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Dietrich Bonhoeffer: Der Glaube als letzter Maßstab

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Dietrich Bonhoeffers Freund geht in Wien der vielfältigen Bedeutung des großen evangelischen Theologen nach.

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Dietrich Bonhoeffers Freund geht in Wien der vielfältigen Bedeutung des großen evangelischen Theologen nach.

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Neunzig wäre er am 4. Februar geworden, am Dienstag nach Ostern jährte sich seine Hinrichtung im KZ Flossenbürg zum 51. Mai: Dietrich Bonhoeffer gehört zu den bekanntesten aus der kleinen Schar bekennender Christen, die für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus stehen. Im Nachkriegsdeutschland wurde ihm posthum entsprechende Würdigung zuteil, die Verbindung von Theologie und gesellschaftlichem Engagement scheint in seiner Person kumuliert - Jahre bevor andere eine „politische Theologie" entwickelten.

Wer war Dietrich Bonhoeffer, was macht seine Aktualität aus? Dank zahlreicher Forschungen, nicht zuletzt durch das unermüdliche Werk seines Freundes, Schülers und Biographen Eberhard Bethge, sind Leben und Werk ausführlich dokumentiert; trotz der wenigen Lebensjahre, die Bonhoeffer vergönnt waren, schillern Facetten seine Wirkens in vielen Farben: Seelsorger. Jugendseelsorger. Theologe.

  • Ökumeniker: In den Verwirrungen nationaler Blendung, der auch ein Gutteil der protestantischen Kirchen verfiel, findet sich Bonhoeffer als Anwalt internationaler Verflechtung, der Universalität des Glaubens, der Grenzen nicht kennt.
  • Mystiker: 1935, im Predigerseminar Finkenwalde bei Stettin, das er leitet, versucht Bonhoeffer mit einigen Studenten, eine Kommunität mit gemeinschaftlicher Lebensform zu bilden - unerhört im damaligen Protestantismus, mit Elementen von Meditation, Schriftbetrachtung und Exerzitien. „Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen": Dieser Bonhoeffer zugeschriebene Satz fällt wahrscheinlich in diese Zeit. Doch ist - wie Freund Eberhard Bethge meint - Kontemplation im Sinne Bonhoeffers nur gleichzeitig auch in der Umkehrung „ Wer für die Juden schreit, der sollte auch gregorianisch singen" zu verstehen.
  • Dichter: Bethge stellt in einer Interpretation des wohl bekanntesten Bonhoeffer-Gedichtes „Von guten Machten" fest, daß Bonhoeffer nie die Absicht hatte, Dichter zu sein. Dennoch entstehen 1944 in der Haft zehn lyrische Texte, die zum Dichtesten und Eindrücklichsten deutschsprachiger Literatur gehören: Der Bogen reicht von der zerreißenden Identifikation mit einer biblischen Gestalt im Gedicht „Jona" bis eben zu den „Guten Mächten", die sogar in Kirchengesangsbücher und in die religiöse Schlagerszene Eingang fanden.
  • Widerstandskämpfer: Dietrich Bonhoeffer, sein Leben und sein Werk sind jedenfalls von seinem Ende her zu lesen. Anfang der dreißiger Jahre setzt sich Bonhoeffer in den USA mit dem dortigen Protestantismus auseinander; damals entdeckt er Sympathien für den Pazifismus. Politische Realität in Deutschland bringt ihn wenige Jahre später jedoch auf den Weg der Konspiration, dessen Abgründe ihm wohl bewußt sind: „... wir sind mit allen Wassern gewaschen, wir haben die Kunst der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch die Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben ...", schreibt er - kurz vor seiner Verhaftung - zum Jahreswechsel.

Wer Dietrich Bonhoeffer war, und wofür er stand, stellt sich angesichts der Fragen des ausgehenden Jahrhunderts neu: „Wer hält stand? Allein der, dem nicht seine Vernunft, sein Prinzip, sein Gewissen, seine Freiheit, seine Tugend der letzte Maßstab ist, sondern der dies alles zu opfern bereit ist, wenn er im Glauben und in alleiniger Bindung an Gott zu gehorsamer und verantwortlicher Tat gerufen ist...",schreibt Bonhoeffer.

Eberhard Bethge, der Freund, und seine Frau Renate, Nichte Bonhoeffers und ebenfalls Bonhoeffer-Forscherin, kommen nach Wien, um den großen Zeitgenossen lebendig werden zu lassen.

Der Autor ist Bildungsreferent im Bildungshaus Wien-Lainz.

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