7102503-1995_17_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Widerstand aus dem Schnapsladen

19451960198020002020

Die Stunde Null des Tiroler Widerstandes, ab 1. Mai 1945, schildert Karl Gruber, Außenminister ab Dezember 1945 (bis 1953), in seinen Memoiren.

19451960198020002020

Die Stunde Null des Tiroler Widerstandes, ab 1. Mai 1945, schildert Karl Gruber, Außenminister ab Dezember 1945 (bis 1953), in seinen Memoiren.

Werbung
Werbung
Werbung

An einem der letzten Apriltage, einem kalten Vorfrühlingsabend, trat der militärische Stab der Widerstandsbewegung Tirol unter meinem Vorsitz zu den abschließenden Besprechungen zusammen. In jenem Kellerlokal der Spirituosenhandlung llruschka (in der Innsbrucker Andreas-Hofer-Straße, dort war von der Besitzerin den Widerständlern die Hinrichtung des Stabsquartiers erlaubt worden; das Losungswort der Widerständler, „Palermo”, bezog sich auf die bevorzugte Likörmarke dieser Firma, Anm. d. Red.) wurde der Aktionsplan endgültig beschlossen. Von ä. Mai an würde das Kampfkommando in Permanenz tagen. Sobald die großen Kasernen in unserer Macht waren, würde Oberstleutnant Natter (so lautete der Deckname Zdenko Paumgartens, Grubers Deckname war Dr. Ing. Brand, Anm. d. Bed.) den Befehlsstand Innsbruck in der Conrad-Kaserne errichten.

Im Morgengrauen des 1. Mai bezog ich mit meinem Adjutanten, dem Obergefreiten Görtz, und zwei Meldern Quartier im Schnapslager. I )ie Gruppenkommandanten verfügten bereits über genaue Weisungen. Bitterkreuzträger Major Heine raste mit seinem Kübelwagen von einem Linsatzpunkt zum anderen. Die Aktion rollte planmäßg an.

1. Mai 1945, 9 Uhr 15, Conrad-Kaserne, Keine Schwierigkeiten. Der Kommandant, Oberleutnant Huber, eindeutig unser Mann. Ein Widerstandskommando übernimmt planmäßig die Kaserne. Besucher können nur mehr mit dem Losungswort „Palermo” passieren. Nun darf man sich keineswegs vorstellen, daß die vielen Soldaten, die in der Conrad-Kaserne in Quartier lagen, alle organisierte Widerstandskämpfer gewesen wären. Sie folgten einfach dem Kommando der neuen Führung. Manacher warf, als er merkte, wie die Dinge standen, seine Waffe in den nächsten Winkel und verschwand nach Hause. Zahllose Parteimitglieder schlössen sich aktiv unserer Truppe an, weil sie darin eine Art Wiedergutmachung für alte Irrtümer sahen.

10 Uhr 30. Prinz-Eugen-Kaserne. Vollzugsmeldung durch Major Heine. Übernahme der Kaserne ohne gegnerischen Widerstand.

11 Uhr. Vollzugsmeldung aus der Inn-Kaserne. Übernahme ohne Zwischenfälle.

11 Uhr 15. Bittmeister Winkler übernimmt das Gendarmeriekommando Innrain. Kein Widerstand.

Verhaftung von Gendarmeriegeneral Albert. 11 Uhr 30. Kloster-Kaserne... Unserer Gruppe bemächtigt sich steigende Nervosität. Eine energische Gegenaktion der Nationalsozialisten ist zu erwarten. 14 Uhr. Stabsbesprechung in der Conrad-Kaserne... Wir sind überzeugt, daß ein kraftvoller Schlag die Herrschaft der Nationalsozialisten in Tirol ein rasches Ende bereiten würde...

18 Uhr 40. Die Telefonzentrale wird in die Luft gejagt und die ganze Belegschaft der Führungsstelle mit zwei Generälen an der Spitze auf zwei Lastwägen in die Kloster-Kaserne abgeführt und im Keller eingeschlossen.

2. Mai 1945,1 Uhr 30: Ein Melder aus der Kloster-Kaserne überbringt eine Hiobsbotschaft: 200 Gefangene bereiten offensichtlich einen Ausbruch vor. Was soll geschehen. Befehl: Die Wachposten sollen aus den Maschinenpistolen das Feuer eröffnen, selbstverständlich nicht in die Mannschaften schießen, sondern die

Garben in die Luft jagen. Die Maßnahme erweist sich als richtig. - Es tritt sofort Buhe ein.

3 Uhr früh. Neue Hiobsbotschaft aus der Kloster-Kaserne. Oberst Natter, unser Kommandant, hat aus Konfidentenberichten erfahren, daß 1.500 Mann einer SS-Einheit gegen Innsbruck vorrücken.... 10 Uhr. Das Dringendste ist jetzt die Übernahme des Senders Aldrans (was mit einer List gelingt, Anm. d. Red.)

11 Uhr. Der erste Aufruf des Ordnungsausschusses an die Bevölkerung von Tirol geht über Ätherwellen hinaus. Die Wirkung übertrifft alle unsere Erwartungen. Das Landhaus ist inzwischen besetzt, unsere eigenen Wachen sind aufgezogen... Unser Aufruf über den Sender Aldrans wirkt wie eine helle Freiheitsfanfare. Die Menschen stürzen auf die Straßen, überall tauchen bewaffnete Gruppen auf, innerhalb weniger Stunden können wir in der Kloster-Kaserne zweitausend Bürger bewaffnen. Die Frauen und Mädchen nähen Armbinden und „kleiden” unsere Kämpfer ein: Die Uniform besteht aus dieser Armbinde mit der Aufschrift: „Österreichische Widerstandsbewegung”. Innerhalb von Minuten versinkt sozusagen Tirol in einem Meer von rotweißroten Fahnen. Auf den meisten sind noch die Spuren der Hakenkreuze zu sehen, die in aller Eile herausgetrennt worden waren - was tut's? Der Jubel kennt keine Grenzen...

Mit Major Sheldon, dem ersten amerikanischen Offizier, den wir zu Gesicht bekamen, zog auch die bildschöne, blondgelockte Margaret Higgins, Korrespondentin vieler amerikanischer Blätter, malerisch auf einem Panzer hingegossen, ein. Wir fanden, Amerika präsentiere sich mit diesem blutjungen Glamourgirl fürs erste gar nicht so schlecht, und das fanden selbst die eifrigsten Parteigänger der Herren von gestern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung