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Im Sturm des Geschehens

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Wenn ich an Dietrich Bonho-effer denke, sehe ich vor mir die Außenanlagen des KZs Flossenbürg, wo er im Morgengrauen des 9. April 1945 erhängt wurde. Ich habe die Gedenktafel vor Augen, die man dort angebracht hat, und zu deren Enthüllung der damalige bayrische Landesbischof nicht kam, weil Bonhoeffer „nur” ein politischer Märtyrer gewesen sei. Auf dieser Gedenktafel steht: „Dietrich Bonhoeffer - ein Zeuge Jesu Christi unter seinen Brüdern.' In der Tat ist Dietrich Bonhoeffer ein politischer Mensch. Sein politisches Engagement ist zutiefst in seinem christlichen Glauben verwurzelt, ja aus ihm geboren.

Dietrich Bonhoeffer kommt am 4. Februar 1906 in Breslau als sechstes von acht Kindern zur Welt, zehn Minuten vor seiner Zwillingsschwester Sabine. Sein Vater ist Professor für Psychiatrie, seine Mutter Lehrerin. Er wächst in aufgeschlossener großbürgerlicher Umgebung auf und hat früh vielseitige Interessen. Seine Zwillingsschwester erzählt von Abenden, an denen sie im gemeinsamen Zimmer in den Betten lagen und als Achtjährige über die Begriffe Tod und Ewigkeit philosophierten. Schon vor der Konfirmation ist ihm klar, daß er Theologie studieren wird, bereits mit 21 promoviert er, drei Jahre später ist seine Habilitation abgeschlossen.

Seit der Machtergreifung Hitlers nimmt er gegen den Nationalsozialismus öffentlich Stellung. Seine Bundfunkrede zum Thema Führer und Jugend wird unterbrochen, doch er scheut sich nicht, diese Bede in erweiterter Form an der Hochschule für Politik zu halten beziehungsweise sie in einer Zeitung abdrucken zu lassen. Ebenfalls bereits im Jahr 1933 verfaßt er einen Artikel „Die Kirche vor der Judenfrage”. Darin sagt er: „Hier, wo Jude und Deutscher zusammen unter dem Wort Gottes stehen, ist Kirche, hier bewährt es sich, ob Kirche noch Kirche ist oder nicht.” Und den Pfarrern, die sich mit Liturgie und Frommsein zufriedengeben, hält er entgegen: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.” Denen, die theologische Gründe vorgeben, um sich dem nationalsozialistischen

Staat gegenüber zurückzuhalten, sagt er: „Es ist ja doch alles nur Angst.”

In dieser Zeit ist er als Studentenpfarrer und Privatdozent in Berlin tätig, geht aber bald nach London, wo er Pfarrer an der dortigen Deutschen Gemeinde wird. Nach weiteren Auslandsaufenthalten, bei denen er viele ökumenische Kontakte knüpft, kehrt er nach Deutschland zurück, um im Predigerseminar Finkenwalde, wo die Vikare der Bekennenden Kirche ausgebildet werden, die Leitung zu übernehmen. Hier führt er ausgedehnte Morgen- und Abendandachten ein und dazwischen noch Meditationszeiten, die strikt eingehalten werden müssen.

Aufgrund seiner guten Kontakte ins Ausland bittet ihn schließlich sein Schwager, als Kurier des Widerstands unter Admiral Canaris tätig zu werden. Dieser gefährlichen Aufgabe will er sich nicht entziehen. Seine Meinung dazu veranschaulicht er in einem Bild: „Wenn ein Wahnsinniger mit dem Auto durch die Straßen rast, kann ich als Pastor, der dabei ist, nicht nur die Überfahre-nen trösten oder beerdigen, sondern ich muß dazwischenspringen und ihn stoppen.” Ihm ist beides wichtig: Die Frömmigkeit und die Weltverantwortung des Christen.

Im April 1943 wird er verhaftet. Eineinhalb Jahre ist er im Militärgefängnis Tegel. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelingt es ihm, in dieser Zeit einen ausgedehnten Briefwechsel zu führen, in dem er auch seine theologischen Arbeiten weiterführt, Gebete und Gedichte, die zum Teil sehr persönlich sind, schreibt. Als er erfährt, daß der Putsch gegen Hitler vom 20. Juli 1944 mißlungen ist, schreibt er unter anderem die „Stationen auf dem Weg zur Freiheit”, im Abschnitt „Tat” sagt er: „Nicht das Beliebige, sondern das Bechte tun und wagen, / nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, / nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit. Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in den Sturm des Geschehens, / nur von Gottes Gebot und deinem Glauben getragen, / und die Freiheit wird deinen Geist jauchzend empfangen.”

Ein dreiviertel Jahr später holt man ihn aus einem Schulzimmer in Flossenbürg, wo er gerade eine Andacht mit Häftlingen hält. Augenzeugen erinnern sich an seine letzten Worte: „Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens.”

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