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Kierkegaard und das europäische Denken

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Als Sören Kierkegaard 1855 im Alter von nur 42 Jahren starb, war noch keines seiner Werke übersetzt. Er hatte sich nicht darum gekümmert, sondern dies, wie gewohnt, der „Vorsehung“ überlassen, fest überzeugt, daß die Zeit seines Ruhms früher oder später kommen werde. Um 1900 lagen in allem Wesentlichen Kierkegaards „Werke“ in deutscher Uebersetzung vor, außerdem eine beträchtliche deutsche Literatur über Kierkegaard, worin dieser sowohl als Philosoph wie als Dichter und Theologe hoch eingeschätzt wurde. Von Deutschland aus verbreitete Kierkegaards Ruf sich nach Frankreich, England und Amerika sowie überhaupt nach allen Kulturländern, tn denen westeuropäische Philosophie gepflegt wirdf Heute, gibt es Uebersetzungen auch in eine Anzahl Sprachen, die nicht Weltsprachen sind, darunter beispielsweise eine vollständige Ausgabe auf Japanisch. Höchst bedauerlich aber ist, daß bisher von Kierkegaard nur die „Werke“ übersetzt sind, wohingegen von seinen intimen, höchst originellen und bedeutsamen „Tagebüchern“, die in der dänischen Ausgabe zwanzig Bände ausmachen, in fremden Sprachen bisher nur Bruchstücke vorliegen, beispielsweise ein paar Bände deutsch und italienisch. Rund gerechnet läßt sich sagen, daß Sören Kierkegaard etwa seit der Jahrhundertwende ein Name von Weltgeltung in philosophischen

Fachkreisen geworden ist, daß aber darüber hinaus in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten dieser Ruf auch noch in weiteren Kreisen besonderen Glanz und Sichtbarkeit gewonnen hat durch das Aufkommen des „Existentialismus“ etwa 1925.

Welchen Platz nimmt nun Sören Kierkegaard in der internationalen Philosophie ein? Für Kenner ist die Antwort nicht zweifelhaft: Sören Kierkegaard hat auf dem philosophischen Parnaß seinen Platz vornehmlich unter den „Lebensphilosophen“. Mit seinen tiefen christlich-religiösen Zügen kann Kierkegaard an Pascal erinnern, und im französischen Schrifttum der Philosophie stößt man des öfteren auf die Erwähnung Kierkegaards als des „dänischen Pascal“ (,,le Pascal danois“). Doch ist dies bei Kierkegaard nur eine Seite von mehreren andern. Auf eine höchst ursprüngliche Weise hat Kierkegaard die wesentlichsten der klassischen Lebensanschauungen sozusagen durchmusiziert. Seine drei „Hauptstadien“ — das ästhetische, das ethische, das religiöse — entsprechen in ihren Grundzügen dem Epikuräismus, dem Stoizismus und dem Christentum; und zu diesen hat er, als zwei „Uebergangsstadien“, von sich aus noch das ironische und das humoristische Stadium hinzugefügt. Bei der Darstellung der „Stadien“ hat Kierkegaard sich einer so engen Verknüp-

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