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FR. W. FOERSTER / DER GROSSE MAHNER

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Professor Friedrich Wilhelm Foerster, der große Pädagoge, der große Mahner, der reinste politische Erzieher des deutschen Volkes unseres Jahrhunderts, vollendet am 2. Juni sein neunzigstes Lebensjahr. 1869 als Sohn des Astronomen Foerster, Direktor der Berliner Sternwarte, geboren, wuchs Foerster ohne jede religiöse Beeinflussung auf unter dem Einfluß Kants. Foersters Kindheit fiel in die Zeit des Ueberganges, in der Bismarck aus dem losen Staatenbund sein deutsches Kaiserreich schuf, das bald durch seinen materiellen und machtpolitischen Aufstieg das Volk der Dichter und Denker in ein Volk des Welthandels und ungemessener Machtansprüche wandelte. Diese Wandlung löste gerade bei den Denkern und Dichtern eine innere Reaktion aus, so bei Schopenhauer, Wagner, Nietzsche. Auch in Foerster entstand die Sehnsucht nach tieferer Kenntnis und Deutung des menschlichen Lebens. Mit norddeutscher Gründlichkeit befaßte er sich mit den konkreten Tatsachen und inneren Erfahrungen des Lebens, besuchte die Armenviertel und die Cefangenenhäuser, studierte die Arbeiterbewegung, suchte Kontakt mit Jugendlichen aller Art sowohl in der Heimat als auch in England und Amerika und gelangte auf diesem induktiven Weg zur Ueberzeugung der Erlösungsbedürftigkeit der Menschen.

Was Foerster zunächst im Sinn der „ethischen Bewegung” begonnen hatte, wurde nun Führung zu Christus hin. Sein Anruf fand volle Bereitschaft vor allem der Jugend vor, aus Aufklärung und Materialismus den Weg in ein Neuland religiöser Hingabe zu suchen, ln Zürich (1901 bis 1912), Wien (1912 und 1913), München (1914 bis 1920) hat F. W. Foerster als Hochschullehrer vor allem der Jugend den Weg aus dem Dunkel der sittlichen Autoromie in das Licht Christi gewiesen. Seine Bücher „Jugendlehre”, „Schule und Charakter”, „Sexualethik und Sexual pädagogik”, „Christentum und Klassenkampf”, „Autorität und Freiheit”, „Schuld und Sühne”, später „Jugendseele, Jugendbewegung, Jugendziele”, „Christus und das menschliche Leben”, „Ewiges Licht und menschliche Finsternis” waren in Massenauflagen verbreitet. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges veranlagte Foerster, seine „Staatsbürgerliche Erziehung” zu einer „Politischen Ethik und politischen Pädagogik”

zu erweitern, in der er die Anwendung der christlichen Sittengesetze auch auf das Völkerleben verlangte. Foerster sah die unheilvollen Folgen des deutschen Militarismus voraus. Seine Warnungen fanden erbitterte Gegnerschaft, so daß er 192J seine Professur in München aufgeben mußte. Er lebte zunächst als Schriftsteller in Zürich, bis ihn die Bedrohung durch den National sozialismus zunächst nach Frankreich und dann nach Amerika vertrieb, wo er seither in New York lebt.

In Deutschland wurden Foersters Bücher verbrannt; sein Lehenswerk schien vernichtet. Aller Einkünfte beraubt, konnte er sein Leben in New York nur durch ein Stipendium der Carnegie-Stiftung fristen. Ęrst der Zusammenbruch des Dritten Reiches ermöglichte die Wiederauflage seiner Bücher in Deutschland, um die sich der Matthias- Grünewald-Verlag in Mainz und der Paulusverlag in Recklinghausen, unterstützt von der Foerster-Gesellschaft in Bonn, größte Verdienste erwarben.

Ausgehend von der Beobachtung der Tatsachen, appelliert er durch diese an Selbsterkenntnis und Menschenkenntnis und veranlaßt seine Leser, daraus die Folgerungen zu ziehen…Foersters Pädagogik bedeutet eine bleibende Bereicherung der Erziehung und Seelsorge. Foersters Auftreten in Wien (1910 bis 1913), zuerst als gefeierter Redner und dann als Hochschullehrer, fiel in die letzten Jahre vor dem ersten Weltkrieg, in eine Zeit der inneren Unruhe, in der alle auf ein erlösendes Wort warteten, das imstande wäre, den Weltbrand zu verhüten, der im Sommer 1914 ausbrach. Dieser Zusammenklang seiner Worte mit der Sehnsucht einer unheilschwangeren Zeit hat Foersters Auftreten in Wien allen, die seine Hörer waren, unvergeßlich gemacht. Foersters letztes Werk „Erlebte Weltgeschichte”, Glock und Lutz, Nürnberg 1954, bietet eine grandiose Schau der unheilvollen Zeit der beiden Weltkriege. Foerster, hochgeachtet in der freien Welt, war seiner Begnadung nach bestimmt zum getreuen Eckhart des deutschen Volkes. Dieses hat ihn nicht gehört: Dieses Drama seines Lebens beleuchtet die deutsche Tragödie bis zum heutigen Tag.

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