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Sternstunde Bonn—Moskau?

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Die Erinnerungen des kürzlich verstorbenen Botschafters Hans Kroll werden vermutlich eine eingehende Erörterung auslösen, ob während seiner Moskauer Amtszeit (1958 bis 1962) eine „Sternstunde“ für ein direktes Gespräch zwischen Bonn und Moskau verpaßt worden ist. Krolls „Lebenserinneiungen eines Botschafters“ umfassen etwa 600 Seiten. Aber genau die Hälfte davon ist seiner Tätigkeit als Botschafter in Moskau gewidmet. Hier hat Kroll die Aufgabe seines Lebens gesehen und an ihr nach seinen eigenen Worten mit allen Fasern seines Herzens gehangen.

Krolls Bericht über seine Moskauer Tätigkeit spiegelt — wie auch der übrige Teil seiner Erinnerungen — sein Temperament, seine Leidenschaftlichkeit, Beredsamkeit, Schlagfertigkeit und Hartnäckigkeit in vielfältigen Farben. Mehr als einmal war er sich bewußt, daß er die Zuständigkeiten eines Botschafters überschritt. Aber er wollte nicht nur Briefträger sein, wie er an einer Stelle abschätzig schreibt. Er wollte Politik machen. Er wollte eine deutsch-sowjetische Verständigung herbeiführen und der Wiedervereinigung zumindest die Tore, sei es auch nur um einen Spaltbreit, öffnen.

Die wahre und außerordentliche Bedeutung Krolls liegt in der engen Beziehung, die er zu Chruschtschow, aber auch zu anderen Kremlgewaltigen herzustellen vermochte. Auf Anhieb gelang ihm dies nicht. Aber es erwies sich bald, daß Chruschtschow und Kroll etwa von gleichem Temperament waren. Chruschtschow empfand offensichtlich auch persönliche Sympathie für Kroll. „Er sagt uns die Wahrheit ins Gesicht“, dies war eine Tugend, die in Moskau eingestandenermaßen Eindruck machte.

Was sind die Hauptgeschehnisse während Krolls Moskauer Zeit? Aus den Erinnerungen des Botschafters erfährt man erstmals, daß der österreichische Botschafter in Moskau, Norbert von Bdschoff, von den Sowjets in einer wichtigen Mission als Mittelsmann zu Kroll geschickt wurde. Bisher wußte man als Außenstehender nur undeutlich, daß die österreichische Regierung seinerzeit — 1958 — sei es aus eigenem oder nicht, wegen einer Vermittlung Zwischen Moskau und Bonn Fühler ausstreckte. Bischoff hatte am Zustandekommen des österreichischen Staatsvertrages hervorragenden Anteil gehabt und galt deshalb als besonders vertraut mit den Moskauer Verhältnissen.

Kroll erhielt also auf Veranlassung des Außenministers Gromyko von Bischoff eine Notiz, in der vom Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland, allmählicher Entspannung und schrittweiser Annäherung zwischen Bonn und Pankow die Rede war. Der Kreml bot sich als Vermittler von Vorschlägen der Bundesregierung an. Die Notiz sprach sodann drohend von einer möglicherweise letzten Gelegenheit, ein Gespräch über die deutsche Frage aufzunehmen. Bischoff stand unter dem Eindruck, die Sowjets meinte es „ernstlich“ und wollten einen Weg zur friedlichen Wiedervereinigung öffnen.

Aber zu welchem Preis? Im Grunde boten die Sowjets nichts anderes an als ihre jahrealten Bedingungen für die Wiedervereinigung, die sie auch heute gelegentlich wiederholen und die in Bonn stets abgelehnt worden sind. Nach Krolls Darstellung — und nach Bischoffs Meinung — hat die ablehnende Haltung das Berlin-Ultimatum von 1958 ausgelöst.

In diesem Bild dar Moskauer Politik tauchen nun aus Krolls Aufzeichnungen neue Züge auf, die der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt waren. An einer Stelle zählt der Botschafter sieben Fälle auf, in denen der Kreml ihm Direktver-ihandlumgen mit Bonn angeboten habe, das erste Mal im November 1958, das letzte Mal im Dezember 1961. Auch erklärt Kroll, Ohru-isohtschow habe ihm mehrmals bedeutet, daß er gern einen Staatsbesuch in Bonn abstatten würde. Einmal fügte Chruschtschow hinzu, er verstehe nicht, warum er nicht längst eine Einladung erhalten habe.

