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Kierkegaard und die katholische Kirche

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Kierkegaards Denken bildet so stark die Keimzelle für moderne Dichtung und Philosophie, daß es nicht verwunderlich ist, seinen Namen immer wieder in der Diskussion des Tages zu finden. Martina Wieds Roman „Kellingrath“, das kürzlich erschienene Kompendium einer Kritik der Zeitströmungen von Erich Przywara „Humanitas, der Mensch gestern und morgen“ (Glock und Lutz, 1952) und die beiden Versuche einer Darstellung der Existenzphilosophie, die in Oesterreich und Dänemark erschienen sind und unabhängig voneinander den gleichen Titel „Von Kierkegaard zu Sartre“ tragen (Leo Gabriel und Olaf Pedersen), sind nur einige Beispiele.

Das merkwürdige ist indessen, daß Kierkegaard auch religiös im Vordergrund steht: er spielt nicht selten die geheimnisvolle Rolle der „Zwischenstation“ auf dem Weg, der zurückführt. Die Rückkehr zur Kirche — ein Begriff, der Kierkegaard selbst durchaus fremd war, vollzieht sich in dieser Zeit oft auf dem Umweg seiner Gedanken.

Es ist deshalb von besonderem Wert, daß Pater Heinrich R o o s SJ. in seiner Schrift „Sören Kierkegaard og Katolicismen“, Ejnar Munksgaard, Kopenhagen, 1952, zum erstenmal den Versuch gemacht hat, das Verhältnis dieses „christlichen Denkers“ zur Kirche zu beleuchten. Es kommt hinzu, daß der religiöse Norden besonders daran interessiert sein muß, darüber Klarheit zu bekommen, weil Kirche paradoxerweise gerade angesichts dieses Denkers aktuell wird. Von einer definitiven Klarlegung kann freilich schon deshalb nicht die Rede sein, weil die Frage für Kierkegaard selbst niemals so brennend geworden ist, daß er sich vor ein konfessionelles Entweder-Oder gestellt sah. Das Verhältnis bleibt während des ganzen Lebens schwebend für ihn. Immerhin ist es der feinen Einfühlung des Verfassers geglückt, uns in dieser kleinen, aber konzentrierten Schrift, die ursprünglich ein Vortrag in „Sören Kierkegaard Selskabet“ (22. Jänner 1952) gewesen ist, über die Nuancen dieses Oszillierens zu unterrichten. Wir erfahren, daß es stellenweise einen weit stärkeren positiven Ausschlag in der Richtung der katholischen Kirche zeigte, als man bei der Abneigung Kierkegaards für den Begriff „Kirche“ annehmen kann. Heinrich Roos weist an Hand von Tagebuchaufzeichnungen nach, wie „dialektisch“ der Philosoph gedacht hat: wie er einmal pro, ein anderes Mal kontra gestanden ist. Die gelegentliche Stärke der Annäherung bleibt doch bestehen, und Erich Przywaras Hinweis auf den „anonymen Katholizismus“ Kierkegaards und dessen Luther-Kritik werden in diesem Licht verständlich. Der Verfasser hat auch die Mühe nicht gescheut, die hinterlassene Bibliothek des Philosophen auf ihren Anteil an katholischer Literatur durchzusehen: aus einer Liste, die der Schrift als Appendix beigefügt ist, finden wir Namen, die geeignet sind, Kierkegaards katholische Sympathien zu verstehen: Thomas a Kempis, Möhler, Görres. Es ergibt sich auch, daß Tagebuchstellen Kierkegaards mit modern thomistischen Gedanken auffallend übereinstimmen.

Heinrich Roos nennt bei Erwähnung katholischer Kierkegaard-Literatur Ferdinand Ebner und meint, daß der dänische Denker für den österreichischen die Bedeutung „eines entscheidenden Durchbruchs zum katholischen Christentum“ gehabt hätte. Im übertragenen Sinn mag es sich so verhalten, daß Ebner ohne diese Führung kaum zu seiner eigenen Religion zurückgefunden hätte. Konkret aber kann Ebners Bekanntschaft mit Kierkegaard nicht unmittelbar als Anstoß zu seiner späten Reversion angesprochen werden. Eher bedeuteten diese Gedanken zunächst — eine Verstärkung der Position, an welcher er die längste Zeit verzweifelt festhielt: einsam und kirchenlos Christ zu sein.

Untersuchungen, wie sie uns Heinrich Roos mit der Anspruchslosigkeit einer gründlichen, sachlichen Untersuchung bietet, sind mit Dankbarkeit zu begrüßen. Der Verfasser begnügt sich nicht bloß mit der Feststellung von Tatsachen, die er hier mühsam herausgearbeitet hat, sondern diskutiert schließlich die Gedanken Kierkegaards, die zu einer Ablehnung der Kirche geführt haben. Es ergibt sich dabei, daß die Antithese „historische Wahrheit der Offenbarung als objektives Moment und das subjektive Glaubensmoment des Erlebnisses“ zu Kierkegaards Zeit noch nicht in solcher Schärfe herausgearbeitet war wie heute. Die Frage scheint deshalb berechtigt, die Roos stellt: „Daß man nicht weiß, welche Richtung Kierkegaards Lebensweg genommen hätte, wenn er länger ge-lebt hätte.

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