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Smrkowsky-oder die Legalitat

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Der 1. Jänner war für die tschechoslowakische Republik ein Stichtag. An diesem Tag trat die neue Verfassung in Kraft, die die Republik in zwei gleichberechtigte Hälften teilte, in die tschechische Republik und die slowakische Republik mit je eigenen Regierungen und eigenen Parlamenten und darüber einem gemeinsamen Parlament, einer gemeinsamen Regierung und einem gemeinsamen Präsidenten. Nach dem ersten Weltkrieg war die offizielle tschechoslowakische Propaganda nicht müde geworden, darauf hinzuweisen, daß das System des Dualismus, welches in der alten Donaumonarchie geherrscht hatte, eine der Ursachen des Zusammenbruchs dieses Staates gewesen sei. Eine Ansicht, die auch von vielen Österreichern geteilt wurde. Aber dieses System des Dualismus ist zählebiger ,.ls viele andere politische Systeme und überlebte seine Kritiker. Knapp nach 1945 wurde es stillschweigend in Österreich reaktiviert, als das Land sich in zwei „Reichshälften“ teilte, die ein Abglanz des alten k. u. k. Dualismus waren. Und nun wird der Dualismus gar in jenem Land reaktiviert, das ihn einst am meisten verdammt hatte. Und mit dieser Reaktivierung kommen alle die Begleiterscheinungen wieder, die vierzig Jahre lang das Leben der alten Monorchie belasteten. Damals mußten von den gemeinsamen Ministern je zwei Österreicher und je zwei Magyaren sein. In der Tschechoslowakei, die von zwei Drittel Tschechen und einem Drittel Slowaken bewohnt wird, werden die gemeinsamen Ämter dennoch eins zu eins besetzt werden, das heißt, wenn der Vorsitzende der gemeinsamen Regierung ein Tscheche ist, dann muß sein Stellvertreter ein Slowake sein. Oder wenn der Vorsitzende des Obersten gemeinsamen Gerichtshofes ein Slowake ist, dann muß sein Stellvertreter ein Tscheche sein. Eine Ausnahme gilt nur für den gemeinsamen Präsidenten, denn dieser hat keinen Stellvertreter. Und hier nun beginnt die Möglichkeit unter dem Titel der gerechten Verteilung der Ämter Sonderwünsche vorzubringen, die nichts anderes sind als Chancen, so manches nicht schönes Spiel zu spielen. (Wobei nicht vergessen werden darf, daß das schöne Spiel auf englisch „fair play“ heißt.) Der derzeitige gemeinsame Präsident ist ein Tscheche — General Svoboda. Der derzeitige gemeinsame Ministerpräsident, Cernik, ist ebenfalls ein Tscheche. Ist es denn dann nicht gerecht, wenn endlich das dritthöchste gemeinsame Amt, das Amt des Präsidenten des gemeinsamen Parlaments, endlich mit einem Slowaken besetzt wird? Auf Grund dieser überzeugenden Logik wird jetzt höchstwahrscheinlich der bisherige Präsident des tschechoslowakischen Parlaments, Smrkowsky, ein Freund Dubceks und ein Anhänger des liberalen Kurses, abgehängt werden können.

Die Slowaken haben lange unter der magyarischen Herrschaft gelebt, die das Spiel des Dualismus bis zum Exzeß gegenüber der zisleitanischen Hälfte ausspielten. Die Slowaken werden dieses Spiel ebenso genau beherrschen, und über dieses Spiel wird wiederum Moskau sein großes Spiel der unsichtbaren, aber um so stärkeren Einmischung in die inneren Verhältnisse der Tschechoslowakei spielen können. Wie sagte doch Wildgans in seinem schönen Poem Kirbisch? „Bessere Halunken gehen legaliter vor.“

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