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Der 1. Mai — in MaHazell
Millionen Menschen haben in Massenkundgebungen in Ost und West diesen 1. Mai gefeiert. Sie folgten hierbei den Parolen und Kampfrufen, die diese und’ jene politische Partei und deren Führer ausgaben. Massen, geführt in Aufmärschen und Demonstra- . tionszügen, geduldig, gehorsam, singend: und schweigend, wie ihnen das Gesetz befahl: ein Gleichnis für den Sog, für den Mechanismus heutiger politischer und gesellschaftlicher Zustande. Ein eigenartiges Bild bot demgegenüber der 1. Mai 1954 in dem Wallfahrtsort Mariazell.
7000 katholische Jungarbeiter waren da mit Autobus, Bahn oder Rad in den Gnadenort geströmt. Sie glichen einem guten Ackerboden, der weder durch Raubbau noch durch schlechte Experimente verdorben ist. Monatelang hatten sie die Wallfahrt gut vorbereitet, organisiert und gespart, und niemand, kein Arbeitnehmer- und kein Arbeitgeberverband, hatte ihnen zur Gestaltung ihres großen Unternehmens auch nur einen Schilling gegeben ...
Dieser 1. Mai von. Mariazell hat. seine eigene Bedeutung. Zunächst zeigte er die überraschende Stärke und die ausgezeichnete Verfassung der katholischen Arbeiterjugend. Er zeigte, was ihre Organisation, die KAJ, schon ist und schon kann. Ergreifend war die Lichterprozession, war dann die Stimmung in der Mitternachtsmesse, in der Nacht auf den 2. Mai, als alle Jungarbeiter, vom Gebet um das Wohl der. gesamten österreichischen Arbeiterschaft, und für die Anliegen der Arbeiterfamilien bewegt, die heilige Kommunion empfingen.
Da gab es noch ein bedeutungsvolles Ereignis in Mariazell, und das war die- Ueber- nahme des durch das gewaltsam verursachte Fernbleiben der Ungarn vereinsamten Ladislaus-Altars durch die KAJ. Die Uebernahme erfolgte in Gegenwart einer exilierten ungarischen Arbeite.rgruppe aus dem Lager Wels, und die neun besonderen Kerzen des Altars, die dun verloschen sind, sollen erst dann leuchten, wenn sie Wallfahrer aus der Heimat selbst wieder entzünden können.
Zu einem weithin sichtbaren Zeichen für alle in Oesterreich wurde der 1. Mai von Mariazell durch d a s E r s c h e i n e n aller österreichischen Bischöfe, mit Ausnahme des zur Kur weilenden Erzbischofs von Salzburg. Dieses Zusammentreffen kann geschichtsbildende Kraft werden. Daß der ehemalige armselige Hausmeisterbub von Brüssel, der lange schlecht verstandene Ka-
nonikus Cardijn, alt und am Stock, aber ein Feuergeist erster Ordnung, selbst anwesend war, gehörte zum normalen Verlauf einer nationalen KAJ-Tagung. Außerordentlich aber war die Demonstration der Bischöfe. Ihre Solidarität mit der Arbeiterjugend will sagen, daß die Kirche lange nicht mehr eine solche des Adels oder nur eine des Bürgers ist. Gewiß, die Kirche muß für alle Menschen da sein — aber Vater Cardijn sprach cs jüngst bei einer Pricstertagung deutlich genug: Eine Kirche ohne Arbeiter wäre nicht mehr die Kirche Jesu Christi. Und so wurde das Zusammentreffen von Arbeiterjugend und Bischöfen, worauf in der Pressekonferenz in der Mariazeller Prälatur in Anwesenheit: von Bischof Dr. König besonders hingewiesen wurde, „zu einem rcligionspoli- tischcn Ereignis erster Ordnung“. Im Zimmer nebenan wohnte der greise Kardinal von Wien in seiner Eigenschaft als Festgast, es war der Raum, in dem einst Kaiser Franz-Joseph seine sehr späten Mariazeller Tage verbracht hatte. Und nun hielt nebenan die Arbeiterjugend eine Pressekonferenz ab und zeigte dadurch an, daß der Arbeiter im Begriffe ist, auch im Kirchenraume bestimmend und gestaltend und erbberechtigt neben die alten geschichtlichen Mächte zu treten ...
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