6888354-1979_37_02.jpg
Digital In Arbeit

Christ sein heißt soziales Engagement!

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist eine Tatsache, daß Frauen in einem mir bekannten Textilbetrieb nicht einmal S 4000,- monatlich (netto) verdienen, daß ebenfalls Frauen in einer Lebensmittelfabrik auf höchstens S 4500,- netto kommen; daß Frauen durch die Akkordarbeit (und die zusätzlichen Belastungen durch die Hausarbeit) nervös werden und sich untereinander streiten; daß Arbeiterinnen durch die ständig gleichen Bewegungen infolge eines Arbeitsprozesses (oftmals mehrere tausend Mal am Tag) physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt sind … und, und, und.

Einige dieser und viele andere Erfahrungen habe ich im wahrsten Sinne des Wortes „am eigenen Leib” in der Fabrik verspürt Als ich versuchte, mit meinen Kolleginnen über die Arbeitsprobleme und ihre Auswirkungen zu reden, kam plötzlich, wie aus heiterem Himmel, die Kündigung! „Aus wirtschaftlichen Gründen” wurden zwei Frauen eines Großbetriebes „abgestellt”. Das Einigungsamt entschied zugunsten des Konzerns. Jedoch was Recht ist, muß nicht unbedingt die Wahrheit sein!

Mit anderen Worten: Recht und Gerechtigkeit hängen entschieden von dem Standpunkt ab, den einer bezieht. Die objektive Wahrheit, die objektive Gerechtigkeit gibt es nicht - so meine ich.

Denn: jene, die die Entscheidung über Produktionsmittel haben, rechtfertigen ihre Lage; diese ist ja auch gesetzlich abgesichert. Jenen aber, deren Existenz vom Verkauf ihrer Arbeitskraft abhängig ist, steht das Recht auf Arbeit gesetzlich nicht zu.

Also doch ein kleiner Unterschied!

Angesichts dieserTatsache und den sozialen Unterschieden in unserem Land und angesichts der ungerechten Güterverteilung in der Welt, Hunger, Arbeitslosigkeit, Ausbeutung der Rohstoffe in den Entwicklungsländern fühle ich mich verantwortlich, mich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen: dort, wo ich stehe, mit den Möglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen.

Nicht der Mensch soll Diener der Wirtschaft sein, sondern die Wirtschaft muß im Dienste der Menschheit stehen!

Innerhalb meiner aktiven Zeit in der Katholischen Arbeiterjugend Österreichs gab es ziemliche Auseinandersetzungen mit kirchlichen Autoritäten. Die Frage lautete z. B.: „Ist die KAJ noch christlich, ist die KAJ marxistisch, kommunistisch unterwandert?”

In diese Zeitspanne fiel auch der 5. Weltrat der Internationalen Christlichen Arbeiterjugend, bei dem ich die KAJÖ vertreten durfte. Die Aussagen der Delegierten in einer Grundsatzerklärung haben neuerlich Konflikte gebracht Jedoch welches sind die Interessen derjenigen, die oftmals mit dem Schreckgespenst „Marxismus - Kommunismus” als

Absage an die Freiheit, Abschaffung der Religion usw. operieren?

Als ich mehr als ein Jahr als Fabriksarbeiterin „gedient” habe, ist mir die Sinnlosigkeit solcher Diskussionen bewußt geworden. Für den Menschen im Arbeitsprozeß sind andere Fragen vordergründig, z. B.: Wie komme ich mit dem Geld aus’ (siehe Einleitung)? Wie lange ist mein Arbeitsplatz sicher? Welche gesundheitlichen Risken muß ich in Kauf nehmen (Schichtarbeit, Akkordarbeit …)?

Es ist natürlich eine Tatsache, daß sich viele mit der Situation abfinden - „Da kannst eh nichts machen”, „Das wird immer so sein”, „Was sollen wir Kleinen denn schon tun?”.

Wahrscheinlich ist es kurzfristig auch nicht anders denkbar, als den Mund zu halten und zu schlucken.

Hier stellt sich die Frage der Bewußtseinsbildung- - ein Bewußtsein, daß der „Mensch im Mittelpunkt der Gesellschaft steht”, ist eine Voraussetzung für politisches Handeln, zu dem sich jeder Mensch verpflichtet wissen sollte.

Vielleicht fragt sich hier der Leser, was das mit Christentum zu tun hat?

Eine Erklärung: Ich war z. B. ziemlich enttäuscht, als bei einem Gespräch mit einem Bischof dieser mir auf die Probleme und Situationen der Arbeiter, wie ich sie erlebt habe, abschließend antwortete: „Christus hat gesagt: Sucht zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch dazugegeben werden!”

Das ist nicht mein Verständnis von Christentum! Denn: Was ist das Reich Gottes? Sind wir nicht aufgefordert, an diesem Reich stückweise mitzuarbeiten? An einer Gesellschaft zu bauen, die tatsächlich allen Menschen Selbst- und Mitbestimmung ermöglicht, die dem arbeitenden Menschen Vorrang gegenüber dem Kapital (das ja ohnehin „von den Motten zerfressen wird”) einräumt?

Ein Leben in brüderlicher Gemeinschaft, in Solidarität und Gerechtigkeit, das wünsche ich mir - dafür will ich mich engagieren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung