Der legendäre steirische Kulturpolitiker Hanns Koren wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Kurt Wimmer hat in einem vielschichtigen Porträt dem Menschen hinter dem Mythos Koren nachgespürt.
Es gibt Menschen, deren Persönlichkeit sich in der Begegnung mit anderen prägnant verdichtet. Zu diesen außergewöhnlichen Menschen, die bald nach ihrem Ableben nahezu zwangsläufig zum Gegenstand vielfältigster Projektionen und Mythenbildungen werden, zählt auch der steirische Volkskundler und Kulturpolitiker Hanns Koren, der vor kurzem, am 20. November, 100 Jahre alt geworden wäre.
Im Bewusstsein vieler (vorwiegend steirischer) Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ist der vor über 20 Jahren verstorbene Koren vor allem als Mentor der kulturellen Moderne ein Begriff - und im kulturpolitischen Diskurs höchst präsent. Das Forum Stadtpark, die Trigon-Dreiländerbiennale, die Steirische Akademie und das Avantgardefestival steirischer herbst sind Institutionen bzw. Initiativen, die in den 1960er Jahren den Aufbruch aus der weiß-grünen Provinzialität in die steirische Weite markierten und bis heute fortwirken - und die auf das engste mit dem Namen Koren verknüpft sind.
Anders als andere muss Koren nicht dem Vergessen entrissen werden, sondern die eigentliche Herausforderung liegt darin, diesem Menschen durch den dicken Panzer (s)eines Mythos hindurch (s)eine Geschichte zu geben. Kurt Wimmer bringt dafür als ausgebildeter Historiker, langjähriger Spitzenjournalist der Kleinen Zeitung und intimer Kenner der steirischen Kultur-und Politikszene die besten Voraussetzungen mit.
Gleich zu Beginn seines Buches packt Wimmer den Stier bei den Hörnern, wenn er das wohl berühmteste Diktum Korens - "Heimat ist Tiefe und nicht Enge" - ganz trocken auf seinen Wahrheitsgehalt abklopft. Das hat Signalwirkung, denn das \0x0152uvre Korens ist alles andere als schmal; Verdichtung und Verkürzung liegen nahe beieinander, und es ist nicht das geringste Verdienst des hier besprochenen Werkes, deutlich zu machen, dass es die Differenzierungen und Zwischentöne waren, die Koren am Herzen lagen.
Mann der zweiten Reihe
Wie Korens Herkunftsmilieu im weststeirischen Kohlerevier von Köflach, seine intellektuelle Initiation im fürstbischöflichen Knabenseminar in Graz, seine Verwurzelung im katholischen Bund Neuland und sein akademischer Weg in die Volkskunde geschildert werden, gehört zu den stärksten Passagen des Buches. Als sich Koren Mitte der 1930er Jahre als Gründer und Leiter des Instituts für religiöse Volkskunde in Salzburg und wenig später als Organisator der "Volkstage" in der Steiermark seine ersten Sporen verdiente, tat er dies im Windschatten der breiten Schultern väterlicher Förderer: Viktor von Geramb und Karl Maria Stepan.
Auch in diesem Punkt - und nicht nur in den Inhalten - sind die Kontinuitäten zu den 1950er Jahren unübersehbar. Denn als Koren, der 1953 für die ÖVP zunächst in den Nationalrat ging, vier Jahre später von Josef Krainer sen. als Kulturlandesrat in die steirische Landespolitik geholt wurde, konnte er dort seine eigentlichen Begabungen auch deshalb entfalten, weil er hinter diesem begnadeten Realpolitiker in der sicheren zweiten Reihe stand.
Eines wird durch die nuancen-und detailreiche Schilderung Wimmers aber auch deutlich: So genau sich Korens Berührungspunkte mit dem katholisch-konservativen und auch mit dem nationalen Lager nachweisen lassen, so diffus und eigentümlich verwischt bleiben seine konkreten Anteile am Neuen. Hier gerät auch das Buch manchmal auf den rutschigen Untergrund des Mythos, wenn plötzlich die Schilderung von persönlichen Begegnungen mit Koren überhand nehmen und die historisch-kritische Begleitung der Persönlichkeit in den Hintergrund treten lassen.
Die Schattenseiten von Korens Karriere als Kulturpolitiker - die Rücktritte als Kulturlandesrat 1970 sowie als Präsident des steirischen herbstes 1976 - werden in dem Buch vergleichsweise knapp abgehandelt; hier wird erst noch zu klären sein, ob seine Gegner tatsächlich nur rechts standen.
Gegner rechts wie links
Das bleibende Verdienst Korens ist, dass er maßgeblich dazu beigetragen hat, das konservative gegen das reaktionäre Denken in der Steiermark hoffähig zu machen. Einen Konservativismus, der klar und fundiert in den Standpunkten, aber beweglich in der Haltung war, der Schlüsselbegriffe wie "Heimat" und "Grenze" von ideologischem Schwulst befreite, programmatisch auflud und damit Bewahren durch ständiges Reformieren ermöglichte. Diesbezüglich wäre es zu wünschen, dass all jene, die Koren so gerne als Kronzeugen bemühen, ihn tatsächlich auch "gelernt" und verstanden haben. Das Buch von Kurt Wimmer ist ein neuer Schlüssel dazu.
Der Brückenbauer
Hanns Koren und seine Zeit (1906-1985). Ein Porträt
Von Kurt Wimmer
Steirische Verlagsanstalt, Graz 2006
318 Seiten, geb., Euro 24,90