Traditionen kippen - und Neues entsteht

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Mit einem vielschichtigen Programm ging am vergangenen Wochenende das 36. Internationale Jazzfestival Saalfelden über die Bühne. Längst ist das Festival Fixpunkt im europäischen Jazzkalender - der Pinzgau präsentiert sich dabei erneut als lebendige, offene Kulturregion.

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Mit einem vielschichtigen Programm ging am vergangenen Wochenende das 36. Internationale Jazzfestival Saalfelden über die Bühne. Längst ist das Festival Fixpunkt im europäischen Jazzkalender - der Pinzgau präsentiert sich dabei erneut als lebendige, offene Kulturregion.

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Eine Stadt ins öffentliche Bewusstsein zu heben, indem man sie einmal im Jahr unter das Zeichen des Jazz stellt, stiftet Identität und macht den Ort unverwechselbar. Zum 36. Mal fanden am vergangenen Wochenende internationale Jazztage in Saalfelden statt, und alle spielen mit. Der Blumenladen ist stolz darauf, den ersten Preis der Schaufensterdekoration gewonnen zu haben. Vor dem Kongresshaus, wo Konzerte stattfinden, befindet sich eine gut bevölkerte Begegnungszone mit Gastronomie, fliegenden Händlern und einer Leinwand, auf der Konzerte live übertragen werden. Das Hotel Hindenburg, ganz auf die Bedürfnisse des Publikums eingestellt, wirbt mit den einladenden Worten "Let's fetz". Nach all den oft schwierigen Jahren steht die Bevölkerung zu dem Festival, es gehört zum Jahresrhythmus dazu. Die Saalfeldener übernehmen nicht nur die Rolle von Gastgebern, sie sind mittendrin.

Jazz ist Erfahrungssache. Wer lange genug konfrontiert wurde mit den wilden Helden der Improvisation, lässt sich auch nicht unterkriegen von Brachialmusikern wie James Blood Ulmer und seiner Band. Denn das muss man wissen: nach Saalfelden werden nur Bands eingeladen, die es ernst meinen, die die Musik vorantreiben möchten, experimentieren auch auf die Gefahr hin, dass ein Projekt abstürzen kann. Aber wenn ein Konzert scheitert, dann auf sehr hohem Niveau. Jazz, angenehm zwischendurch zum Tee zu hören, findet hier nicht statt. Es geht um nichts weniger als eine Standortbestimmung der Gegenwart. Und dabei geht es hart, sehr hart mitunter, zur Sache.

Crash der Kulturen

Einer schönen Tradition zufolge bietet das Eröffnungskonzert etwas vollkommen Neues. Es ist das Ergebnis einer Auftragsarbeit, die in diesem Jahr an die Komponistin und Musikerin Maja Osojnik erging. Gerade hatten die Vorredner zu einer würdigen Asylpolitik aufgerufen, als Osojnik mit ihrem Projekt "All.The.Terms.We.Are" die musikalische Umsetzung zu einer Welt in Aufruhr zu liefern schien. Jazz ist nicht anders als jede andere Kunstform auch ein kritischer Kommentar der Verhältnisse. Im Sextett unternimmt Osojnik, die sich nicht gern festlegen lässt auf Stil und Haltung, alle Anstrengungen, Vielfalt zu ihrem Recht kommen zu lassen. Sie ist eine Traditionalistin, die mit der Musik des Mittelalters und der Renaissance vertraut ist und aus elektronischer Musik starke Energien bezieht. In solch einem Spannungsfeld beheimatet, kann es nur zum Crash der Kulturen kommen. Das Unwägbare, Unberechenbare zieht Osojnik an, und so wechselt ihr Auftritt zwischen dem intimen Klang einer befreiten Innerlichkeit und dem schroff-schrillen Aufschrei, in dem ein Unbehagen zu vernehmen ist: eine der großen Überraschungen des Festivals.

Da ist James Blood Ulmer, dessen Formation den Abschluss des Festivals bildete, schon aus ganz anderem Holz geschnitzt. Es gibt Momente, in denen er back to the roots geht. Dann ist etwas vom erdigen Klang des Blues zu verspüren, der vom Mississippi kommt, wo die niedergedrückten Seelen wohnen. Mit den drei Saxofonisten David Murray, Oliver Lake und Hamiet Bluiett, die dem Jazz zu unerhörten Freiheiten verholfen haben und einen Klang aus Protest und Widerstand formen, hat er widersetzliche Musiker an seiner Seite. Jazz ist nichts für Weicheier!

Mit Witz und Aberwitz

Der Posaunist Christian Muthspiel erinnerte mit dem Pariser Franck Tortiller am Vibraphon und dem Bassisten Jerome Harris aus Brooklyn an Werner Pirchner, den sanften Radikalen aus Österreich. Gemeinsam mit Harry Pepl bildete er das legendäre Jazz-Zwio, dem so unsterbliche Titel wie der die Form des indischen Raga aufgreifenden "Hosentraga" zu verdanken sind. Pirchner, der liebende Alpenländer, der die Engstirnigkeit hasste und deshalb den Kampf mit seinem Land aufnahm, war ein Musiker, der aus dem Geist der Ironie schöpfte. Schön, wie der heitere Rebell plötzlich wieder da war, augenzwinkernd vorgestellt von einem Trio, für das Ernsthaftigkeit und Heiterkeit keinen Widerspruch bilden.

Von Ironie versteht auch die amerikanische Band "Mostly Other People Do the Killing" eine Menge. Ihr Name soll sich auf ein Zitat des Physikers Lew Termen beziehen, der meinte, Stalin sei nicht so schlimm gewesen, hätten doch zumeist andere Leute das Töten übernommen. Zynisch? Jedenfalls reagiert das Quartett um den Bassisten Moppa Elliott auf katastrophale Verhältnisse, indem es kaltschnäuzig mit traditioneller Ordnung abfährt und Witz wie Aberwitz Raum schafft.

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