6637879-1957_26_20.jpg
Digital In Arbeit

Steirische Gnadenmutter

Werbung
Werbung
Werbung

In den Jahren, seit ich Landeshauptmann von Steiermark bin, haben so mancher Markt und so manche Stadt unserer steirischen Heimat, so Erohnleiten, Murau; Rottenmann, St. Gallen, Weißkirchen, der Silberort Oberzeiring und das ąlte Eisenzentrum Vordernberg das Jubiläum, sei es der ersten urkundlichen Nennung oder der Märkterhebung vor- fünf und mehr Jahrhunderten, festlich begehen können. Jeder dieser Orte hatte seine schwere Geschichte am Hofzaun des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation tapfer bestanden, unter Pest, Hunger und Krieg gelitten, und in Treue unverbrüchlich seinen Zoll an Entsagung und Blut dem Vaterlande geleistet. In den Stunden der Not aber haben, wie wir aus den Quellen wissen, die Bürger dieser Orte die Gnadenmutter von Mariazell um ihren Schutz angerufen, sich immer wieder ihr versprochen und dann in Dankbarkeit reiche Votivgaben dargebracht.

Mariazell aber war von Anfang an mehr als nur ein lokal beschränkter, steirischer Gnadenort. In den 800 Jahren, die er nun besteht, sind nicht nur Steirer, sondern Menschen aller Nationen und aller 'Berufsstände dorthin gepilgert. Am ersten Kirchenbau hatte schon der mährische Markgraf Heinrich I. Wladislaus (1198 bis 1222) mitgewirkt, da er hier Heilung von der Gicht gefunden hatte. König Ludwig I. von Ungarn und Polen, aus dem Hause dCr Anjou, hat dann aus

Dankbarkeit für seinen wahrscheinlich im Jahre 1377 über die mit den Türken verbündeten Bulgaren errungenen, wunderbaren Sieg den gotischen Mittelturm der heutigen Mariazeller Basilika erbauen lassen. Darüber hinaus hat er der steirischen Gnadenfrau seine Waffen, einen goldenen Kelch und vor allem seine und seiner Gemahlin Brautkleider als Weihegaben dargebracht, die bis in die Tage der Inflation nach dem ersten Weltkrieg in der Schatzkammer aufbewahrt wurden, um dann zur Rettung des Turmes an das ungarische Nationalmuseum in Budapest verkauft zu Werden.

Die Mitwirkung des mährischen Markgrafen und des ungarisch-polnischen Königs an den ersten Phasen des Kirchenbaues in Mariazell und das Motiv, das sie dazu bewog, können in ihrer historischen Realität symbolhaft gewertet werden. Mariazell ist seiner geographischen Lage nach ein steirisches Heiligtum. Aber es hat immer in den mährisch-böhmisch-slowakischen und in den ungarisch-kroatischen Raum und darüber hinaus auch nach Polen seine „Gnadensonne", wie es in alten Wallfahrtsliedern heißt, ausgestrahlt. So stärk war im spaten Mittelalter der Zustrom an Pilgern aus dem böhmischen Raum, dem alten Ursprungsland der Mariäzeller Wallfahrten, daß König Sigismund am 8. August 1429 zu Preßburg den aus den böhmischen und mährischen Ländern kommenden Märiazeller Wallfahrern, die von den Hussiten an der Ausübung ihres frommen Vorhabens gehindert wurden, einen Geleitbrief ausstellte, Kirche und Markt Mariazell in seinen und des Reiches besonderen Schutz nahm und allen Pilgern freies Geleit zusicherte. Fünf Jahre später hat Sigismund zu Basel als Kaiser den Geleitbrief unter Ankündigung seiner und des Reiches Ungnade und Strafe für jene, die einem Pilger Leid zufügten, feierlich erneuert und mit einer Goldenen Bulle bestätigt.

