Bonhoeffer 1938 II - © commons.wikimedia.org

Dietrich Bonhoeffer: Gott - "ohne pfäffische Kniffe"

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Am 4. Februar wäre Dietrich Bonhoeffer 100 Jahre alt geworden. Auch mehr als 60 Jahre nach der Ermordung dieses "Märtyrers" des 20. Jahrhunderts durchs NS-Regime fordert sein Leben und Glauben das zeitgenössische Christentum beider Konfessionen heraus. Sein Denken und Reden, Leben und Handeln stellen bleibende (theologische) Herausforderungen dar.

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Am 4. Februar wäre Dietrich Bonhoeffer 100 Jahre alt geworden. Auch mehr als 60 Jahre nach der Ermordung dieses "Märtyrers" des 20. Jahrhunderts durchs NS-Regime fordert sein Leben und Glauben das zeitgenössische Christentum beider Konfessionen heraus. Sein Denken und Reden, Leben und Handeln stellen bleibende (theologische) Herausforderungen dar.

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Über dem Westportal der Westminster Abbey stehen zehn Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Einer davon ist Dietrich Bonhoeffer. Er ist mit der aufgeschlagenen Bibel dargestellt. Das ist vielsagend. Bonhoeffer ist nicht nur der Widerständler, der schon vor 1933 gegen Hitler arbeitete. Er ist auch nicht nur der Dichter von Liedern wie "Von guten Mächten" und anderer frommer Zeilen. Das ist er beides auch, überzeugend und unbestritten. Beides hat sich aus seiner Auslegung der Bibel wie von selbst ergeben. Die theologische Frage, die ihn ständig bewegte, lautete: Wer ist Jesus Christus für heute? Bonhoeffer war im Widerstand und ein frommer Mensch, weil er ein Theologe war, der sich dieser Frage mit seinem ganzen Leben stellte. Bis heute ist die Auseinandersetzung mit seiner Theologie lohnend und herausfordernd.

Fragmentarisches Leben

Dietrich Bonhoeffer wurde am 4. Februar 1906 in Breslau geboren. Er studierte Theologie in Tübingen und Berlin, promovierte 1927 und habilitierte sich drei Jahre später. Anschließend war er Vikar in Barcelona, Stipendiat am Union Theological Seminary in New York und Pfarrer in London. Danach arbeitete er als Direktor des "illegalen" Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde. Im Juni 1939 fuhr er wieder nach New York, um eine Dozentur zu übernehmen. Aber wenige Wochen später brach er überstürzt auf und kam mit einem der letzten Schiffe nach Deutschland zurück. Seine amerikanischen Freunde verstanden diesen Schritt nicht. Nach der Rückkehr schloss er sich dem militärischen Widerstand an. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und blieb zwei Jahre in Untersuchungshaft in Berlin. Am 9. April 1945 wurde er mit General Canaris und anderen im kz Flossenbürg ermordet. Sein Leben ist damit abgebrochen und fragmentarisch geblieben.

Prophet der Säkularität?

Im angelsächsischen Raum galt Dietrich Bonhoeffer sofort als Zeuge des Evangeliums. Seine Theologie wurde umfassend aufgenommen. Im Deutschland der Restauration tat man sich damit viel schwerer. Aber spätestens mit der Publikation der Aufzeichnungen aus der Haft ("Widerstand und Ergebung") 1951 und vollends durch die Maßstäbe setzende Biografie von Eberhard Bethge 1967 begann auch die Entdeckung der Theologie Bonhoeffers in Deutschland.

Dabei standen vorerst jene Motive im Vordergrund, die in "Widerstand und Ergebung" zur Sprache kommen, wie die Rede vom religionslosen Christentum, von der nicht-religiösen Interpretation biblischer Begriffe und der Mündigkeit der Welt. Wenn Bonhoeffer an Eberhard Bethge aus der Haft schreibt: Wir gehen einer völlig religionslosen Zeit entgegen, dann erscheint er heute manchen wie ein Prophet der Säkularität, andere halten ihn angesichts der Re-Spiritualisierung der Gesellschaft für widerlegt.

