Vor Kurzem bekam ich Besuch von einer jordanischen Familie. Mir fiel auf, dass der 60-jährige Familienvater seiner Frau immer wieder ins Wort fiel, sie vor allen Anwesenden kritisierte und hin und wieder respektlos mit ihr redete. Gleichzeitig war sie ihm gegenüber sehr gehorsam und wies auch die Kinder immer wieder darauf hin, ihrem Vater nicht zu widersprechen. Sie war äußerst darauf bedacht, dass er zufrieden ist, er seinerseits machte aber deutlich, dass alles was sie tat, zu wenig sei.
Ich habe die Dame, die gebildet ist, unter vier Augen danach gefragt, warum sie sich alles gefallen lasse und sich auf diese Weise unterwerfe. Sie meinte, sie lebe so seit über 30 Jahren und es gehöre einfach zu ihrer Rolle als gute Ehefrau ihrem Mann zu gehorchen. Ich fragte sie nach den Kindern, die offensichtlich unter diesem patriarchalen Vater stark litten. Sie meinte auch hier, dass es ihre Aufgabe sei, die Kinder zu guten Menschen zu erziehen, die ihrem Vater gehorchen und sich nicht mit ihm anlegen. Nach einer langen Diskussion auch mit den Kindern stellte sich heraus, dass Mutter und Kinder vor dem Dilemma standen, den in weiten Teilen der arabischen Welt herrschendem Verständnis vom Respekt gegenüber dem Ehemann/dem Vater gerecht sein zu wollen, zugleich aber stark unter dieser Selbstaufgabe zu leiden und sich nach Freiheit und Selbstbestimmung zu sehnen.
Ich vertrat die Ansicht, dass Ehefrau und Kinder es in der Hand haben, ihr Recht auf Selbstbestimmung zu verwirklichen, indem sie dem Vater mit einem respektvollen, aber unmissverständlichen "Nein" Grenzen aufzeigen. Mutter und Kinder sahen dies als eine Kriegserklärung an, die die Familie nur zerstören würde. Ich blieb aber dabei: die Selbstbefreiung hat einen hohen Preis, den die betroffenen Subjekte zahlen müssen, wenn sie sich selbst und kommende Generationen zur Mündigkeit führen wollen.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster
