Tod am Neujahrstag 2010) steht die promovierte Juristin erneut im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Erschienen sind soeben nicht nur zwei Lebensdarstellungen, sondern vor allem, unter dem Titel "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel“, erstmals der vollständige Briefwechsel des Ehepaars Moltke, von der Verlegung des inhaftierten Grafen aus dem KZ Ravensbrück in die Berliner Strafanstalt Tegel am 29. September 1944 bis zu seiner Hinrichtung vier Monate später.

Kennengelernt hatte sich das Paar 1929 im Sommerheim "Seeblick“ am Grundlsee. Dort hatte die Wiener Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald eine internationale Begegnungsstätte im Geist liberaler Weltoffenheit und Toleranz geschaffen, in der sich der aus der deutschnationalen Enge Preußens geflohene Jurist Moltke sofort heimisch fühlte. Er hatte in Wien bei dem Staats- und Völkerrechtler Hans Kelsen und dem Völkerrechtler Alfred Verdross studiert und in dem von Adolf Loos entworfenen Wiener Haus des Ehepaars Schwarzwald Quartier bezogen. Eugenie Schwarzwald hatte die Verbindung des jungen Grafen zu der Kölner Bankierstochter Freya Deichmann entschieden gefördert. Beide entstammten wohlhabenden Familien, die durch die Wirtschaftskrise jäh verarmt waren. Neben dem Studium hatte der 22-Jährige sich um die Sanierung des Familienguts zu kümmern. Nach der Hochzeit 1931 übernahm Freya einen Gutteil dieser Pflichten.

Der NS-Gegner Moltke, Völkerrechtsexperte im Oberkommando der Wehrmacht, setzte eine schier übermenschliche Tatkraft dafür ein, eine staatliche Nachkriegsordnung unbedingt aus dem Geist der innerdeutschen Opposition entstehen zu lassen. Leitidee beim Entwurf einer "einheitlichen europäischen Souveränität“ war die Entmachtung des Nationalstaats mit seinem verhängnisvollen deutschen Einschlag zum Obrigkeitsdenken und zur Entpersönlichung. Seine Zukunftssicht beschrieb Moltke 1940 in einem Brief so: "Christliche Religion, humanistische Bildung, sozialistische Gesinnung und historische Bindung. Diese vier Elemente sind meiner Auffassung nach heute für jeden Europäer kennzeichnend und maßgebend.“

Gottvertrauen, tiefe Sorge und große Liebe

Seine Briefe aus der Haft sind Beweise eines unerschütterlichen Gottvertrauens, gestärkt durch intensive Bibellektüre. Vor allem aber sind sie berührende Zeugnisse seiner tiefen Sorge um die ihm Anvertrauten (darunter zwei kleine Söhne) wie um das Geschick seines ins Verbrechen gestürzten Landes. Freyas briefliche Konterbande wiederum sind ebenbürtige Episteln voll einfühlsamer Verstandes- und Herzenssicherheit. Überdies ist beider Korrespondenz, von dem mitverschworenen Gefängnispastor Harald Poelchau hin- und hergeschmuggelt, die einzigartige Offenbarung einer großen, wachsenden Liebe, die sich dazu aufschwang, dem Verhängnis des bevorstehenden Todesurteils mit bedingungsloser Zweisamkeit und Treue zu trotzen: "Ich verlasse Dich nicht, denn meine Gefühle und alles, was lieben kann in mir, gehört ja Dir“, schreibt Freya. Und sie ermutigt ihn, sich angesichts des bevorstehenden Prozesses vor dem berüchtigten Brüll-NS-Richter Freisler nichts gefallen zu lassen: "Ich finde es doch wichtig, dass Du groß aus der Sache hervorgehst … schlängeln darfst Du nicht … Diese Männer müssen zum mindesten merken, dass es sich um eine geistige Macht handelt, an die sie trotz allem nicht heran können.“ Und eine Woche später, am 18. Oktober, schreibt sie ihm: "Wenn eine Frau so von der Liebe zu ihrem Mann verschlungen wird wie ich, dann wird sie, was ihr Weg auch sein mag, immer eine glückliche Frau bleiben.“ In seinem Abschiedsbrief wird er ihr, drei Monate später, antworten: "Ohne Dich, mein Herz, hätte ich ‚der Liebe nicht‘. Nur wir zusammen sind ein Mensch. Wir sind ein Schöpfungsgedanke. Darum bin ich auch gewiss, dass Du mich auf dieser Erde nicht verlieren wirst, keinen Augenblick.“

"… nicht als Preuße, sondern als Christ“

Nach dem Todesurteil stellt er am 10. Januar 1945 nüchtern fest: "Mein liebes Herz, zunächst muss ich sagen, dass ganz offenbar die letzten 24 Stunden eines Lebens gar nicht anders sind als irgendwelche anderen.“ Um einen Tag später aufzuzeigen, er sei zum Tod verurteilt worden, "weil der Geist als solcher verfolgt werden soll“. Und sich zu wundern über die Fügung, dass, in Gottes Namen, "Dein Mann ausersehen [wurde], als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher, sondern als Christ, und als gar nichts anderes“.

Jeder Tag Vollstreckungsaufschub wird nun als ein Geschenk empfangen: "Mein Herz, Du lebst noch, wie schön!“, beginnt Freya am 11. Januar ihre Nachricht. Bis zuletzt ist sie unermüdlich auf den Beinen, kümmert sich um Eingaben, Gnadengesuche, Aufschub; vergebens. Am 23. Januar 1945 wurde Moltke im Berliner Gefängnis Plötzensee gehenkt. Der letzte Brief Freyas bricht mitten im Schreiben ab - sie hatte die Nachricht vom Tod ihres Mannes erhalten.

Helmuth James und Freya von Moltke: Abschiedsbriefe

Hg. v. Helmuth Caspar und Ulrike von Moltke C. H. Beck Verlag, München 2011, 608 S.

* 29,95

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