Leben aus der Bergpredigt

Beide Urteile sind zu relativieren, denn Bonhoeffers theologische Aussagen, vor allem jene der persönlichen Briefe, sind nur im Gesamtzusammenhang zu verstehen. Später wurde der "pietistische" Bonhoeffer des Liedes "Von guten Mächten", das er zum Jahresende 1944 für seine Mutter und seine Verlobte Maria von Wedemeyer geschrieben hat, bekannt. In den Vordergrund des Interesses traten seine Bücher aus der Finkenwalder Zeit, die "Nachfolge" und das "Gemeinsame Leben". Aber auch diese auf den ersten Blick auf den Bereich von Kirche, Gemeinde und die Frömmigkeit einzelner konzentrierten Schriften können nicht ohne weiteren Kontext verstanden werden. Es geht Bonhoeffer in der "Nachfolge" um ein Leben aus der Bergpredigt mit allen Konsequenzen, eben auch den politischen.

Jede Verinnerlichung und Verjenseitigung der biblischen Botschaft ist ihm fremd und wird von ihm abgelehnt. Dass der deutsche Protestantismus gerade davor in der Friedensdiskussion der 70er und 80er Jahre zurückgeschreckt ist, hat zu der Frage geführt: Ist Bonhoeffer noch aktuell? Wurde nicht sein Erbe verspielt? Heute zeigt sich eine ungebrochene Faszination und Aktualität Bonhoeffers, wenn sein Leben und Wirken als spannungsvolle Einheit gesehen werden.

Steile Theologen-Karriere

Im folgenden sollen einige Themen der Theologie Dietrich Bonhoeffers angesprochen werden, die bleibende Herausforderungen für Theologie und Kirche in Ökumene und Gesellschaft darstellen.

Bonhoeffer hat ohne starke Kirchenbindung mit dem Theologiestudium begonnen. Er war ein Kind des deutschen Bildungsbürgertums, konnte bei den angesehensten Professoren lernen und hatte bald eine steile Karriere vor sich. Einer, der in drei Jahren mit dem Studium (einschließlich Dissertation!) fertig war. Und doch: Als ich anfing mit der Theologie, habe ich mir etwas anderes darunter vorgestellt - doch vielleicht eine mehr akademische Angelegenheit. Es ist nun etwas ganz anderes draus geworden, schreibt er 1935.

I. Katholisch und evangelisch

Ich erinnere an zwei Ereignisse, die Dietrich Bonhoeffer geprägt haben: Seine Reise nach Rom und sein Aufenthalt in New York. Von der Reise nach Rom und der Begegnung mit der römisch-katholischen Kirche 1924 berichtet er, dass er dort anfing, den Begriff "Kirche" zu verstehen. Er erkennt den Mangel der eigenen Kirche, die allzulange Herberge der ungebildeten (!) Aufklärung gewesen war. Die Romreise wirkte lange nach. 1927 nennt er die katholische Kirche die ungleiche Schwester, für die Evangelische beten, dass sie Einkehr halte und auf nichts schaue als aufs Wort. In diesen Worten ist der Einfluss von Karl Barth zu spüren. Bonhoeffer hat die Herausforderung der Ekklesiologie und der Ökumene nicht mehr losgelassen. Seine Dissertation und seine Habilitationsschrift behandeln das Thema der Ekklesiologie.

Dabei ging er einen ganz neuen Weg, indem er die erfahrbare Gestalt von Kirche zum Gegenstand theologischer Überlegungen machte und damit den Spagat von Soziologie und (dialektischer) Theologie versuchte. Die Kirche ist Gottes Stiftung und eine empirische Gemeinschaft wie andere auch, sie ist Christus als Gemeinde existierend und nur dann Kirche, wenn sie für andere da ist.

Bislang war die Gestalt der Kirche im Protestantismus lutherischer Prägung etwas beinahe Beliebiges gewesen. Das hat sich fatal ausgewirkt bei den Kirchenwahlen im Juni 1933, als die Kirche auf "demokratischem" Weg von den Deutschen Christen weitgehend übernommen wurde.

II. Juden und Christen

Von weitreichender Konsequenz war der Aufenthalt in New York. Bonhoeffer, der jüngste Dozent an der Berliner Universität, konnte mit 24 Jahren noch nicht ordiniert werden. Da erhielt er die Einladung, das Jahr durch einen Studienaufenthalt am Union Theological Seminary zu überbrücken. Es sollte viel mehr als eine Notlösung werden. Bonhoeffer machte die Bekanntschaft von Frank Fisher, Pfarrer der "Abyssinian Baptist Church" in Harlem. Dort besuchte er die Gottesdienste, war selbst in der Sunday School tätig und hatte selbstverständlichen Umgang mit den Mitgliedern der Gemeinde.

