Wo sich der Spaß aufhört

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Muss man die verblüffend langwierige Sexismus-Debatte, die von der deutschen "Affäre Brüderle“ ausgelöst wurde und bis nach Österreich schwappte, ernst nehmen? Ja, man muss - schließlich geht es um Macht und Respekt.

Nun haben sogar die Villacher Narren ihre feministische Ader entdeckt: Pünktlich am 2. Februar, dem Tag der TV-Aufzeichnung des ORF-Straßenfegers, wurden zwei weitere Frauen als Ehrenmitglieder der Faschingsgilde aufgenommen, um den Ruf Villachs als "Botschafter der Fröhlichkeit und des Humors“ in die Welt zu tragen. Ob sich "Noste“ und die anderen Stars der Lei-Lei-Lustigkeit deshalb ihre Schmähs über Blondinen oder frustrierte Emanzen verkneifen? Spätestens am Faschingsdienstag werden wir es erfahren.

Dass man in Österreich nur augenzwinkernd über Sexismus diskutieren kann, steht freilich jetzt schon fest - und wurde vergangenen Sonntag Im Zentrum einmal mehr bewiesen. Auch wenn sich Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) noch so sehr um Ernsthaftigkeit bemühte: Gegen den Machoschmäh eines Michael Jeannée hatte sie keine Chance. Der Subtext der Show war klar: Sexuelle Belästigung ist als Thema nicht ganz ernst zu nehmen - und Menschen, die das etwas anders sehen, verstehen leider keinen Spaß.

Demontage eines Schwerenöters

Ginge es nur um den Schwerenöter Rainer Brüderle, den Auslöser der halblustigen Debatte - man könnte es dabei bewenden lassen. Der neue, deutsche FDP-Spitzenkandidat soll der Stern-Journalistin Laura Himmelreich in einer Bar bescheinigt haben, "auch ein Dirndl ausfüllen“ zu können - und wurde dafür ein Jahr später von ihr als personifizierter "Herrenwitz“ demontiert. Ein Fall, der nicht nur zeigt, wie schnell sich traditionelle Machtverhältnisse (starker, alter Mann versus schwache, junge Frau) umkehren können, sondern auch, wie rasch Magazine ohne übertriebene Scheu vor spärlich bekleideten Damen zu Speerspitzen des Feminismus mutieren.

So weit, so interessant. Seit tausende Frauen auch in Österreich den Fall Brüderle zum Anlass genommen haben, um im sozialen Netzwerk Twitter unter "#Aufschrei“ eigene Sexismus-Erfahrungen zu deponieren, muss freilich Schluss sein mit lustig. Worum geht es? Es geht um Macht: jene Macht, die sich im beruflichen Kontext meist noch immer fest in Männerhand befindet und in Form schlüpfriger Anspielungen oder manifester Übergriffe bestehende Hierarchien zementiert. Doch was ist mit jener Macht, die Frauen kraft ihres Körpers über Männer besitzen. So zu tun, als würden Frauen prinzipiell "nur für sich“ zu Attraktivitätsverstärkern wie Push-up-BHs oder High Heels greifen, ist heuchlerisch. Doch sind sie deshalb mit schuld an Übergriffen? "Wieso ist es in Ordnung, dass Frau ihr Aussehen strategisch einsetzt, aber nicht in Ordnung, dass Mann darauf reagiert?“, fragt die deutsche Journalistin Birgit Kelle im Debattenmagazin "The European“ ( www.theeuropean.de) - und kritisiert unter dem angriffigen Titel "Dann mach doch die Bluse zu!“ die Neuauflage des weiblichen "Opfer-Abos“ (übrigens deutsches Unwort des Jahres 2012, geprägt vom Schweizer Wettermoderator Jörg Kachelmann).

Getriebene des eigenen "Basic Instinct“?

Natürlich: Nicht alle Frauen sind immer nur Opfer, nicht alle Männer immer nur Täter. Und doch ist Kelles Zugang hochproblematisch: Nicht nur deshalb, weil er Männer auf Getriebene ihres "Basic Instinct“ reduziert, sondern weil es in letzter Konsequenz wieder die Frau ist, die durch bloße Anwesenheit Übergriffe provoziert. Man kennt das aus Ländern, in denen Vergewaltigungen von Frauen - mit oder ohne Verschleierung - auf der Tagesordnung stehen.

Davon sind wir in Österreich gottlob weit entfernt. Und doch ist der auf Twitter offenbar gewordene Alltagssexismus unerträglich. Was dagegen hilft? Strafen für Po-Grapscher, die kein Richter im Zweifel verhängen würde, vermutlich kaum. Es braucht vielmehr von beiden Geschlechtern Sensibilität dafür, wieviel Nähe in welchem Kontext passt - und die Bestärkung von Frauen, sich bei Übertritten lautstark zu wehren. Wenn sich das durch die halblustige "Brüderle“-Debatte bis an die Stammtische dieses Landes - oder gar bis ins Congress Center Villach! - durchgesprochen haben sollte, dann war sie nicht umsonst.

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