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Advent in der Arbeiterjugend

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Ueber unsere Jugend wird viel gesprochen, selten Gutes. Man sagt — und das zürn Teil mit Recht —, sie habe keinen Idealismus und sei ziel- und antriebslos. Ein Artikel im „Readers Digest“ formulierte vor einiger Zeit sein hartes Urteil über die Jugend von heute mit den Worten: „Unsere Jugend ist so fad wie zweimal abgebrühte Teeblätter.“

Die Katholische Jugend stand in ihrem Ethos immer schon über dem Durchschnitt und dem allgemeinen Niveau. Nun bahnt sich gerade in dem Teil dieser Jugend, von dem man es von vornherein am weriigstäft erwarten würde, nämlich in der Arbeiterjugend, in den letzten Jahren eine Umwandlung an, die allmählich die Oeffentlichkeit aufhorchen läßt.

Die Wiener und die Gäste aus den Bundesländern staunten, als am Katholikentag im September 1952 beim Fackelzug der Katholischen Jugend etwa 1000 junge Wiener Industriearbeiter in ihrer schmucken Tracht den großartigen Zug der 60.000 Jugendlichen beschlossen. Hier sah zum ersten Male die Oeffentlichkeit das Antlitz der Katholischen Arbeiterjugend (KAj). Auch in den Arbeitsstätten tut sich einiges: Am Karfreitag dieses Jahres standen in über 1000 Betrieben Oesterreichs um 15 Uhr die Maschinen eine Minute lang still. Lebendiger Glaube und tausend Heldentaten der jüngsten Arbeiter und Arbeiterinnen in den Betrieben hatten es ztt-standegebracht, daß zur Todesstunde Christi . eine Gedenkminute gehalten wurde. Als mäh sich um die Unterbringung der starken Näcn-wuchsjahrgänge zu bemühen begannj kam der KAJ ah Initiative zur Lösung dieses Berufsproblems kein ahderer Jugend verband gleich. Nun hat die KAJ wieder eine Ueberraschung für die Oeffentlichkeit bereit: Für den kommenden 1. Mai plant die gesamte KAJ Oesterreichs eine große Wallfahrt nach Mariazell. Es ist ein üngcheuCrliEhes Unterfangen für eine Jungarbeiterbewegung, den 1. Mai auf diese Weise zu feiern. Nicht wenig aufschlußreich ist die Art, in der diese Wallfahrt gestaltet wird: Die Jungarbeiter bereiten die Wallfahrt innerlich durch eine neunmonatige Gebetsnoverie, durch Besuch der Werktagsmesse an Marientagen und durch Sammeln von Gebetsanliegen von ihren Arbeitskameraden und der Bevölkerung vor. In Mariazell will die KAJ die Betreuung und den Ehrenschutz über den den Polen gehörenden Ladislaus-Altar so lange übernehmen, bis die polnische Kirche wieder frei ist. Auf der Abschlußkundgebung wird Msgr. C a r d i j n aus Belgien, der Gründer der KAJ, sprechen.

Die Idee Cardijns kam nach Oesterreich durch belgische und französische Jungarbeiter, die während des Krieges in Wien arbeiten mußten. Am 12. Jänner 1946 wurde die österreichische KAJ in einem zerbombten. Gasthaussaal in der Pfarre Krim in Wien XIX. gegründet. Sechs junge Arbeiter machtet! den Anfang. Die erste Zeitung der jungen Bewegung war der „Aktivist“. Nächtelang saßen die Jungarbeiter zusammen, um das Blatt zu gestalten, das ihre Ideen hinausrufen sollte. Sie legten ihr letztes Geld zusammen, üth im Dezember 1947 die erste Nummer ihres Blattes herausgeben zu können. Bald wurde das Blatt vom „Jungen Arbeiter“ abgelöst, der im Herold-Verlag einen warmen Förderer fand. Die Auflage des „Jungen Arbeiters* wächst um ein Drittel jährlich.