Von Deutschen, Slawen und Ungarn wurde durch all die Jahrhunderte hindurch in Mariazell in gleicher Weise Schutz und Hilfe gesucht. Ob Oesterreicher, Böhme oder Ungar, ein jeder sah in der Gnadenmutter von Mariazell die Beschützerin seines Vaterlandes, die Zuflucht sei nes Herrscherhauses, seiner Städte und Dörfer, seines Volkes. Unter den Stiftern der zwölf Seitenkapellen der Gnadenkirche, die in den Jahren 1660 bis 1692 errichtet wurden, befinden sich nicht nur die niederösterreichischen und steirischen Stände, sondern, neben Sigmund Friedrich Graf von Trautmannsdorf, Landeshauptmann von Steiermark, auch die bedeutendsten Adelsfamilien Böhmens und Ungarns mit dem Fürstprimas Erzbischof Georg Szelepcsenyi von Gran an der Spitze. Hier in Mariazell fiel auch der Unterschied der Sprache hinweg, hier war Nationalitätenhader und Nationalitätenhaß, durch die die österreichisch-ungarische Monarchie seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihren Grundfesten erschüttert wurde, völlig vergessen. So erwarb sich Mariazell als einzige Gnadenstätte der alten Monarchie den Ehrentitel eines österreichischen Reichsheiligtums, von dem als Zentrum in seinem Jubeljahr 1907 jene Bewegung ausging, die leider zu spät versuchte, über die Zwistigkeiten der Nationen in Oesterreich hinweg, durch des Glaubens Kraft und der Gnadenmutter Hilfe wieder zu einem inneren Reichsfrieden zu gelangen. Immer aufs neue wurde die Gnadenmutter von Mariazell nämlich nicht bloß, wie einst von mährischen Markgrafen im Bereich der eigenen, persönlichen Anliegen, wie bei Krankheit, Todesgefahr oder in seelischen Nöten und Verzweiflung, sondern auch wie es König Ludwig I. von Ungarn und Polen eben schon tat, in Kriegsbedrängnis, vor entscheidenden Schlachten, in großer Reichsnot und in religiösen Wirren, um Schutz und Hilfe angerufen.

In dem jahrhundertelangen Abwehrkampf geigen die Türken wurde von dem Monarchen, von den Feldherren und vom ganzen Volk stets der Schutz der Mariazeller Muttergottes erfleht. Es sind dies die Jahre, in denen der unerläßliche Geldaufwand für die Grenzverteidigung und die Erhaltung der windisch-kroatischen Grenze bis zu 95 Prozent der- Jahresausgaben der steirischen Landschaft beträgt und die Festung Karlstadt mit steirischem Geld erbaut, Petrina mit dem Geld gleicher Herkunft als wichtige Grenzfestung erhalten wird. Von allen innerösterreichischen Ländern hatte die Steiermark die schwersten Opfer und den Hauptanteil der Grenzverteidigung tragen müssen und darum besonders des Schutzes der Mariazeller Gnadenmutter bedurft. Doch nicht allein die Steiermark hat in den Türkenkriegen ihren Schutz gesucht. Als nach der zweiten Belagerung Wiens durch die Türken im Jahre 1683 die Bürger dieser hart bedrängten Stadt, als Dankbarkeit für den glänzenden Sieg des Ersatzheeres am 12. September, der die Errettung aus höchster Not gebracht hatte, eine Gedenkmünze prägen ließen, widmeten sie diese der Mariazeller Muttergottes als der „patrona Viennensium“ und wählten ihr Gnadenbild für die eine Seite der Erinnerungsmedaille, während die Rückseite das belagerte Wien zeigt, darüber, als „Zuflucht der Wiener“, die Heilige Dreifaltigkeit schwebend. Mit dieser Medaille wollten sie ein ewiges Andenken schaffen, das ihren Kindern und Kindeskindern stets vor Augen halten sollte, daß sie die Befreiung ihrer Vaterstadt nächst Gott, vor allem der Fürbitte und dem besonderen Schutz der Mariazeller Gnadenmutter verdankten. 168 8 zog dann Kaiser Leopold I. selbst nach Mariazell, um für die Befreiung Wiens und damit für die Rettung des Abendlandes, für die Rückeroberung der Festung Neusohl, Ofen und Esseg, für den Sieg in jener Schlacht vom 16. August 1687 zu danken, in der der Großvesir Ibrahim bei Harsany, unweit Mohacz, also in der Nähe jener Stelle, wo 161 Jahre zuvor die türkische Herrschaft in Ungarn begründet worden war, entscheidend geschlagen wurde. Leopold I. dankte hier aber auch für die Abwendung der Pest, dieser so schrecklichen „Gottesplage“, und wenige Jahre später, 1691, nach dem Sieg der kaiserlichen Waffen bei Slankamen, stattete er seine Dankesschuld der Gnadenmutter in Mariazell sichtbar durch die Ueberbringung einer großen türkischen Fahne ab. Auch Prinz Eugen hat im Einverständnis mit Karl VI., seinem kaiserlichen Herrn, die zwölf in der Schlacht bei Peterwardein und die vier bei Belgrad 1717 eroberten türkischen Fahnen, zusammen mit einem türkischen Roßschweif, nach Mariazell bringen lassen. Das war nicht nur eine Aeußerlichkeit, denn Prinz Eugen hatte auch in sein Wehrgehänge, in italienischer Sprache, ein Stoßgebet an die Mariazeller Gnadenmutter eingraviert.

