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Der Kult um Jaroslav Haseks braven Soldaten erlebt in Österreich und Tschechien derzeit Hochkonjunktur. Die Sicht ist sehr verschieden.

Heute sind wir voll", raunte mir ungefragt der Platzanweiser im Wiener Gloria-Theater zu, das heuer im Winter eine Dramatisierung des Klassikers aufs Programm gesetzt hatte. Auch im niederösterreichischen Berndorf, wo soeben eine andere Adaptierung Premiere gehabt hat, dürfte die Kassa klingeln, und bei den Komödienspielen Porcia in Kärnten, die am 19. Juli mit einer Reprise der Aufführung aus dem Vorjahr folgen, wird nicht zuletzt der Name des Regisseurs Fritz Muliar als Kassenmagnet wirken. Muliars Autobiografie erscheint im Herbst im Verlag Styria unter dem Titel "Melde gehorsamst, das ja" mit einem Umschlagfoto des Autors in seiner Paraderolle - ein Symptom dafür, wie sehr Schwejk in Österreich und darüber hinaus mit dem langjährigen Furche-Kolumnisten gleichgesetzt wird.

In Österreich und Tschechien

Das "darüber hinaus" endet allerdings abrupt an der tschechischen Sprachgrenze. Das mehr als 200 Seiten starke Programmbuch des Stadttheaters Brünn, wo der "Schwejk" seit Mitte Mai ebenfalls für ein volles Haus sorgt, erwähnt in seiner detaillierten Szeno- und Filmografie zwar Heinz Rühmann, aber mit keinem Wort Fritz Muliar. In Tschechien wird der Schwejk allgemein mit Rudolf HrusÇinsk´y identifiziert, dessen darstellerische Leistung aus den Fünfzigerjahren auf Videokassetten nachzuprüfen ist. Dass der einstige Regimekritiker nach 1989 sogar in der Föderalversammlung saß, dürfte nicht nur seinen eigenen Ruhm vermehrt haben, sondern auch den von HasÇeks Kunstfigur.

Wie unterschiedlich mit dem Schwejk-Stoff diesseits und jenseits der Grenze umgegangen wird, zeigen zwei Uraufführungen: "Schwejks Enkel" von LubosÇ Balák im April 2002 in Prag und "Schwejk?" von Werner Fritsch im Februar 2003 in Linz. Als ich in der Einführungsmatinee in Linz mein Ansinnen darlegte, die beiden Stücke miteinander zu vergleichen, rief dies auf dem Podium Heiterkeit hervor ...

Angelockt hatte mich ein Satz auf der Homepage des Landestheaters: "Ein Auftragswerk des Oberpfälzer Autors Werner Fritsch zum Thema Schwejk' soll 2003 einen Brückenschlag zum tschechischen Nachbarn wagen." Seit er und Regisseur Gerhard Willert in Linz Fuß gefasst hätten, sei ein Stück mit Schwejk-Thematik erwogen worden, berichtete Dramaturg Franz Huber, und da Brechts "Schweyk im zweiten Weltkrieg" ebenso wie eine bloße Dramatisierung des Romans rasch verworfen worden sei, sei man sich einig geworden, an den gemeinsamen Bekannten Werner Fritsch heranzutreten, ein neues Stück zu verfassen.

Das Schwejk-Prinzip

Fritsch hat seinen "Schwejk?" mit einem Fragezeichen versehen, um sich von der literarischen Vorlage abzugrenzen; der Schwejk-Titel sollte aber auf Wunsch des Theaters erhalten bleiben. Dass viele Besucher das Fragezeichen übersehen würden, war offensichtlich kalkuliert. Ein Teil von ihnen verließ die Uraufführung bezeichnenderweise an der Stelle, wo die Rede auf die Prostituierten an der tschechischen Grenze kommt. Das war aber auch schon die einzige Stelle, die man als lokalen Bezug auffassen konnte.

Fritsch ging es um anderes: um das Schwejk-Prinzip nämlich, das er in drei Figuren aufspaltet, die den "parzivalhaft-tumben", den "schelmenhaft-pikaresken" und den Aspekt der "Überaffirmation" darstellen. Es ist Fritsch hoch anzurechnen, dass er Schwejk nicht verniedlicht. Auch dass er die Schwejk-Thematik mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus verknüpft, ist legitim. Bloß zur Verbesserung der spezifisch österreichisch-tschechischen Beziehungen hatte er nichts beizutragen.