Um so mehr verzeichnet es Kroll als Erfolg seiner Bemühungen, daß sich Adenauer 1959 entschloß, einen persönlichen Briefwechsel mit Chruschtschow zu beginnen, der indes so gut wtie nicbtis einbrachte. 1961, nach der Berlin-Krise richtete Kroll noch einmal, wie er schreibt, einen „leidenschaftlichen Appell“ an Adenauer, sich mit Chruschtschow zu treffen, und hatte den Erfolg, daß Adenauer ihn bat, dem Kreml-Chef zu bestellen, er lehne nicht mehr grundsätzlich ab. Ob Adenauer damit Kroll beschwichtigen wollte

oder jetzt tatsächlich zu einer Begegnung bereit war, wird wohl ein Geheimnis der Geschichte bleiben.

Die stärkste Maohtprobe zwischen Ost und West kam mit dem Mauerbau am 13. August 1961. Kroll hatte sie Adenauer im Juni 1961 vorausgesagt. Aber weder er noch die westlichen Botschafter in Moskau wußten damals, was genau im Anzug war.

Unter den manchmal etwas abenteuerlichen Umständen, in denen sich in Moskau Politik abspielt, ist es nicht verwunderlich, daß der Leiter der Deutschlandabteilung im sowjetischen Außenministerium, Ilji-tschow, dem deutschen Botschafter eines Tages im Auftrage Chruschtschows eine Denkschrift überreichte, die weder Datum noch Unterschrift trug. Kroll gibt den Inhalt der Denkschrift, der bald bekannt wurde und mächtigen Wirbel erregte, nicht wieder. Er kennzeichnet die Aufzeichnung lediglich als unpolemisch, nicht ungeschickt, aber typisches Produkt marxistischen Denkens.

Schon einige Zeit vor Überreichung dieser Denkschrift hatte Außenminister Gromyko zu Kroll gesagt, Sowjetrußland sei zu allen erdenklichen Garantien für Berlin und seine Zugangswege bereit. Kurz darauf, am 9. November, machte Kroll gegenüber Chruschtschow Vorschläge, die er ebenfalls nicht wiedergibt. Er vermerkt lediglich Chruschtschows Worte, die Versöhnung des deutschen und des sowjetischen Volkes wäre die Krönung seiner außenpolitischen Lebensarbeit. Wegen dieser Vorschläge bekam Kroll in Bonn erhebliche Schwierigkeiten.

Ohne Zweifel war Kroll zu die-

sem Zeitpunkt der Meinung, Moskau sei zu einer Verständigung mit Bonn bereit, wie nie zuvor. Aber zu welcher Art von Verständigung? Zu einer Regelung der deutschen Frage, die es bei Kriegsende entworfen und bis heute nicht aufgegeben hat?

Kroll war des Glaubens, damals sei „eine Stemstunde verpaßt“ worden. In der Tat kam Adenauer nicht mehr zum Zuge, als er Mitte 1962 dem sowjetischen Botschafter in Bonn, Smirnow, einen zehnjährigen Burgfrieden anbot, allerdings unter der Bedingung, daß eine grundlegende Refom des Pankowregimes durchgeführt und der Schießbefehl an Mauer und Zonengrenze zurückgenommen werde.

Moskau nahm sich mit seiner Antwort sechs Wochen Zeit — und dann war sie, wie Kroll schreibt, tief enttäuschend. Smirnow behauptete später zu Kroll, Adenauer habe die sowjetische Antwort falsch ausgelegt. Aber man wußte in Bonn bald — was Kroll nicht erwähnt —, daß Smirnov seiner Regierung geraten hatte, Adenauers Angebot beiseitezulegen, da er nicht mehr lange Kanzler sein und es sich mit Erhard leichter verhandeln lassen werde.

Kroll enthält sich des Vorwurfes nicht, die Folge der Ablehnung direkter Gespräche mit Moskau durch Bonn habe dazu geführt, daß Chruschtschow nun erneut Kontakte mit Washington suchte und daß Bonn durch sein Verhalten die Möglichkeit aus der Hand gegeben hatte, „auf die Einigung der USA mit Moskau Einfluß zu nehmen.“

Wir kennen nun wohl Krolls Erinnerungen, aber noch viele Akten der beteiligten Amter nicht. Deshalb ist es noch unmöglich, zu Krolls Thesen ja oder nein zu sagen.

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