So ist sie immer mehr und mehr durch die historischen Ereignisse zur „Magna Mater Austriae“ geworden. Sie war jedoch auch, seit Erzherzog Karl von Innerösterreich an die Rettung des katholischen Glaubens in seinen Ländern schritt, ein Mittelpunkt religiöser Erneuerung. Sein Sohn, der als Ferdinand II. im Jahre 1619 den kaiserlichen Thron bestieg und der zu den zielbewußten und standhaften Verteidigern des katholischen Glaubens gehörte, hat die Mariazeller Gnadenmadonna seine „Große Mutter“ und „Generalissima“ genannt. Nach- der josephinischen Aüfklarühg' war es dann der heilige Klemens Maria Hofbauer, der im Kampf um die Erneuerung des religiösen Lebens in Wien die Wallfahrten nach Mariazell mit einbezog und so den Boden für einen neuen Aufschwung des Wallfahrtswesens bereitete. Nicht zu Unrecht hat darum Klemens Maria Hofbauer, verehrt als Patron der Mariazeller. Wallfahrer, in der Gnadenbasilika ein Denkmal erhalten. Am Ende des 19. Jahrhunderts ist es dann P. Heinrich Abel SJ., der in einer Zeit der Kirchenfeindlichkeit und der beginnenden Los-von-Rom-Bewegung, Wiener Männerfahrten nach Mariazell wagte. Bei der ersten im Jahre 1893 sind es nur einige Hunderte, im Jahre 1907 sind es bereits einige Tausende, unter ihnen Wiens Bürgermeister Dr. Karl Lueger, die P. Abel nach Mariazell führte. Als es am 13. März 1908 in den Grazer Annensälen in einer Versammlung der Los-von- Rom-Bewegung zu einer Marienlästerung kam, antworteten die Katholiken von Graz am 5. April mit einer Massenversammlung in der Industriehalle, und in den ersten Julitagen mit der ersten Grazer Männerfahrt nach Mariazell.

So ist die steirische Gnadenmutter in Mariazell acht Jahrhunderte hindurch die Schutzfrau vieler einzelner mit Not und Sorgen und Krankheit Beladener gewesen. Unzählige Soldaten haben auch im letzten Weltkrieg sie angerufen, und täglich breiten Menschen heute wie ehedem vor ihr Kummer und Schmerz aus. Sie war acht Jahrhunderte hindurch die Patronin der Steiermark und die große Schutzfrau und Mutter Oesterreichs.

Mariazell ist eine Gnadenstätte unseres Landes, und das verpflichtet uns Steirer, sie zu hegen und sie stets zu bewahren. Mögen auch Lourdes und Fatima sie in der Welt überstrahlen, so können wir hier im Grenzland der Mariazeller Gnadenmutter nicht entsagen. Sie hat Jahrhunderte hindurch unsere Grenzen beschützt, sie hat immer wieder unseren Glauben erneuert und gestärkt, und wir werden auch künftighin ihre Hilfe brauchen. Darum bitte ich als Landeshauptmann der Steiermark anläßlich des 800jährigen Jubelfestes von Mariazell, demütig und ehrfurchtsvoll die hohe Gnadenfrau, auch weiterhin unser Land in ihren Schutz zu nehmen. Sie möge aber nicht nur uns Steirer und unser österreichisches Land schützen, sondern ihre Hilfe auch den Schutzbedürftigen im böhmischmährischen und ungarisch-kroatischen Raum gewähren, wohin ja ihre Gnadensonne immer ganz besonders geleuchtet hatte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung