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Katholische Jugend zwischen Masse und Elite

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Als 1945 in unserem Vaterland das Tor in eine vermeintliche Freiheit etwas jäh aufgestoßen wird, konstituieren sich wieder allenthalben die Bünde katholischer Jugend. Lange rückgestaut gewesene Energien werden aktiviert, oft aus einem romantischen Optimismus heraus, der die harten Konturen der Wirklichkeit nur hinter einem Schleier von Illusionen sehen läßt.

Neuerlich wird die katholische Jugend zu einer Massenorganisation, mit allen Merkmalen einer solchen, im „nichtmarxistischen“ Bereich die Jugendorganisation schlechtweg. Fehlt doch vorerst jede Kpnkurrenz auf dem sogenannten „rechten“ Flügel: es gibt weder eine bürgerlich-liberale noch eine nationale Jugendgemeinschaft. Vor der Alternative: Parteigebundene oder freie Jugendgemeinschaft stehend, entscheiden sich die jungen Menschen, so weit sie überhaupt in Gemeinschaften gehen, starrer organisatorischer Bindungen müde, zu einem großen Teil für die in ihren formellen organisatorischen Ansprüchen großzügigen katholischen Jugendbünde.

Es ist nun, angesichts der Massen, welche in der katholischen Jugend stehen, ein großer Irrtum, anzunehmen, daß die Zugehörigkeit zu einer katholischen Jugendgruppe im gleichen Maße eine weltanschauliche Qualifikation darstellt, wie in der ersten Republik. Man darf daher von der zahlenmäßigen Bedeutung der katholischen Jugend keineswegs geradezu linear auf ihre nationale und gesamtösterreichische Wirksamkeit Schlüsse ziehen.

Etwa 1949 ist das Maximum der Breitenentwicklung überschritten. Die erste Führergarnitur, zum Teil noch aus der Katakombenzeit, ja sogar aus der ersten Republik stammend, ist ausgeschieden. Man hat aber von der Substanz gelebt und für die Erneuerung des Führerkorps durch die Heranziehung eines neuen Führerteams nicht entsprechend vorgesorgt. Freilich kann lange Zeit hindurch die Tatsache dieses Führermangels durch die Schwäche anderer Jugendorganisationen einigermaßen überdeckt werden. Ab 1950 sind aber dem Beobachter die äußeren Zeichen eines weitreichenden organisatorischen und führungsmäßigen Rückganges deutlich sichtbar. Wenn der Fackelzug zum Katholikentag 1949 noch 20.000 junge Katholiken auf die Wiener Ringstraße bringt, sind es 1950 nur mehr 15.000 und 1951 noch 12.000. Von diesen 12.000 sind 40 Prozent Burschen, der Rest Mädchen und Kinder. Dabei eine Erinnerung (ohne jede Sentimentalität): bei einem Bundestag des alten Reichsbundes sah der Ring einen Aufmarsch von 20.000 jungen Männern (freilich aus ganz Österreich).

Es wäre nun widersinnig, den Tatbestand einer erkennbaren und geradezu unheilvolle Ausmaße annehmenden Entwicklung zu verschweigen und um des lieben Friedens willen einem durch die Wirklichkeit keineswegs gedeckten Optimismus zu huldigen. Andererseits sind DIB ÖSTERREICHISCH!!wieder allgemeine kritische Bemerkungen ohne sachlichen Wert. Ich halte es daher für besser, die mir bedeutsam erscheinenden Tatbestände in der gegenwärtigen Situation der katholischen Jugend herauszustellen und die Dinge jeweils beim Namen zu nennen.

1. Das Problem Masse und Elite istbishersogut wieungelöst geblieben: weder Masse noch Elite. Das Vorhandensein von Elite setzt doch schon begrifflich Masse voraus, aus der heraus sich erst so etwas wie eine Elite ablösen kann. Wo ist aber da die Chance zur Bildung einer Elite, wenn in Pfarren mit vielen Tausenden von Seelen insgesamt, wie dies vielfach der Fall ist, 20 bis 40 junge Menschen in den Gruppen der Pfarrjugend stehen. Die Heimholung der Masse und der Randschichten aber ist heute die große missionarische Aufgabe der jungen Kirche, beileibe nicht die Kultivierung von Grüppchen und das „besinnliche“ Gespräch in kleinsten Runden. Wie wenig geschieht etwa bei der Arbeiterjugend! Ein einziger Sekretär für ganz Österreich soll die geradezu mit einem Mythos überdeckte Jocistenbewe-gung organisieren, fast ohne Geld und Hilfe der Verantwortlichen. In dem seelsorglich und organisatorisch so reiche Möglichkeiten bietenden ersten Wiener

Gemeindebezirk besteht nicht ein Gruppe der Arbeiterjugend. Für die Erfassung der jungen Angestellten geschieht so gut wie gar nichts; sie scheinen, obwohl vom Beruf her bestimmt geprägt und einer besonderen Führung bedürftig, einfach nicht zu existieren.

