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Digital In Arbeit

Die religiöse Situation der österreichischen Arbeiterjugend

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Tausende Vierzehnjährige, die Ende Juni die Schule verlassen haben, begannen mit dem neuen Arbeitsjahr ihre Laufbahn als junge Arbeiter. Der fachliche Erfolg ihrer Lehrzeit wird durch eine — verglichen mit anderen Staaten — gute Gesetzgebung und weithin wirksame Uber-wachung durch die Gewerkschaft geschützt. Religiös gesehen aber sind d i e Lehrjahre ein großes seelisches Massenmorden.

Der belgische Arbeiterjugendseelsorger Msgr. C a r d i j n schildert die religiöse Situation der jungen Arbeiter während seiner eigenen Jugend: „Während meine früheren Schulkameraden in Fabriken und Werkstätten gingen, durfte ich weiterstudieren. Nach ein paar Jahren trafen wir uns alle wieder. Da mußte ich feststellen, daß sie alle verdorben waren, Jungen, die vorher besser waren als ich. Ich aber wurde Priester.“ Vergleichszahlen darüber, wie viele von unseren Hauptschulkindern seelsorglich erfaßt sind und wie wenige Jungarbeiter der Kirche zugänglich sind, zeigen, daß der religiöse Weg unserer jungen Arbeiter mit den Feststellungen Cardijns parallel läuft.

Der Jungarbeiter tritt mit 14 Jahren in seinen neuen Lebenskreis, Fabrik oder Werkstätte, ein. Er kommt dabei fast durchwegs in ein religionsfeindliches Milieu. Da er sehr häufig weder von zu Hause noch sonstwie zu religiösem Leben angehalten wird, schwindet Gott aus seinem Bewußtseinskreis. Durch diese Lage scheint ein großer Teil unseres Volkes zur Religionslosigkeit verurteilt zu sein. Jedem, der einigermaßen Anteil nimmt am Geschick unserer Jugend und unseres Volkes, muß dieses Problem ein ernstestes Anliegen sein.

Für die praktische Arbeit sind bereits vielversprechende Ansätze vorhanden.

Die seelsorgliche Erfassung der Arbeiterjugend erstreckt sich im wesentlichen auf zwei Arbeitsgebiete: die Schaffung von Arbeiterjugendinternaten und die Betreuung der daheim wohnenden jungen Arbeiter in den katholischen Jugendgruppen. Während für die Gesellen in den Häusern des Katholischen Gesellenvereins eher Unterkommen zu finden ist, ist der Mangel an katholischen Heimen für Lehrlinge ein weitaus größerer. Der Bedarf an katholischen Lehrlingsheimen ist mit den vorhandenen Heimen, wie etwa in Wien mit dem. Internat der Kalasantiner in der Gebrüder-Lang-Gasse, dem Heim an der Pfarre Canisius in der Michaelerstraße 10 und dem Lehrlingsheim Schloß Neuwald-egg, bei weitem nicht gedeckt. Die Bedeutung solcher Internate besteht darin, daß in ihnen vor allem viele Lehrlinge vom Lande mit Berufen, die sich nur in der Stadt erlernen lassen, in ihrer religiösen Existenz bewahrt bleiben können.

Von noch größerer Bedeutung für die Rettung unserer Arbeiterjugend ist die Erfassung der daheim wohnenden Jungarbeiter in Gruppen der Katholischen Jugend. Die Tendenz der Führung der Katholischen Jugend geht dahin, die Pfarrjugendgruppen in den Städten nach Berufen in studierende Jugend und Arbeiterjugend aufzugliedern. Dabei ist die Katholische Arbeiterjugend (KAJ) n'cht eine im übrigen formlose bloße Berufseinheit. Sie schließt sich in ihrem Aufbau und ihren Arbeitsmethoden an die von Cardijn gegründete internationale Katholische Arbeiterjugend an.

Zwischen Hoffen und Bangen

Die brennende Frage ist nun: Ist nach den bei uns bisher vorhandenen Ansätzen und Fortschritten tatsächlich eine greifbare und wirksame Annäherung an das Ziel der KAJ, die innere Erneuerung des Arbeiterstandes, in absehbarer Zeit zu erhoffen?

Der zahlenmäßige Stand von etwa zwanzig solid konstituierten KAJ-Grup-pen in Wien bedeutet zwar schon einen schönen Anfang der bei uns noch jungen KAJ-Bewegung. doch ist er, gemessen an der Größe des Zieles und der Zahl der Pfarren (186 in Wien!), bis jetzt wirklich nur ein Anfang. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, beim letzten Fackelzug der Katholischen Jugend vom ganzen Bezirk Ottakring keine hundert Burschen mitgingen, so ist das ein alarmierender Warnruf, alle Kräfte für den weiteren Aufbau in den Arbeiterbezirken einzusetzen.

In den Bundesländern hat die KAJ vor allem in Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg und im steirischen Industriegebiet Schwerpunkte gebildet. Manche andere weite Gebiete liegen noch ganz brach. Muß das auch weiterhin so bleiben?

