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HANS KROLL BOTSCHAFTER, NICHT BRIEFTRÄGER
Ein zweistündiges Gespräch am
9. November 1961 ist zunächst zu einer Weltsensation aufgebauscht, dann verklagt, sodann als eine Art Bagatelle oder eben ein Lapsus beiseitegeschoben worden; als die Sache eines eigenwilligen Dickschädels. Eben dieses Gespräch spielt im Zwischenakt eines großen Dramas, des deutsch-russischen Streitgespräches in unserem Zeitalter. Die Begegnung des Bot schafters der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Hans Kroll, mit Chruschtschow im Kreml an diesem 9. November erweckte im Westen Erinnerungen an Bismarcks St.-Petersburger Diplomatie, an die engen Beziehungen zwischen dem deutschen Botschafter Graf Brock- dorff-Rantzau mit dem Volkskommissar Tschitscherin, die zum Rapallo-Vertrag führten; Graf von der Schulenburg war bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges um eine Besserung der deutsch-russischen Beziehungen bemüht, Stalins Vertrag mit Hitler schien sein Lebenswerk zu krönen …
Die Diplomaten des Westens im Moskauer Diplomatengetto lieben den „deutschen Feldwebel”, wie sie den katholischen Beamtensohn aus Oberschlesien, Hans Kroll, nennen, nicht. Das ist verständlich: dieser bullige Mann hat sie alle irgendwie überspielt. Ist es die Schuld oder ist es das Verdienst des Hans Kroll, daß er so aufregend, so interessant wirkt? Wie ein Hecht im Karpfenteich wirkt dieser Mann in Moskau, der sich, allein auf der Flur in Bonn, um den Moskauer Posten beworben hat, nach einer recht bewegten diplomatischen Laufbahn, die ihn früh, nämlich 1923 bis 1925, bereits als Vite konsul in die Sowjetunion, dann nach Amerika, ins Reichsaußenministerium, in die Türkei und nach Spanien und, als letzten Posten vor Moskau, nach Tokio geführt hatte. In der Reihe der sehr ehrenwerten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Bestehen hat er wohl nur einen Vorspieler, den viel zu früh verstorbenen Pfleiderer (der selbst Belgrad als Vorstufe zu Moskau ansah) und einen sehr regsamen Gegenspieler, Grewe, in Washington. Es kann als symbolisch angesehen werden: Grewe versuchte genau gleichzeitig in Washington, die amerikanische Regierung enger festzulegen —, als einige Berater Kennedys wollten, Kroll versuchte in Moskau, für Bonn den Spielraum zu erweitern. Wohl mit dem Rezept: wer gar nichts bietet, erhält auch nichts.
Entsetzte westdeutsche Ämter und amtliche und halbamtliche Vertreter meinen, Kroll zerschlage durch seine freimütigen Gespräche mit Chruschtschow Porzellan, das der Bonner Kanzler heil nach Washington bringen möchte: eben die jeder Diskussion entzogenen deutschen Positionen. Diese Stimmen übersehen dabei, daß Washington selbst bereits seit den späten Tagen des
John Foster Dulles Bonn drängt diskutierbare eigene Vorschläge einzubringen, und daß Präsident Kennedy Adenauer IV (als Repräsentant des vierten Kabinetts Adenauers) nicht nur eingeladen haben mag, um von ihm zu hören, was Adenauer I, Adenauer II und Adenauer III seinem Vorgänger gesagt hat.
Als Kroll von Moskau zur Berichterstattung nach Bonn kam, hieß es allgemein und lautstark: der Mann muß die Konsequenzen tragen, der Mann kann gehen. Kurz darauf wurde amtlich mitgeteilt: Der deutsche Botschafter
Dr. Hans Kroll kehrt nach Moskau zurück.
Hans Kroll kehrt also nach Moskau zurück. Mit der Last der großen Probleme. Wobei zu den Schwierigkeiten der Ost-West-Ver- handlungen, zur Last der Gewichte, der Apparate in Moskau, Washington, Bonn und andernorts genau dieses eine, uns alle angehendt Problem stößt: was kann e i n Mann tun? Was vermag ein einzelner? Ein einzelner in der Welt der Blocks, der Großmächte, der Großverbände, der sich kreuzenden gegnerischen Interessen?
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