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Öffentliche Stress-Tests, Anti-Drogen-Programme und eine Ausstellung gegen die Psychiatrie: Scientology geht in die Offensive. Was ist von L. Ron Hubbards Jüngern zu halten?

„An wen denken Sie gerade?“, fragt die nette Dame mittleren Alters. Normalerweise steht sie am Wiener Graben hinter einem Tischchen und stellt Passanten diese Frage. Doch heute hat sie sich vor dem kalten Herbstwetter in die Scientology-Zentrale in der Capistrangasse 4 in Mariahilf geflüchtet, die auch die „Kirche“ der Gruppierung birgt. Einen Steinwurf weiter, in der Barnabitengasse, hat im Frühsommer „Ron’s Bookstore“ eröffnet. Im Laden sind ausschließlich Werke von L. (Lafayette) Ron Hubbard erhältlich, jenes 1986 verstorbenen, ehemaligen Science-Fiction-Autors, dem mit der Gründung von Scientology der Coup seines Lebens gelang.

„Nehmen Sie diese Metallröhren in beide Handflächen und halten Sie sie ganz locker. Damit messen wir die feinen Energieströme, die durch die Finger fließen“, erklärt die nette Dame in der Capistrangasse den „Stress-Test“. Die beiden Metallröhren sind mit dem „E-Meter“ verbunden, das kleinste Körperregungen anzeigen soll. Tatsächlich dauert es nicht lange, bis Fragen nach Studium, Beziehung und das Verhältnis zu den Eltern den Zeiger zum Ausschlagen bringen.

Hat man erst einmal zum Stress-Test Platz genommen, dauert es nicht lange, bis man Hubbards Klassiker „Dianetik“ in die Hand gedrückt bekommt. „Wir haben gerade eine Sonderaktion!“, erklärt die emphatische Frau. „Gegen eine kleine Spende für unser Drogenpräventionsprogramm erhalten Sie diesen hilfreichen Bestseller.“ Den Einwand, man würde vor Kauf des Buches noch gern eine Nacht darüber schlafen, lässt sie nicht gelten. „Am besten, Sie lesen noch ein oder zwei Kapitel im Buch und schlafen dann darüber – und dann kommen Sie morgen wieder vorbei und wir sprechen darüber.“

„Reinigungsprogramm“ an Wiener Schulen

Gespräche führt die „Scientology Kirche Österreich“, die hierzulande nicht als anerkannte Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft, sondern bloß als eingetragener Verein existiert (siehe Kasten Seite 24), oft und gern. Und das nicht nur in Mariahilf oder auf offener Straße. Seit der EURO 08 treten Scientologen auch verstärkt in oder um Wiener Schulen in Aktion: Als Mitglieder des eingetragenen Vereins „Narconon“ verteilen sie bunte Folder über Drogenprävention und -therapie an Jugendliche. L. Ron Hubbard, verrät die Broschüre „Nein zu Drogen“, habe ein „Reinigungsprogramm“ entwickelt, das „die unerwünschten Auswirkungen von Schadstoffen im Körper auf Geist und Verstand“ beseitigen könne. Derlei Methoden riefen den Wiener Sucht- und Drogenkoordinator Michael Dressel auf den Plan: Gemeinsam mit dem Stadtschulrat verfasste er einen Brief an alle Wiener Schulen, um vor diesem Prozedere, das „mit modernen und gesicherten wissenschaftlichen Behandlungsmethoden von Suchterkrankungen nichts zu tun“ habe, zu warnen. Vor Scientology selbst wird indes nicht gewarnt. „Wir sind ja keine Sektenjäger“, heißt es aus Dressels Büro. „Für uns war nur wichtig, die Lehrer zu sensibilisieren, denen vielleicht nicht klar war, was hier dahintersteckt.“

Auch manch andere Initiativen stehen in näherem Zusammenhang mit Scientology, obwohl sie formal unabhängig sind: So wird jene Organisation, die unter dem Namen „Applied Scholastics“ Nachhilfe anbietet, von Scientologen betrieben. Auch hinter der Gruppe „Jugend für Menschenrechte“, dem Verein „Criminon“ zur Rehabilitation von Strafgefangenen und der „Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte“ bzw. „Bürgerkommission für Menschenrechte“ stehen Scientologen. Letztere Gruppe hat eine Schock-Ausstellung mit dem Titel „Psychiatrie – Hilfe oder Tod?“ konzipiert, die ab kommender Woche im Wiener Palais Palffy zu sehen ist.

Wird hier unter einem Deckmantel versucht, neue Mitglieder anzuwerben? Scientology weist dies zurück. „,Sag Nein zu Drogen‘ macht nur Drogenaufklärung, und der Verein, Jugend für Menschenrechte‘ macht nur Aufklärung über Menschenrechte“, erklärt Angelika Thonauer vom Pressebüro der „Scientology Kirche Österreich“ gegenüber der FURCHE. Scientology sei eben „die am raschesten wachsende Religion der Welt“ und werde deshalb wohl „wie jede große Religion am Anfang attackiert“. Thonauer ortet jede Menge „Verunsicherung“ und „Verwirrung“ – vor allem aus „Dr. Müller’s Büro“, wie sie die von German Müller geleitete Bundesstelle für Sektenfragen (siehe Interview Seite 22f) bezeichnet, oder aus dem Mund von Abtrünnigen.

150.000 Euro „Deppensteuer“ abgeschrieben

Einer der bekanntesten ist Wilfried Handl. 28 Jahre lang war er Mitglied der Gruppierung, hat teure Kurse und „Auditings“ absolviert und ist schließlich als Scientologe der Stufe „clear“ (Zustand, in dem der reaktive Verstand völlig ausgelöscht ist) zum Österreich-Direktor avanciert. Erst 2002 fand er im Zuge einer Krebserkrankung, unter der er als „clear“ gar nicht hätte leiden dürfen, und nach der Begegnung mit einer schockierten Jugendliebe den Ausstieg. Die investierten 150.000 Euro hat der 54-Jährige „als Deppensteuer abgeschrieben“. Heute sieht er seine Berufung darin, öffentlich vor Scientology zu warnen – und manches zu relativieren: Während etwa die Gruppierung selbst von 6000 Mitgliedern österreichweit spricht, geht Handl von tausend aus. Die Aktivitäten von „Narconon“ oder „Jugend für Menschenrechte“ seien jedenfalls „klassische Schwindelstrategien und Kundenfangmittel“, so Handl. Und für das Funktionieren des E-Meters gebe es nicht den geringsten, wissenschaftlichen Beweis.

„Offene Lügen“, kontert Angelika Thonauer – und zögert nicht, Wilfried Handl mit Hinweis auf seinen „unethischen Lebenswandel“ und seine „konstante Unehrlichkeit“ persönlich anzuschwärzen. Dass er bei vielen seiner Auftritte von Scientologinnen und Scientologen mit Argusaugen beobachtet wird, daran hat sich der Aussteiger schon gewöhnt. Ebenso daran, bei Scientology als „unterdrückerische Person“ geführt zu werden. Geklagt worden ist er freilich noch nie, betont Wilfried Handl: „Scientology geht es ja nicht um Klagen, sondern um Einschüchterung. Die beste Drohung ist ja immer noch die, die man nicht ausführt.“

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