Napoleon und die Juden

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Zwei Tage vor meiner Abreise nach Elba erhielt ich ein sinnfälliges Geschenk. Eine Freundin hatte mir im Dorotheum einen alten Druck ersteigert. Er zeigt Napoleon in Wien. Dass Napoleon in einer Wiener Wohnung zu der Ehre gekommen sein sollte, an der Wand zu hängen, beschäftigte mich die Tage auf Elba. Der Parvenu war den Habsburgern doch eigentlich immer verleidet, schon weil er ihnen die Heilige Römische Kaiserkrone Deutscher Nation vom Kopf genommen hatte.

Viele Juden aber lieben Napoleon. Er steht dafür, dass aus eigener Kraft alles möglich ist, also für den Primat von Leistung über Geburt. Vor allem: wir Juden hatten es gut unter Napoleon. Sein Code Civil hatte als erstes Gesetzbuch Europas keine eigene Judengesetzgebung. In seinem Modellstaat Westphalen kam es 1807 zur ersten bürgerlichen und religiösen Gleichstellung in Europa. Napoleons letzter Modellstaat sollte Elba werden. In einem Jahr seines Exils veränderte er die Strukturen der Insel grundlegend. In seiner Residenz in Portoferraio war vergeblich alles für die Ankunft der Kaiserin Marie-Louise vorbereitet. In einem Deckenfresko des Salons der Villa San Martino ließ Napoleon zwei Tauben malen, die durch Wolken getrennt, aber durch ein Band vereint sind. Je weiter die beiden Tauben sich voneinander entfernen, desto fester wird der Knoten gezogen. Die Briefe Marie-Louises an Napoleon sind im schwedischen königlichen Archiv erhalten.

Die Gemahlin, die im März 1814 beim Wiener Vater noch für Ihren Gatten intervenierte, war im Herbst des Jahres bereits dauerhaft mit dem Grafen Neipperg getröstet. Napoleon brach im Februar 1815 voller Tatendrang zu seinem Adlerflug der 100 Tage auf. Da war er bei Marie-Louise und in Wien längst abgeschrieben. Aber mit den Juden Europas blieb das Band der Treue auf Dauer geknüpft.

Der Autor ist Rabbiner und Direktor der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam

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