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Briefe aus einer Tragödie

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Zu dem menschlich Ergreifendsten, das in Deutschlands dunklen Tagen geschrieben worden ist, gehören die letzten Briefe des Grafen Moltke an seine Frau. Knapp vor der Hinrichtung geschrieben, unter großen Gefahren empfangen und gelesen, geben sie Kunde von einem Sterben, das, bewußt als Opfer aufgefaßt, zugleich sehr persönlich und sehr öffentlich war. Öffentlich in dem Sinn, daß es der Wunsch des Verurteilten war, daß sein Volk aus der eigenen Not und schließlichen Erhellung Nutzen ziehe. Ist dies geschehen?

Daß die erste Ausgabe der Briefe 1946 in der Juni-Nummer der „Round Table“ erschien, war vielleicht zeitbedingt. Von dort sprang der Funke auf ein anderes Land. Nicht nach Deutschland. John Martin in Südafrika war es, der sie nun veröffentlichte, der ersten südafrikanischen Ausgabe folgte bald eine zweite.

Dann druckte ein alliiertes Magazin Teile der Briefe in deutscher Sprache. Hernach brachte die „Oxford University Press“ in London eine verbesserte Ausgabe heraus, die von Gräfin Moltke, die nun auch den eigentlichen Abschiedsbrief freigegeben hatte, überprüft worden war. Die Einkünfte dieses schmalen Büchleins kommen der Nachkommenschaft jener Männer zugute, die als Mitglied des „Kreisauer Kreises“ starben, es geht ihnen nämlich nicht sonderlich out.

Was fehlt, was noch immer fehlt, ist eine würdige deutsche Ausgabe, in der jene wenigen kostbaren Blattei in eipen Kommentar gebettet wären, der das geschichtliche Material um den Kreis Molt-kes' wiedergibt und seine Persönlichkeit würdigt, vollgültiger und abschließender, als es die etwas dünn wirkende Einleitung der englischen Ausgabe tun kann. Was fehlt, was noch immer fehlt, ist ein deutscher Verlag, der diese Arbeit als Ehre und Pflicht ansehen würde und der die finanzielle Noblesse der „Oxford University Press“ nachahmt.

Ja, so wenig weiß die breite Öffentlichkeit im Grunde über Helmuth James von Moltke, daß man zunächst in einigen Worten der Umstände Erwähnung tun muß, die zu seinem Untergang führten. Moltke war das geistige Haupt einer Gruppe, die sich nicht mit der Beseitigung des Nationalsozialismus, vielmehr ausschließlich, oder beinahe ausschließlich, mit der Frage beschäftigte, was da-' nach zu geschehen habe. In rastloser geistiger Arbeit wurde nach den Fundamenten gesucht, auf denen nach dem Untergang des NS-Staates in einem geschichtlichen Unwetter ohnegleichen, das zu so später Stunde jeder Einwirkung enthoben schien, eine neue, christliche Gesellschaft aufgebaut werden konnte. Es war ein Zufall, der Moltke schließlich doch in Gestapohaft geraten ließ, ein weiterer, verhängnisvoller Zufall, daß an dem Tag, da er entlassen werden sollte, Stauffen-,berg die Rebellentat setzte. Denn in der Offiziersverschwörung erblickten die Machthaber des Dritten Reiches irrtümlicherweise die Früchte jener ihr unerklärlichen, daher irgendwie unheimlichen intensiv-meditativen Tätigkeit der Moltke-Gruppe, die auch durch die Beziehungen zum Jesuitenorden verdächtig geworden war. Ein Irrtum, wie gesagt, dem es nicht an Ironie gebrach, denn wäre Moltke in Freiheit gewesen, hätte er alles darangesetzt, die Tat des 20. Juli zu verhindern.

In den Verhandlungen vor dem Volksgerichtshof aber standen sich,. Jänner 1945, zwei Männer von ungewöhnlichem Format gegenüber. Denn nicht nur Moltke überragte die anderen Mitglieder des

Kreisauer Kreises, auch der Vorsitzende des Volksgerichtes, Freisler, besaß mehr Temperament und Scharfblick als die Allerweltsschergen im Richtertalar, die sonst dem Regime zur Verfügung standen. Es scheint, daß die beiden Männer sich in einer Art Haßsympathie gegenüberstanden. In dem Brief vom 10. Jänner schreibt Moltke:

„Gott sei Dank, daß ich flink bin undy F.'s (Freislers) Tempo spielend mitmachte; das machte übrigens sichtlich uns beiden Freude.“

Und ein wenig später:

„Da ich ohnedies wußte, was rauskam, war mir alles ganz gleich (gemeint sind Freislers Wutausbrüche): ich sah ihm eisig in die Augen, was er offenbar nicht schätzte, und plötzlich konnte ich nicht umhin zu lächeln ...“

So das Vorspiel jenes eigenartigen Kampfes, in dem Moltke insofern Sieger blieb, als er Freisler nach und nach dazu zwang, ihm eben das, und gewissermaßen von Amts wegen, zu bestätigen, was er, Moltke, bestätigt haben wollte: daß es sich hier letzten Endes um einen Konflikt zwischen reiner, von jeder Handlung wie von einer Schlacke befreiten Geistigkeit einerseits und nackter Gewalt andererseits, um den Kampf zweier Urprinzipien, drehe.