Der reale Schwejk

Einen solchen Beitrag zu leisten, kam dem erst 33-jährigen LubosÇ Balák erst gar nicht in den Sinn, und erst recht nicht dem Prager Nationaltheater, auf dessen Bühne laut Balák "Sujets mit großen Themen" gehören, "die die ganze Gesellschaft betreffen". Baláks großes Thema ist weder der Nationalsozialismus, der auch im "Protektorat Böhmen und Mähren" seine Mitläufer gefunden hat, noch der Kommunismus, sondern die Medienwelt. Insofern ist sein "IsÇtvánek" - ein Zechbruder, der von seinen Kumpanen "Schwejk" gerufen, von einem PR-Agenten als Politiker entdeckt, bis zum Premierminister hinaufgepuscht und schließlich ermordet wird - schon ein Schwejkscher Urenkel. HasÇeks Kampf gegen Militarismus und Obrigkeiten aller Art, gegen Österreich-Ungarn und die katholische Kirche im Besonderen, interessiert Balák nicht. Dennoch steht er sehr bewusst in der nationalen Rezeptionsgeschichte des Romans: "Sobald die Gesellschaft in außerordentliche, tödliche Gefahr gerät, wie es im Ersten Weltkrieg der Fall war, ist es nötig, einen realen Schwejk herbeizurufen, einen konzentrierten Idioten', der uns auf die Gefahr aufmerksam macht." Und der Schwejk im Titel des - von der Kritik noch weit ärger als jenes von Fritsch zerzausten - Stückes sollte auch hier als Köder herhalten.

"Der reale Schwejk": Das ist wohl der Angelpunkt im unterschiedlichen Verständnis von Jaroslav HasÇeks Figur diesseits und jenseits der Sprachgrenze. Im Ausland zerfällt der Schwejk in ein Synonym für Überleben im Widerstand und in eine Symbolfigur für das tschechische Volk; bei den Tschechen bilden die beiden Elemente eine untrennbare Einheit. Die Diskussion dreht sich höchstens darum, in welchem Ausmaß Schwejk repräsentativ ist. "Nicht Schwejk, sondern ZÇiÇzka!" hat einmal ein Manifest gefordert, dem der brave Soldat zu brav und zuwenig hussitisch war. Aber den Antimilitaristen und Antihabsburger vom Tschechen zu trennen, ist dort noch niemandem eingefallen.

Antihabsburger

Wie kraftvoll diese Synthese nach wie vor ist, zeigen zwei Schwejk-Enzyklopädien, die in den letzten beiden Jahren in Prag erschienen sind, aber auch die Aufführung der Schwejk-Dramatisierung am Mestské divadlo Brno, die vom tschechischen Kulturministerium subventioniert wird. Da wird gnadenlos mit Österreich-Ungarn abgerechnet, mit dem vertrottelten Kaiser, dem dekadenten Offizierscorps und Klerus, den korrupten Beamten, den blasierten Professoren. Von allen Bearbeitungen, die ich kenne, Karel LamáÇcs Stummfilm ausgenommen, der, wohl auch nicht zufällig, vor einigen Monaten im Wiener Metro-Kino zu sehen war, kommt diese den Intentionen des Dichters am nächsten. Sie endet mit Schwejks Plädoyer für die Vernunft.

Geradezu putzig nimmt sich demgegenüber Felix Dvoraks, als solche durchaus stringente, Dramatisierung des Romans aus, die bis zum 27. Juli im Kaiser-Franz-Joseph-Theater in Berndorf gezeigt wird, unter dem Ehrenschutz des tschechischen Botschafters in Wien, JirÇí GrºusÇa. "Entspannte, fröhliche Stunden" wünscht Bürgermeister Kozlik im Programmheft, und die werden auch geboten. Christoph Fälbl verleiht seinem Schwejk durchaus kantige Konturen, doch die Inszenierung ist aufs Abschleifen ausgerichtet, abzulesen etwa am Verhältnis Schwejks zu seinem Vorgesetzten Lukasch und an der Darstellung des Feldkuraten Katz. Die beiden sind in Brünn aus ganz anderem Holz geschnitzt.

Gute Unterhaltung

Und Gerald Pichowetz im Gloria-Theater an der Prager Straße? Der kann mit Abstand am besten böhmakeln und hätte auch sonst das Zeug zu einem großen Schwejk, ließe er sich nur von einem Regisseur an die Kandare nehmen. Als Hausherr setzt er lieber auf Ironimus Sokrates vom Voralpengebiet, mit dem er sich dann auch den Applaus teilen muss.

Wo wohl die Gründe für die Schwejk-Renaissance in Österreich und Tschechien liegen mögen? In beiden Ländern gewiss in dem Bemühen, sich vor dem EU-Beitritt Tschechiens mit der eigenen und gemeinsamen Geschichte zu beschäftigen, wobei das Klischee des Schwejk hilfreich zu sein scheint. Hinzu kommen prosaische Gründe: Man erspart den Theaterbesuchern, sich durch einen Wälzer durchzubeißen, und dem Theatereigentümer Honorare an den Autor, sind doch für HasÇek keine Tantiemen mehr zu zahlen. In Tschechien lässt sich der Schwejk zudem touristisch vermarkten: als Markenkennzeichen für eine Restaurantkette, als Marionette, ja sogar als Schachfigur.

Aus welchen Gründen auch immer: Schwejk schweigt noch lange nicht.

Der Autor ist Publizist in Wien.

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