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Protestantismus und Monchturn

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Viel zuwenig wird beachtet, dafj der Protestantismus in einer einsamen Klosterzelle das Licht der Welt erblickte. Luther gehörte neunzehn Jahre lang dem Mönchssland an; das Kloster war für ihn weit mehr eine Förderung als ein Hemmnis auf seinem Weg. Freilich geriet Luther in seiner religiösen Entwicklung in einen schweren Konflikt mit der Klosterwelt, und erst ganz am Ende seines Lebens lernte er wieder die erneuerten Klöster als „eine Burg des Friedens in der bösen Welt“ schätzen. Doch vermochte diese späte Einsicht nicht mehr zu verhindern, dafj sein antimönchischer Affekt sich auf den Protestantismus vererbte, der sich bis heute noch nicht von diesem Komplex befreit hat. Luthers fragische Wendung wird gewöhnlich zu einlinig gesehen, auch wird zuwenig in Rechnung gesetzt, wie er im Grunde seiner Seele .Mönch blieb, obgleich er nicht mehr dem Mönchfum angehörte“. Noch in Melanchthons Apologia Confessionis Augusfanae schwingt bei aller Polemik gegen das Ordenswesen ein positiver Unterfon mit, da sie doch etliche Klöster kennt, welche um .das heilige Evangelium von Christo wissen“ und namentlich die Ordenssliffer .Bernhard, Franziskus und andere“ vom damaligen verderbten Mönchfum distanziert.

Der Altprolesfantismus war in diesen Fragen ohnehin kaum zuständig, da ihn seine Kampfsituation veranlagte, das Mönchtum bis auf die verschwindenden Ueberreste der Stifte für adelige Damen aus seiner Mitte auszumerzen. Wie der heutige Profesfantismus über diese Ausfilgung denkt, hat Adolf Harnack in seinem „Wesen des Christentums“ ausgeführt: .Die Reformation hat das Mönchfum abgetan und abtun müssen. Mit Recht hat sie es für eine Vermessenheif erklärt, sich durch ein für das ganze Leben abgelegtes Gelübde zur Askese zu verpflichten; mit Recht hat sie jeden weltlichen Beruf, gewissenhaft vor den Augen Gottes geführt, dem Mönchsstande gleich, ja überlegen erachtet. Aber es trat nun etwas ein, was Luther so nicht vorausgesehen und gewollt hat — das ,Mönchfum', wie es evangelisch denkbar und notwendig ist, verschwand überhaupt. Eine jede Gemeinschaff aber braucht Persönlichkeiten, die ausschließlich ihrem Zwecke leben; so braucht auch die Kirche Freiwillige, die jeden anderen Beruf fahren lassen, auf die ,Welt' verzichten und sich ganz dem Dienst des Nächsten widmen, nicht weil dieser Beruf ein .höherer' ist, sondern weil er notwendig ist und weil aus einer lebendigen Kirche auch dieser Antrieb hervorgehen mufj. Er ist aber in den evangelischen Kirchen gehemmt worden durch die dezidierfe Halfung, die sie gegen den Katholizismus einnehmen muhten. Das ist ein teurer Preis, den wir bezahlt haben; die Erwägung, wieviel schlichte und ungefärbte Frömmigkeit dagegen in Haus und Familie entzündet worden ist, kann ihm nichts abziehenl“ Obschon in Harnacks Worlen das Problem eines evangelischen Mönchtums nicht umfassend aufgerollt wird, stellen sie ein bemerkenswertes Einverständnis eines Gelehrten dar, der mit seiner liberalen Ansicht sicher nicht einer Voreingenommenheit für die mönchische Institution bezichtigt werden kann. Er wiederholte auch in anderem Zusammenhang seine Aussage, dafj der Protestantismus Gemeinschaften brauche, die von jenem Geist erfüllt sind, wie ihn die lauteren Mönche besessen haben und noch besitzen; dem wird kein Einsichtiger widersprechen, der sich eingehender mit diesem Thema beschäftigt.

Der Protestantismus erlitt durch die Ausrottung des Mönchtums eine Verarmung, die bereits die Täufer in ihrer Art korrigieren wollten und deswegen von Bullinger der neuen Möncherei bezichtigt wurden. Mehrfach unternahmen evangelische Christen Versuche zur Einführung der monastischen Lebensweise, welche Bemühungen nicht einfach aus einer romantischen Schwärmerei entstanden. Der stille Gerhart Tersfeegen richtete auf dem Gut Ofterbeck eine evangelische Klostergemeinschafl ein und gab ihr auch Satzungen, die ein ehrwürdiges Dokument protestantischen Mönchtums sind. Nach dem Mülheimer Bandweber versuchte Labadie in Holland ein ähnliches Unternehmen ins Leben zu rufen. Albrecht Ritsehl fiel die innere Verwandtschaf von Mönchtum und piefistischer Lebenseinstellung auf, die in den Verhaltungsmaßregeln der Diakonissinnen ihren Niederschlag fand.

Es gibt auf protestantischem Gebiet ganz unerwartete Anklänge an das Klosterwesen. So spricht vor allem Sören Kierkegaard in seinem Hauptwerk „Unwissenschaftliche Nachschrift“ mehrfach von der mittelalterlichen Klosterbewegung. Bezeichnenderweise betrachtete sich der Mann, der zuerst wieder das Christentum als eine Existenzmifteilung versfand, selbst dahin gehörend. In seiner Selbstdarstellung „Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller“ bemerkt Kierkegaard, wie er zur Zeit der Niederschrift des ästhetisch-ethischen Werkes „Entweder-Oder“ „religiös bereits im Klotser war — was hinter dem Namen .Victor Eremita' sich verbirgt“. Als ein im Kloster lebender Mensch ist sich Kierkegaard vorgekommen, eine Wesenseinsichf, die auch Martin Thust in seiner Monographie über den dänischen Religionsphilosophen betonte: „In diesem Sinn ist Kierkegaard ein protestantischer Mönch, der das Tiefste des alten Klosterdaseins mit der reformatorischen Rechtfertigung des Welflebens einzigartig zu verbinden wufjte.“ Der Gedanke vom Mönch aus Kopenhagen würde, wenn durchgeführt, nicht nur die heutige monoton* Kierkegaard-Auffassung auflockern, sondern man bekäme auch das verhüllte Antlitz eines neuen Mönchtums zu sehen, das im gegenwärtigen Moment mehr geahnt als verwirklicht werden kann. Auf alle Fälle bildet Kierkegaard eine der besten Vorschulen zu einem tieferen Verständnis für das Mönchtum, wie denn sein schwerwiegender Kampf gegen die dänische Staatskirche vorherrschend von asketischen Gesichtspunkten aus entworfen wurde.

Man wird diese mannigfachen Versuche gewifj nicht überschätzen dürfen, sie gelten aber als Symptome einer Mangelerscheinung im Protestantismus, die beseitigt werden sollte. Das Problem ist in der evangelischen Kirche nie ganz zur Ruhe gekommen; die Wunde muf; auch offengehalten werden. Ihre Behandlung ist heute aktueller als je, weil die zu schmale Basis für ein nur auf das Gemeindebewufjisein abgestelltes Christentum offenbar geworden ist. Die Katastrophe ist in dem Augenblick da, wo die Gemeinde, wie eine Romanfigur von Bernanos sagt, zur „toten Gemeinde“ absinkt. Das christliche Leben bedarf unbedingt weiterer Verankerungen als derjenigen der Kirchgemeinden, und eine solche Möglichkeit bietet die christliche Bruderschaft.

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