Er schreibt: Ich habe in Negerkirchen das Evangelium predigen hören. Bonhoeffer fand so eine Kirche, die dem Evangelium verpflichtet ist und die auf der Seite der Erniedrigten und Ausgestoßenen steht. In Deutschland war es nicht die "Negerfrage" (wie Bonhoeffer noch formulierte), sondern die "Judenfrage", die die Kirche herausforderte.

Dass er schon früh die Gefahr des ns-Rassenwahns erkannte und dagegen Stellung bezog, geht auf jene Monate in New York zurück. Beleg dafür sind seine Ausführungen in dem Aufsatz: "Die Kirche vor der Judenfrage", den er am 15. April 1933, wenige Tage nach dem Boykott jüdischer Geschäfte und der Einführung des so genannten "Arierparagraphen", verfasst hat. Darin finden sich bereits die grundlegenden Überlegungen zum Widerstand: Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören. Es kann zur Aufgabe der Kirche werden, nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen.

III. Gott und Mensch

Bonhoeffer sieht das Christsein ganz konzentriert auf Jesus Christus. Was mich unablässig bewegt, ist die Frage, was das Christentum oder auch wer Christus für uns eigentlich ist. Er ist der, der für andere da ist und so ist auch unser Gottesverhältnis ein Leben im Dasein für andere.

Das hat Konsequenzen für den Gottesbegriff. Das Mündigwerden von Mensch und Welt durch die Aufklärung ist ernst zu nehmen. Gott darf nicht als Arbeitshypothese, als Lückenbüßer fungieren, deshalb muss die Theologie Gottes Unverfügbarkeit festhalten, bis hin zur Formulierung aus "Akt und Sein": Einen Gott, den "es gibt", gibt es nicht.

Und später: Gott gibt uns zu wissen, daß wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verläßt (Markus 15,34)! Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Was hier paradox formuliert ist, erhält den Sinn vom Kreuz, denn Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, er ist im Gekreuzigten "Gott als Geheimnis der Welt" (Eberhard Jüngel).

IV. Kirche und Welt

Eine Kirche, die sich mit ihrer Selbsterhaltung beschäftigt, sich um ihre Zukunft sorgt, so, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, der Welt und den Menschen das versöhnende und erlösende Wort zu verkünden. Bonhoeffers Konsequenz ist radikal: Darum müssen die früheren Worte kraftlos werden und verstummen, und unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muß neugeboren werden aus diesem Beten und diesem Tun.

Hat er das mit "seiner" Gemeinde gelernt? Im Jahr 1931 übernimmt er als junger Dozent eine Gruppe von Konfirmanden am Prenzlauer Berg, mit denen niemand sonst fertig wird. Bonhoeffer mietet zuerst eine Wohnung, die den Jugendlichen immer offensteht. Er lebt mit ihnen, er will sie nicht in die Kirche zurücklocken, sondern will mit ihnen Kirche sein, wie um praktisch vorwegzunehmen, was er später so sagen wird: Ich will also darauf hinaus, daß man Gott nicht noch an irgendeiner allerletzten heimlichen Stelle hineinschmuggelt, sondern daß man die Mündigkeit der Welt und des Menschen einfach anerkennt, daß man den Menschen in seiner Weltlichkeit nicht "madig macht", sondern ihn an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert, daß man auf alle pfäffischen Kniffe verzichtet... Am 21. Juli 1944 schreibt er an Eberhard Bethge: ... ich erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.

Mit der Entscheidung zum Widerstand erfolgte für Bonhoeffer laut Eberhard Bethge der Wandel vom Theologen zum Christen. Das ist kein Gegensatz, denn Bonhoeffer hat beides im wahrsten Sinn des Wortes hingebungsvoll betrieben: Es gibt doch nun einmal Dinge, für die es sich lohnt, kompromisslos einzustehen. Und mir scheint, der Friede und soziale Gerechtigkeit, oder eigentlich Christus, sei so etwas.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

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