Ein Statistiker könnte sich Gedanken machen: Beim Katholikentag machten also 1000 Wiener katholische Arbeiterjugend-Männer mit. Ist das eine Zahl von Bedeutung? Wenn man für Wien etwa 100.000 Jungarbeiter errechnet, machen 1000 ein Prozent aus. Verglichen mit der Stärke anderer weltanschaulich ausgerichteter Jugendverbände ist diese Zahl durchaus nicht bedeutungslos. Stärkemeldungen der Jugendverbände sind sehr schwer zu erhalten. Einzig Father Flana-gan gelang es im Jahre 1948, Zahlenüberblicke zu bekommen. Eine Zeitschrift (Orbis catholicus) gab unlängst als Zahl der an einem Gruppenleben Anteil nehmenden Burschen und Mädchen der Sozialistischen Jugend Wiens 3000 an. Das gäbe also etwa 1500 Burschen. Beim Katholikentag zogen nun nicht alle KAJ-Mitglieder mit, außerdem ist seit einem Jahr die KAJ wieder um ein Beträchtliches gewachsen und zählt viele Sympathisierende. Eine ganze Anzahl katholischer Jungarbeiter marschierten beim Katholikentag mit beruflich nicht getrennten Pfarrjugendgruppen, den Pfadfindern oder den Kolpingsöhnen.

Die KAJ verfügt über einen geschulten Führernachwuchs. Mit Ausnahme (einstweilen noch) des Burgenlandes haben alle Bundesländer hauptamtlich freigestellte Diözesanführer. Sehr gut verankert ist die KAJ vor allem in den steirischen Industriegebieten und in Tirol-Vorarlbergs

Die Weiterentwicklung dieser augehblick-lich stärksten geistigen Bewegung Oesterreichs wird davon abhängen, wie die KAJ mit ihren Widerständen und Widersachern fertig wird. Es ist keine Kleinigkeit für diese jungen Industriearbeiter, sich in ihrer weithin gottfremden und wohlorganisierten Umgebung in den Betrieben nicht nur zu behaupten, sondern diese Umgebung für Christus zu erobern. Die ganze Welt der Erwachsenen steht gegen diese Jugend. Auch im katholischen Lager begegnet die KAJ da und dort noch Mißtrauen irhd Reserviartheit. Die Bischöfe schätzen ausnahmslos die KAJ sehr hoch. Manchem Priester aber fällt es schwer, einzusehen, daß ein Mensch auch, ohne zu wissen, wann die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern war, ein tadelloser Christ sein kann. Und was das tadellose Christentum angeht, haben viele Jungarbeiter, die, aus kirchenfernen Lagern kommend, eben erst Kontakt mit der KAJ aufgenommen haben, ' noch einen weiten Weg dahin.

Immerhin sind aus den Reihen der KAJ seit 1946 mehr als 50 Pricsterstudenten in die Serninare und Spätberufehenschuleh gegangen. Aus allen Berufsschichten kamen sie: Hilfsarbeiter, Maurer, Schlosser, Schneider, Schriftsetzer, Mechaniker, Textilarbeiter. Mail kann es ermessen, wieviel Tatkraft es für einen jungen Menschen, der schon im Berufsleben gestanden ist und Geld verdient hat, erfordert, sich jahrelang auf die Schulbank zu setzen, um Priester zu werden.

Die KAJ erzieht ihre Mitglieder zu einem gesunden Arbeitsethos und gerechtem sozialem Denken: Arbeit ist ein Mittun mit dem ständig tätigen Gott und Dienst am Nächsten. Gerechtigkeit heißt nicht nur fordern, was recht ist, sondern auch leisten, was recht ist. Die KAJ lehht die Politik der kalten Verstaatlichung ab und erstrebt im Sinne der natürlichen Gerechtigkeit und der sozialen Ansprachen Pius XII. eine Wirtschaftsform, in der dem bisher besitzlosen Arbeiter die Möglichkeit der Eigentumsbildung offensteht.

Ein gutes Zeichen für den gesunden sozialen Geist der KAJ ist die Tatsache, daß sich viele, auch durchaus nicht katholische Meister und Unternehmer eigens um Arbeiter aus den Reihen der KAJ bewerben. Bei einer Rundfrage, die ein KAJ-Lehrlingsheim an die Meister ihrer Jungarbeiter stellte, ergab es sich, daß es unter 70 nur bei zwei Lehrlingen Beschwerden über ihre Arbeitsleistung und über ihr Verhalten im Betrieb gab.

Allen diesen Problemen gegenüber hat die katholische Oeffentlichkeit eine große Verantwortung. Ihr Interesse dafür zu wecken ist der Zweck dieser Zellen.

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