Wieder der Brief vom 10. Jänner:

„Die Schutzbehauptungen, die wir alle aufgestellt haben... die muß man streichen, wie sie auch Freisler mit Recht gestrichen hat. Und dann bleibt übrig e i n Gedanke: womit kann im Chaos das Christentum ein Rettungsanker sein? Dieser einzige Gedanke fordert morgen wahrscheinlich fünf Köpfe ... Aber dadurch ... daß keiner dabei ist, der etwas anderes vertrat, dadurch daß festgestellt ist, daß ich großgrundbesitzerfeindlich war, keine Standesinteressen, überhaupt keine eigenen Interessen, ja nicht einmal die meines Landes, vertrat, sondern menschheitliche, dadurch hat Freisler uns unbewußt einen ganz großen Dienst getan, sofern es gelingt, diese Geschichte zu verbreiten... Vivat Freislerl“

Wenn es also Moltke gelang, in den entscheidenden Momenten mit Ruhe und Überlegenheit durch die Freislerschen Wutausbrüche zu navigieren, so überkam ihn doch im Gefängnis manchmal Verzagtheit. Es war der Gegensatz zwischen dem wahrscheinlichen tödlichen Ausgang und der Pflicht, doch bis zuletzt alles zu versuchen, der schwer erträglich war. Der Kaplan des Tegeler Gefängnisses berichtete später:

„Einerseits plante er weitere Gesuche an Himmler und seine Leute, andererseits hatte er Abschied von Freya zu nehmen, nahm auch täglich Abschied von ihr, in all den Briefen ... zweimal stellte sich die Reaktion in Form tiefster Depression ein ...“

Moltke erwähnte diese Augenblicke, als sie endgültig überwunden waren:

„Dann läßt Er mich in unerhörter Tiefe den Abschiedsschmerz und die Todesfurcht und die Höllenangst erleben ...“

Doch je kürzer die Zeit wurde, die Moltke noch verblieb, desto gefaßter, ja heiterer wurde er. Das, was seine Briefe nun zu einer so ergreifenden Lektüre macht, ist ihre vollkommene Ungezwungenheit. Die Einfachheit der Bibel und der Rhythmus der Hymnen, mit denen sich der Gefangene nun so viel beschäftigt, verleihen ihr etwas Edles und zugleich Eindrucksvolles — wie wirkungsvoll steigern sich die zwei „und“ des oben zitierten Ausspruchs — neben dem sich aber das Beiläufige, ja Saloppe erhält.

„Ich habe gar nicht das Gefühl“, schreibt er etwa, „was mich manchmal überkam: ach, nur noch einmal möchte ich das alles sehen. Dabei fühle ich mich gar nicht jenseitig. Du siehst ja, daß ich midi lieb mit Dir unterhalte, anstatt mich dem lieben Gott zuzuwenden. In einem Lied heißt es, ,denn der ist zum Sterben fertig, der sich lebend zu Dir hält'. Ich muß, da ich heute lebe, midi eben lebend zu ihm halten; mehr will ich gar nicht. Ist das pharisäisch? Ich glaube aber zu wissen, daß ich nur in Seiner Gnade und Vergebung lebe und nichts von mir habe oder vermag.“

Nun lösen sich auch, in einer Art von Vorahnung Gottes, die letzten Reste geistigen Hochmuts. Dankbar erwähnt er im letzten Brief dieses Erlebnis:

„Dein Mann, Dein schwacher, feiger, .komplizierter“, sehr durchschnittlicher , Mann, der hat da s erleben dürfen. Wenn ich jetzt gerettet werden würde... so muß ich sagen, daß ich erst einmal midi wieder zurechtfinden müßte, so ungeheuer war die Demonstration von Gottes Gegenwart und Allmacht.. .

Am 23. Jänner 1945 war der Kaplan von Tegel frühmorgens bei Moltke gewesen. Als er um 13 Uhr nochmals in die Zelle kam, um, wie es seine Gewohnheit war, den Gefangenen neuerlich aufzusuchen, war der kleine Raum leer. Moltke war plötzlich nach Plötzensee überstellt worden. Der Kaplan erkannte die düstere Bedeutung dieser Maßnahme und nahm unverzüglich telephonische Verbindung mit Plötzensee auf. Der dortige katholische Geistliche eilte sofort, den Verurteilten zu empfangen, der eben in die Armsünderzelle eingeliefert wurde. Er hat später berichtet, daß Moltke ruhig, standhaft den letzten Weg angetreten hat.

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