Methodik und Geist der KAJ-Bewegung tragen alle Möglichkeiten einer großartigen Ausbreitung in sich. Die Schichtung der KAJ in drei konzentrische Kreise: Aktivisten, Mitglieder und Sympathisierende, ist nicht nur eine auf dem Papier stehende Aufteilung, sondern zeigt, wie es ein grundsätzliches Anliegen der Bewegung ist, gerade den Abseitsstehenden aus dem feindlichen Lager zum Sympathisierenden zu machen, bis er fähig ist, Mitglied oder gar Aktivist zu werden.

Jetzt schon vorliegende Erfolge bestätigen durchaus die Gangbarkeit dieses Weges. In einer großen Wiener KAJ-Gruppe ergab eine Rundfrage, daß nur fünf Prozent der Mitglieder positiv katholische Väter haben. Es ist kein Zweifel: die KAJ hat die innere Kraft, Fernstehende, und zwar nicht nur Vereinzelte, zu gewinnen.

Es wäre überhaupt weit gefehlt, dem katholischen Jungarbeiter deshalb, weil er durchschnittlich weniger Bildung besitzt, nur ein zweitrangiges Christentum zusprechen zu wollen. Im Gegenteil, gerade die Not des jungen Arbeiters, der dauernde Kampf und seine persönliche Armut geben dem jungen katholischen Aktivisten besondere Kraft. Daraus erklärt es sich auch, daß die KAJ in ihrer aktiven Arbeit, sei es nun im Hereinholen Fernstehender oder im Beeinflussen der öffentlichen Meinung in Fabrik und Werkstatt oder in gegenseitiger Hilfeleistung, Dinge fertig bringt, die man gar nicht für möglich halten würde.

Der Geist Cardijns und seiner Jungarbeiterbewegung ist ein echtes, nüchternes, opferbereites, lebensnahes Christentum. Das Ziel ist die Rettung des Arbeiterstandes. Der neue Arbeiterstand braucht, Männer mit echter Religiosität, die ehrlich, redlich, keusch sind, Männer, denen solide Arbeit eine Ehre ist, für die Klassenkampf wohl einen ernsten Kampf um die Rechte des Arbeiters, nicht aber grundsätzlichen Haß gegen den Unternehmer bedeutet. Diese Ziele sind geeignet, auch den schon so oft enttäuschten und betrogenen jungen Menschen von heute anzuziehen und mitzureißen.

Die größten Schwierigkeiten, die der jungen Bewegung entgegenstehen, sind der Führermangel und der Mangel an materiellen Mitteln.

So aufopfernd sich auch einige (durchwegs junge) Laienführer für die Bewegung einsetzen, können sie doch nicht ohne jede Unterstützung die ganze Bewegung in kurzem auf die nötige breite Basis bringen. Noch bedenklicher ist der Priestermangel. Für die Wiener Verhältnisse zum Beispiel könnte man ruhig sagen:

Wenn wir nur zwanzig Priester hätten, die sich ganz für die Missionsaufgaben an der Arbeiterjugend einsetzen könnten, hätten wir in zwanzig Jahren einen anderen Arbeiterstand in Wien.

Aber diese zwanzig Priester sind nicht da. Wo Priester da sind, die persönlich gerne ihre ganze Kraft für die Arbeiterjugend daransetzen würden, sind sie zu sehr mit anderen Aufgaben belastet. Es gibt im Weltklerus wohl hauptberufliche Religionslehrer, für die Arbeiterjugendseelsorge aber ist in den meisten Diözesen kein einziger Priester freigestellt. Gewiß ist es bei der augenblicklichen seelsorglichen Belastung zahlreichen Pfarren nahezu unmöglich, intensive Arbeiterjugendseelsorge zu betreiben. Andererseits ist es bei der derzeitigen seelsorglichen Monopolstellung der Pfarren ebenso nahezu unmöglich, außerhalb des pfarrlichen Rahmens eine KAJ-Gruppe zu gründen.

Zum Aufbau von Gruppen gehören natürlich auch Heime, zu den Heimen materielle Mittel. Die maßgebenden Stellen des katholischen und öffentlichen Lebens müßten der seelischen Not und dem Ringen der Jugend, aus ihr herauszukommen, größte Aufmerksamkeit schenken und diesen Erkenntnissen in entsprechendem Ausmaß Taten folgen lassen.

Auch für die Großindustrie wäre es eine für sie selbst dankbare Aufgabe, einer Bewegung mit so wertvollen Zielen ihre tatkräftige Unterstützung an-gedeihen zu lassen.

Denn letztlich ist die Industrie in ihrer Existenz von einer guten Zusammenarbeit mit. einem ehrlichen Arbeitet stand auf der Basis absoluter beiderseitiger Gerechtigkeit abhängig.

Die Lösung der Priesterfrage und tatkräftige Unterstützung der so hoffnungsvollen KAJ-Bewegung durch alle verantwortlichen und interessierten Kreise werden die hauptsächlichsten Bedingungen sein, die ein rasches Voranschreiten der Bewegung zu ihrem Ziel, der inneren Erneuerung unserer Arbeiterschaft, ermöglichen.

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