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Starker als halbstark

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Vor einiger Zeit erschien eine Pressenotiz, nach der ein amerikanischer Unteroffizier etliche Wochen Arrest bekam; er hatte einen Naehbar-buben geohrfeigt, weil ihn dieser wiederholt beschimpft, mit Steinen beworfen, Scheiben eingeschlagen, das Schlüsselloch mit Lehm verschmiert hatte usw.

Die deutsche Zeitschrift „Stimmen der Zeit“, November 1959, kritisierte amerikanische Erziehungsgrundsätze und Methoden in einem Artikel „Tradition und Wandel in der amerikanischen Erziehungstheorie“. Wir geben aus dem Artikel einige wenige Gedanken wieder:

„Amerika gilt nicht als das Land der Philosophen. Es wird jedoch in kaum einem anderen Land mehr diskutiert und philosophiert, wenn es sich um Erziehungs- und Schulprobleme handelt. Der (stark von Hegel beeinflußte) John Dewey formte in seinem langen Leben das Denken mehrerer Lehrergenerationen bis au} den heutigen Tag. Zwei seiner Grundsätze: 1. Autorität hindert die freie Entwicklung der Intelligenz und schadet somit dem „demokratischen“ Ideal. (De-wey möchte alle Autorität aus der Schule verbannen.) 2. Sittliche Werte ändern sich mit dem Fortschritt. (Einer seiner Schüler konkretisiert diesen Gedanken: Die Vielehe ist schlecht vom Standpunkt der amerikanischen Kultur; sie ist nicht schlecht in der früharabischen Kultur.) An die Stelle fester Unterrichtsgegenstände treten vielfach .Probleme' als Schulfächer (Probleme des Schullebens, des Selbstverständnisses, der demokratischen Regierung ...). Amerikanische Kritiker machen die deutsche Schule für eine Erziehung zu .preußischer' Unterwürfigkeit und damit zu politischer Unselbständigkeit verantwortlich. Katholische Erzieher in den USA weh--ren sich gegen die Auflösung fester geistiger und sittlicher Werte.“

Der amerikanische Erzieher Father Fla nag an untersuchte an einer großen Zahl im Leben Gestrandeter die Ursachen, die diese Menschen von der gerechten Bahn abbrachten. Sein Untersuchungsergebnis lautet:

,. . J.H allen Valien von Entwicklung zu asozia-. , Um Lebensstil waren immer zwei Tatsachen fest-, zustellen: Die Betreffenden hatten erstens Gott verloren, und es mangelte ihnen zweitens die häusliche Nestwärme, vor allem die Mutterliebe.“

Der berühmte amerikanische Strafverteidiger (er ist jetzt Richter) Sam L e i b o w i t z suchte Klarheit zu gewinnen über die Ursachen der Jugendkriminalität als beängstigende Massenerscheinung, indem er das Land, in dem diese Erscheinung bisher am geringsten aufgetreten war, besuchte, nämlich Italien. „This Week“, New York (deutsche Wiedergabe im Kath. Digest, November 1959), berichtet darüber:

„Wenn Sie mich zum Beispiel nach der Jugendkriminalität fragen, brauche ich Sie nur einzuladen, einmal in meinen Gerichtssaal in Brocu'yn zu kommen... Wenn wir diese Entwickhing verfolgen, bemächtigt sich unser eine tiefe Hoffnungslosigkeit... Wir gehen dem Problem mit einer Reihe schlecht oder überhaupt nicht aufeinander abgestimmter Maßnahmen zu Leibe ... Aber all diese Maßnahmen sind eher gegen die Folgen, als gegen die Ursachen gerichtet. — Auf meiner Studienreise durch Italien fragte mich eines Tages ein höherer Polizeibeamter, ob wirklich bei uns bereits die Teenager die Polizei angriffen. Ich mußte zugeben, daß dies der Fall sei. ,0h, das können wir kaum glauben', antwortete der Beamte. .Kein italienischer Jugendlicher würde je Hand an einen Po-lizeibeamten legen. Bei uns gibt es zwar Diebstähle und manchen groben Unfug, aber die Jungen bleiben bei ihren Streichen doch noch innerhalb der Grenzen ihrer jugendlichen Welt.' — ,Und wie halten Sie sie innerhalb dieser Grenzen? Wie verhindern Sie ihr Ausbrechen daraus?' fragte ich. In allen Teilen Italiens erhielt ich die gleiche Antwort: Die jungen Italiener respektieren die Autorität. Dieser Respekt beginnt zu Hause, überträgt sich auf die Schuh und setzt sich auf der Straße und in den Gerichtssälen fort... So fand ich in der altüberlieferten Weisheit der Italiener den Grundsatz, der uns nach meiner Meinung nach mehr helfen kann als alle Komitees, Verordnungen und Millionenprogramme zusammen: Setzt den Vater wieder als das Haupt der Familie ein!“

Diesem Bericht gemäß verdient die wahrhaft volksverderbende Untergrabung der Autorität, die ja auch in unserem Lande sehr weit gediehen ist, beachtliches Augenmerk. Anderseits hat uns die Erfahrung gelehrt, daß die unfundierte Autoritätsforderung, wie sie zum Beispiel bei der Hitlerjugend bis zur Verherrlichung verbrecherischen Terrors getrieben wurde, keinerlei positive Werte schafft.