Zw e i t e n s hat die katholische Jugend heute zu einem großen Teile keine repräsentative Führerschicht, sondern eher eine Zufallsführung, die in kurzen Abständen völlig ausgewechselt wird, und zwar so rasch, daß sie weder selbst Erfahrung sammeln, noch welche weitergeben kann oder gar aus sich heraus eine lebendige Organisation zu begründen vermöchte. Was vor allem fehlt, ist der Apparat, der die jeweilige Arbeit nicht völlig von der Qualität der zufällig erkorenen Führung abhängig macht. Es gibtkeine Permanenz in der- Führung, ebensowenig wie ein brauchbares Statut. Ja, es ist so, daß nicht weniger als vier Diözesen nicht einmal einen Diözesanführer haben. Ebenso mangelhaft ist der Kontakt zwischen den Zentralen und den einzelnen Gruppen. Eine Frage: Wie viele zentral organisierte Veranstaltungen in den Bundesländern haben beispielsweise im Reichsbund stattgefunden und wie viele Referenten werden — sagen wir in einem Monat — von der Wiener Zentrale in die Bundesländer gesandt? Die Zusammenarbeit zwischen Stadt- und Landjugend ist mehr als dürftig. Jede der beiden Organisationssäulen wird ängstlich von der anderen getrennt gehalten. Nicht günstiger ist das Verhältnis der einzelnen Länder zur Wiener Zentrale, der Kantönligeist wächst, je mehr die alte Führerschaft verbraucht wird.

In den Gruppen steht und fällt die Arbeit meist mit dem Wollen und Können des Jugendseelsorgers. Der faktische Einfluß der Laienführung ist gering, sie hat nur „Helferdienst“ zu leisten. Gerade aber in den Pfarren wäre es notwendig, der Jugendbewegung Entwachsene als Berater in einem aktiven und die Stetigkeit der Führung garantierenden B e irat zusammenzufassen. Es ist nicht möglich, daß Jugend zur Gänze von Jugend geführt wird.

Drittens: Ganz ernst ist der Wandel im Altersaufbau der männlichen katholischen Jugend, bei der eich eine progressive „Verjüngung“ zeigt. Die Jungmannschaft fehlt so gut wie ganz. Wer heiratet, er möge noch so jung sein, scheidet formell, wer in den Verlobungsstatus tritt, scheidet faktisch aus. Es gibt Pfarren, in deren Jugendgemeinschaften die ältesten Burschen maximal 20 Jahre sind. Auf diese Weise fehlt der Jugendbewegung die aktive Schichte der 2 0-bis 30 jährigen, die junge Mannschaft. Sie ist aber auch nicht bei den Männern, sondern lebt irgendwo im organisatorischen Niemandsland für sich dahin. Die so manchen Laien imponierenden Ziffern über die Mitgliederstände bieten daher wenig Erkenntniswert, so lange sie nicht nach Altersschichten aufgegliedert sind.

Die Entwicklung ist bereits so weit, daß eine Reparatur unmittelbar aus dem Organismus heraus kaum mehr möglich ist. Die meines Erachtens einzige Lösungsmöglichkeit ist die Bildung einer eigenen Organisation der Jungmannschaft.

Viertens: Nicht viel kann über die Bildungsarbeit gesagt werden. Wo kann von der Bildung von Eliten gesprochen werden, wenn so wenig und so unsystematisch geschult wird (die Arbeiterjugend ausgenommen). In wie vielen Gemeinschaften wird denn der wöchentliche außerkirchliche Gruppenabend abgehalten! Obwohl ein Stab von Rednern auch für die Bundesländer da wäre! Das Unwissen in Dingen weltlichen Belanges, so im sozialen und staatsbürgerlichen Bereich, ist nach meinen vieljährigen Erfahrungen gerade unter katholischen Jugendlichen erstaunlich.

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