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Der akademische Proletarier

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„Ich bin ein waschechter Proletarier, den man sogar in Peking als solchen anerkennen würde“, sagt Stephan Koren über sich selbst. Für die linke österreichische Reichshälfte bedeutete aber seine Berufung in die Regierung — so SPÖ-Klubob- rnann Dr. Pittermann — „einen beträchtlichen Ruck nach rechts“. Am 14. November tritt der Finanzminister, dessen schwarzes, zurückgekämmtes Haar mitunter Beatle-Länge erreicht, über die Schwelle des fünften Lebensjahrzehntes. Die Geschenke, die ihm zu diesem Anlaß aufgetischt werden, der Bundesparteitag der ÖVP und in naher Zukunft eine spannungsgeladene Debatte über sein Budget für 1970 im Parlament, finden ihn aber auf dem

Posten und werden ihn noch weniger überraschen. Brachte er es doch zustande, im zweiten Weltkrieg trotz eines zerfetzten rechten Armes unter russischem Granatfeuer seine Maschine sicher zu landen. Heute steht er vor einer ebenso schwierigen Aufgabe: die „angeschossene" ÖVP sicher in die Zeit nach dem 1. März 1970 zu steuern.

Sehen die einen Koren bereits als möglichen Parteiobmann der ÖVP, so glauben die anderen in ihm schon einen künftigen Bundeskanzler gefunden zu haben. Diesen Vermutungen hat der derzeitige Finanzminister eine Erklärung gegenübergestellt: er wird bei den kommenden Nationalratswahlen nicht kandidieren. Aber jiedermann weiß, daß Koren auch für Überraschungen sorgen kann. Der Universitätsprofessor, Liebhaber rassig-schneller Autos und der starken Player-Zigaretten, zeigte schon bei seiner Berufung als Staatssekretär im März 1967 politischen Ehrgeiz.

Als Koren dann zu Beginn 1968 vom Amalientrakt der Wiener Hofburg in die Ministerräume der Himmelpfortgasse übersiedelte, waren die Sozialisten erstmals unwillig, und Dr. Kreisky deckte ihn bald mit Angriffen ein: „Mit Professorenhochmut allein wird's nicht gehen. Der Herr Professor

Koren wird sich ein bißchen mehr daran gewöhnen müssen, ernste politische Auseinandersetzungen zu führen“, so meinte der SPÖ- Parteivorsitzende, nachdem Koren das Wirtschaftsprogramm der Sozialisten nicht gerade mit Lob bedacht hatte. Denn, so meinte der Finanzminister, „unhaltbare Versprechungen, unzureichende Bedeckungsvorschläge und orakelhafte Aussagen über die Zukunft sind kein Alternativkonzept“.

Doch die Ursache, warum Koren auf so wenig Verständnis bei den Sozialisten stößt, liegt viel tiefer. Als er nämlich mit den Aussagen seiner 1946 verfaßten Habilitationsschrift „Sozialisierungsideologie und Verstaatlichungsrealität in Österreich“ die Grundsätze des heimischen Wirtschaftens zerpflückte, waren die Reaktionen der betroffenen „Wirtschaftsmanager“ entsprechend. Sie zogen ihre Register, um Koren zu widerlegen, vor allen Dr. Pittermann, zu dieser Zeit Vizekanzler und Verstaatlichtenchef. Sogar gegen die Berufung Doktor Körens an die Universität Innsbruck wendete sich die SPÖ vehement. Doch trotz dieser Versuche ihn auszuschalten, erhielt Koren seinen LehrstuhL

War Koren also schon seit dieser Zeit den Sozialisten ein Begriff, so ist der hochgewachsene Finanzminister durch den von ihm verfaßten „Koren-Plan“ — dem wirtschaftlichen Glaubensbekenntnis der ÖVP-Regierung — auch in der Öffentlichkeit bekanntgeworden.

Der „wissenschaftliche Einmannbetrieb“ im Finanzministerium wird'von Koren in einenr Tagespensum von zwölf bis fünfzehn Stunden geführt, mit einem Ehrgeiz, der vielleicht ein Charakteristikum eines Versehrten ist. Und wer bedenkt, daß der nunmehr fünfzigjährige Finanzminister sich auch dann und wann für seinen Garten und sein Weinhauer- haus, das er seit mehr als zwanzig Jahren mit seiner Frau und vier Kindern bewohnt, kümmert, wird die Kürze und Prägnanz des „professoralen“ Arbeitsstils verstehen.

Koren bringt das Geschick mit sich, das er — anscheinend schon als Kampfflieger genützt hat: keine Panik, keine Hysterie. Das beweist auch seine Haltung um die Diskussion nach der Aufwertung der bundesdeutschen Mark. Seine „Es-ist-kein-Grund-zur- Aufregung“-Appelle ließen jedoch die Vermutung aufkommen, daß zwar ihm, dem Finanzminister, jede Hysterie unangebracht erschien, die Volkspartei selbst aber in übermäßiger Nervosität lebte. Es schien fast so, als ob jemand bei einem Zimmerbrand „Ruhe“ und „keine Gefahr“ schreit, jener aber, der mithelfen soll, eine Panik zu verhindern, letzten Endes selbst glaubt, daß bereits das ganze Haus brennt.

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