Es ist klar, daß die Jugendkriminalität auch in unserem Land eine ernste Gefahr ist. Vielleicht ist der Sache damit gedient, daß wir uns fragen, welche positiven Kräfte am wirksamsten den Familien zur Heranbildung einer guten jungen Generation mithelfen.

Unter den Erziehungshelfern gebührt sicher der erste Platz den Jugendverbänden, die leider in der öffentlichen Meinung zu wenig beachtet und in der Subventionierung durch die öffentliche Hand mehr als stiefmütterlich behandelt sind. Der Wert dieser Verbände für den Jugendlichen besteht vor allem darin, daß sie (und vielfach nur sie) ein wirksames Gegengewicht zu sein vermögen gegen die weithin korrupte Großmacht „Öffentliche Meinung“.

Unter den Jugendverbänden, die zum großen Teil im Bundesjugendring zusammengeschlossen sind, verdient die Katholische Arbeiterjugend besondere Beachtung. Die KAJ ist in unserem Land nach dem letzten Krieg faktisch aus dem Nichts geworden und hat sich bis heute gegen die verschiedensten Widerstände durchzusetzen. Pius XI. hat einmal gesagt: „Wer an die KAJ rührt, der rührt an dem Augapfel des Papstes.“

Staunenswert ist es, daß es Cardijn gelang, in einem Menschenalter auf der ganzen Welt seine Stützpunkte mitten ins Heidentum hineinzubauen. Die Tatsache der Welt-KAJ macht die Behauptung, es sei mit der Verchristlichung und Vermenschlichung der Jugend nichts zu machen, hinfällig.

In unserem Land ist an Positivem, das durch die KAJ erreicht wurde, vor allem folgendes zu buchen:

Die KAJ ist weit in den kirchenfremden Bereich vorgestoßen. Es ist also in Österreich auch heute möglich, das' katholische Ghetto zu durchbrechen!“ Das Christentum hat gerade in der Welt der Arbeit große Zukunftschancen. Aus den Reihen der KAJ bereiten sich mehr als 100 junge Arbeiter auf das Priestertum vor. Andere Jungarbeiter gehen als Laienmissionäre in die Kolonien.

Die Kajisten haben ein überdurchschnittlich gutes Arbeitsethos und stellen der Wirtschaft unseres Landes fachlich ausgezeichnete Kräfte. Die Klassenhaßparole ist dem Streben nach beiderseitiger Gerechtigkeit gewichen.

Der vielleicht beachtlichste Erfolg ist: Aus der KAJ ist eine Reihe gesunder Familien herausgewachsen. Der missionarische Geist der KAJ lebt in der Katholischen Arbeiterbewegung, der natürlichen Fortsetzung der KAJ unter den Erwachsenen, fort und zieht weitere Kreise.

Auf dem sozialen Gebiet werden KAJ und KAB mehr und mehr zu einem nicht zu übersehenden gestaltenden Faktor.

Der ausschlaggebende Faktor an der Cardijn-Methode ist sicher die konsequente Schulung zum „Sehen“-Lernen, der Geist der Untersuchung. Die fortgesetzte Übung, sich über alles seine Gedanken zu machen (von den unscheinbarsten Gegebenheiten des betrieblichen und häuslichen Alltags angefangen), gibt der KAJ und KAB ihre große geistige Regsamkeit und Aufgeschlossenheit. In der Cardijn-Bewegung ist die tödliche geistige Öde unserer Zeit überwunden. Wir glauben nicht zu weit zu gehen, wenn wir behaupten, daß durch das „Sehen-Urteilen-Handeln“ ein ganz neues Bildungsziel im Kommen ist, welches das ablösen mag, was heute landläufig als „Humanismus“ geboten wird (der so, wie er ist, nie ganz taufbar ist). Jedenfalls hat es den Anschein, daß sich in etlichen Kreisen auch der katholischen Welt heute eine große Ideen- und Antriebslosigkeit Platz gemacht hat, während im Gegensatz dazu etwa die Studientagungen der KAJ und KAB vollgeladen sind mit drängenden Problemen und Lösungsmöglichkeiten, die gar nicht alle auf einmal bewältigt werden können.

Das mindestens ebenso tragische wie komische „Weil-mir-so-fad-Ist“ Qualtingers ist bei KAJ und KAB abgelöst durch das Motto: Wir wissen für unsere kleine und große Welt und auch für die Jugendprobleme viele Lösungen, nur mangelt es uns noch an den Kräften, alles zugleich anzugreifen.

Und das macht diese Bewegung so stark und zukunftsfroh.

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